Rund 100 Polizisten sicherten zusammen mit einem 20-köpfigen Sicherheitsdienst seit dem Montagnachmittag die Thingstätte. Foto: Rothe
Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Die Stadt hat es geschafft: Wo im letzten Jahr noch 15.000 Menschen ausgelassen feierten, herrschte in der Walpurgisnacht fast andächtige Stille. Die traditionsreiche Party auf der Thingstätte - die Anfänge reichen in die achtziger Jahre zurück - sei aufgrund der zahlreichen Gefahren nicht mehr hinnehmbar, entschied die Stadt, nachdem ein Sicherheitsgutachten in 17 von 23 Kategorien die höchstmögliche Risikostufe ausgewiesen hatte. Und da es für die Feier keinen Veranstalter gab, fürchtete insbesondere Ordnungsbürgermeister Wolfgang Erichson, bei Unglücken persönlich in Haftung genommen zu werden.
Schon auf den Zufahrtsstraßen zum Heiligenberg waren bereits am Nachmittag Hinweisschilder aufgestellt, die auf das Betretungsverbot des gesamten Areals hinwiesen, die Thingstätte selbst war mit einem 1,6 Kilometer langen Zaun verbarrikadiert, Polizei und Sicherheitsdienst patrouillierten. Nur wenige versuchten bei recht kühler Witterung, den von Montag, 14 Uhr, bis zum Dienstagmorgen gesperrten Bereich zu betreten.
Statt in den einstigen atmosphärischen Feuerschein getaucht, ist die Thingstätte schon am frühen Abend mit Scheinwerfern grell ausgeleuchtet. Das Brummen der Generatoren wirkt in der ansonsten vollkommen stillen Anlage fast dröhnend. Von dem Waldbrand, der im letzten Jahr für Furore sorgte, ist für das ungeschulte Auge nichts mehr zu sehen. Das Feuer und ein Schwerverletzter hatten die Stadt zum Handeln gezwungen. Auch für die Mitarbeiter der Stadt ist der Anblick der gesicherten und menschenleeren Thingstätte ungewohnt, weil die meisten das wilde Treiben selbst erlebt haben.
Auch Daniel Mager war in der Walpurgisnacht immer wieder auf dem Heiligenberg. Mit zwei Freunden hat er es auch in diesem Jahr versucht - und wurde oberhalb des Philosophenwegs von der Polizei gestoppt. "Wir dachten, wir gucken mal, was passiert", erklärt der 43-Jährige. Doch die Ordnungshüter hatten ihre Hausaufgaben gemacht und alle Zufahrtswege blockiert. In der Spitze waren 100 Beamte für die Neckarwiese und den Heiligenberg abgestellt.
Ein Polizist erklärt der Gruppe, dass sie nicht weiter können, sie nehmen es hin - nicht ohne sich über die Entscheidung der Stadt zu ärgern. Mager wusste, dass die Thingstätte gesperrt ist, hält es allerdings für seine Pflicht zu zeigen, dass er sich nicht einfach so damit einverstanden erklärt. "Was auf der Strecke bleibt, ist die Freiheit", ärgert sich der Familienvater. Die Leute ließen sich die über Jahre gewachsene Kultur einfach wegnehmen. "Wo bleibt da der zivile Ungehorsam?", fragt Mager.
An den Kontrollposten ist es tatsächlich äußerst ruhig. Nur 200 Personen wurden tagsüber abgewiesen, größtenteils sind es Jogger, Wanderer oder Fahrradfahrer, die umkehren müssen. In den Abendstunden wurde dann weiteren 75 potenziellen Feierwilligen der Zutritt zum Areal verweigert. Zu den Strafen, die sich die Stadt für das unbefugte Betreten des gesperrten Bereichs vorbehalten hat, muss sie nicht greifen. Mit Geldbußen bis zu 10.000 Euro könne man diese Vergehen belegen, erklärte Bernd Köster. "Das ist allerdings nur ein Rahmen", so der Leiter des Bürger- und Ordnungsamts. Dafür müsse schon einiges zusammen kommen. Ein Übersteigen des Zauns, Aggressionen und so weiter.
Walpurgisnacht verlief friedlich - Die FotogalerieDer Zaun um das von dem nationalsozialistischen Reichsarbeitsdienst und Studenten 1934 erbaute Kulturdenkmal ist vielfach gesichert. "Der ist total stabil", erklärt Köster. Und das hat sich die Stadt auch etwas kosten lassen: Mit gut 40.000 Euro ist der Zaun der größte Kostenpunkt an diesem Abend. Dazu kommt der 20 Mann starke Sicherheitsdienst, der bis um 6 Uhr morgens patrouilliert. Auch die Feuerwehr, das Technische Hilfswerk und die Polizei haben auf dem Heiligenberg Stellung bezogen und sitzen in Grüppchen zusammen, essen Würstchen, scherzen. Für alle sollte es ein recht ruhiger Abend werden: Die Polizei meldete keinen besonderen Vorkommnisse: "Alles völlig ruhig." Nach und nach konnten dann die Einsatzkräfte abgezogen werden: Die ersten Polizisten verließen gegen 23.30 Uhr den Heiligenberg, die Feuerwehr folgte gegen Mitternacht. Der letzte Polizeiwagen fuhr um kurz nach 6 Uhr runter ins Tal.
Johannes Gebhardt kann die Sperrung der Thingstätte nicht verstehen: "Jedes Fußballspiel hat eine schlechtere Statistik, wenn es um Verletzungen geht", protestiert der 26-Jährige, der ebenfalls über den Philosophenweg auf den Heiligenberg wollte. Der Student sieht sich in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt. Die Altstadt mache man ja auch nicht dicht, wenn sich jemand ein Bein breche.
Die Stadt sah hier aber keinen Spielraum. Als Ortspolizeibehörde und Eigentümerin der Thingstätte sei sie in der Pflicht, zu handeln. "Wir hätten es gerne laufen lassen, aber die Risiken waren zu groß", so Köster. Wegen eines fehlenden Veranstalters müsse die Stadt haften; dieses Risiko könne sie nicht mehr hinnehmen.
Mager sieht darin ein wachsendes Problem: Immer mehr Veranstaltungen werde ein solches Korsett übergezogen. "Die letzten Freiheiten werden zugemacht", konstatiert der 43-Jährige. Gebhardt dagegen glaubt nicht, dass die Stadt damit durchkommt: "Ich denke nicht, dass das Verbot vor Gericht Bestand haben wird", so der Student. Für ihn war die Walpurgisnacht auf der Thingstätte etwas ganz Besonderes: "Das war einmalig, gigantisch. Wo gibt es so was noch?", fragt der 26-Jährige. Für die Stadt dagegen ist klar: Hier wird es das Fest nicht mehr geben.