Anfassen nur mit weißen Handschuhen erlaubt: Susanne Schlösser zeigt das Weistum aus dem Jahr 1527. Foto: Gerold
Von Olivia Kaiser
Mannheim. Sehr unscheinbar sieht das vergilbte Büchlein aus. Das äußere Pergament ist dunkel, man hat Angst, es könnte vielleicht zu Staub zerfallen, wenn man es anfasst. So fragil ist es aber nicht, obwohl es sich um das älteste Dokument handelt, das im Stadtarchiv Marchivum verwahrt wird. Das "Weistum von Sandhofen" stammt aus dem Jahr 1527. Es handelt sich um eine Feststellung der Rechte des Klosters Schönau im Odenwald im Dorf Sandhofen. "Teile von Sandhofen gehörten damals dem Kloster", erklärt Susanne Schlösser, die Abteilungsleiterin des historischen Archivs im Marchivum. Mit dem Weistum dokumentierte der damalige Abt Laurentius, was genau dem Kloster in Sandhofen gehört und welche Rechte es hat.
Die Seiten des Weistums sind noch gut erhalten und lesbar – wenn man denn die Schrift lesen kann. Für den Umschlag wurde eine alte Urkunde verwendet, sie hat die gebundenen Seiten gut geschützt. Warum der Abt seine Rechte an Sandhofen niederschrieb, ist nicht bekannt. Susanne Schlösser kann nur spekulieren: Im Mittelalter besaßen viele Klöster große Ländereien, "teilweise erhielten sie die Besitztümer durch Schenkungen", erklärt sie. Abte und Bischöfe hatten eine große weltliche Machtfülle, die aber immer mehr durch weltliche Fürsten und Monarchen herausgefordert wurde. Vielleicht habe sich das Kloster durch andere Parteien, die Rechte in Sandhofen hatten, bedroht gefühlt und wollte mit dem Weistum die eigenen Besitzansprüche dokumentieren, vermutet die Archivarin.
Die Urkunde stammt aus dem Jahr 1570. Foto: GeroldUm Besitz geht es auch im zweitältesten Dokument aus dem Jahr 1570: Die Urkunde besiegelt den Erbverkauf über 40 Morgen Acker in Sandhofen vom Kloster Schönau an den Sandhofener Gemeindebürger Deboldt Ille durch den kurfürstlichen Kirchgütergefallverwalter. Beide Dokumente befanden sich jahrhundertelang im Dorfarchiv und blieben dort auch nach der Eingemeindung Sandhofens im Jahr 1913. Irgendwann in den 1920er-Jahren holte sie Friedrich Walter, Mannheims erster Stadtarchivar, in seine Sammlung.
Der Historiker leitete seit 1907 das städtische Archiv. Zudem war er später Direktor des Schlossmuseums und über 20 Jahre Schriftführer des Altertumsvereins. "Er hat die frühe Geschichte des Stadtarchivs maßgeblich geprägt", erzählt Susanne Schlösser. Walter wusste, wie wertvoll das Weistum und die Urkunde waren, denn viele Zeugnisse der historischen Kernstadt – auch aus der Zeit vor der Erhebung zur Stadt – waren während des Dreißigjährigen Kriegs vernichtet worden, als Mannheim 1622 dem Erdboden gleich gemacht wurde. So kommt es auch, dass die Zeugnisse im Marchivum, die aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg stammen, aus den Dörfern um die Stadt kommen, wie etwa Sandhofen.
Darin hat Abt Laurentius fein säuberlich seine Rechte an Sandhofen dargelegt. Foto: GeroldZum 300-jährigen Bestehen der Stadt Mannheim veröffentliche Friedrich Walter 1907 zudem das zweibändige Geschichtsbuch "Mannheim in Vergangenheit und Gegenwart". "Es gilt heute noch als Standardwerk, weil Walter auf Quellen zurückgreifen konnte, die im Ersten und vor allem im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden", erklärt Susanne Schlösser. Doch mit der Machtergreifung von Adolf Hitler 1933 wurde Walter gezwungen, sich aus allen Ämtern zurückzuziehen – zum einen, weil er der nationalsozialistischen Bewegung sehr distanziert gegenüberstand und zum anderen, weil er eine jüdische Ehefrau hatte. Er verbrachte seinen Ruhestand in Heidelberg und starb 1956. Heute ist der große Festsaal des Marchivums nach Friedrich Walter benannt.
Marchivum – so heißt das Stadtarchiv nach dem Umzug 2018 aus dem Collini Center in den Ochsenpferchbunker an der Jungbuschbrücke. Das Bauwerk ist wegen seiner dicken Mauern zur Aufbewahrung historischer Dokumente bestens geeignet. Im Magazin lagern Weistum und Erbkaufurkunde konstant bei 16 Grad und 40 bis 60 Prozent Luftfeuchtigkeit –ganz unprätentiös in einer Papiermappe, die in einem Karton liegt. "Papier kann man am besten in Papier aufbewahren", konstatiert die Archivarin. Die 1,5 bis zwei Meter dicken Betonwände des Magazins sorgen für eine gleichbleibende Temperatur. Auch bei 40 Grad Hitze muss nicht gekühlt werden. "Das war im Collini Center ganz anders", erinnert sich Schlösser.
Auch wenn das Weistum das älteste Dokument im Marchivum ist, existieren noch ältere Dokumente von Mannheim. Diese lagern dann allerdings im Generallandesarchiv in Karlsruhe oder sogar in München. "Kurfürst Carl Theodor hat einige Regierungspapiere mitgenommen, als er 1777 seinen Regierungssitz nach Bayern verlegte", gibt die Archivarin zu bedenken, die seit 2003 Abteilungsleiterin des historischen Archivs von Mannheim ist. Vorher arbeitete Susanne Schlösser im Stadtarchiv von Heilbronn. "Da stammte das älteste Stück aus dem Jahr 1297."
Weitere Folgen der Serie "Mannheims Älteste" gibt es unter www.rnz.de/mannheims-aelteste