Jährlich 21.000 Patienten und eine Schule für Gesundheitsberufe: das St. Josefskrankenhaus in der Weststadt. Foto: Rothe
Von Micha Hörnle
Heidelberg. Die Heidelberger Geburtskliniken warnen vor einer Panikmache, was das angeblich sehr oft verwendete Wehenmedikament Cytotec (genauer: seinen Wirkstoff) angeht. Vergangene Woche hatten mehrere Medien von schweren Komplikationen nach Gabe von Cytotec-Tabletten berichtet: Da war von Babys die Rede, die wegen Sauerstoffmangels kurz nach der Geburt starben oder schwerste Behinderungen erlitten. Mehrere Gerichtsverfahren seien nun anhängig.
Die RNZ fragte bei vier großen Geburtszentren nach, der Universitätsfrauenklinik, dem Krankenhaus Salem, der Klinik St. Elisabeth (beide Handschuhsheim) und dem St. Josefskrankenhaus (Weststadt). Bis zum gestrigen Montag gab es Rückmeldungen vom Uniklinikum und St. Josef – wobei das Salem genauso verfährt wie das Uniklinikum.
Holger Kaufmann, Chefarzt der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe am St. Josefskrankenhaus, spricht von einer "Pressekampagne" und beklagt: "Die aktuellen Berichte zur Verwendung von Cytotec zur Geburtseinleitung haben zu einer großen Verunsicherung der Bevölkerung geführt und den Eindruck erweckt, dass Geburtshelfer in jeder zweiten deutschen Geburtsabteilung aus niederen Beweggründen wissentlich die Gesundheit und das Leben von Müttern und Neugeborenen aufs Spiel setzen würden." Das sei natürlich nicht der Fall.
Kaufmann erklärt zum Wirkstoff Misoprostol, der in Cytotec steckt: "Der Wirkstoff wird schon seit Langem in der Geburtshilfe verwendet. Mit offizieller Zulassung stand bis 2019 das Präparat Misodel mit 200 Mikrogramm Misoprostol in Deutschland zur Verfügung, wurde jedoch aus wirtschaftlichen Gründen durch den Hersteller wieder vom Markt genommen." Der Wirkstoff Misoprostol sei – unter verschiedenen Namen – in fast allen europäischen Ländern zugelassen. Zugleich, so berichtet Kaufmann, stimme es nicht, dass es zu Misoprostol medikamentöse Alternativen gebe, die völlig risikolos seien. Im Gegenteil: Immer wieder angeführte Präparate wie Oxytocin könnten "zu den gleichen unerwünschten Komplikationen führen, wenn man sie falsch einsetzt".
Ganz generell versuche das Josefskrankenhaus, die natürliche Geburt bestmöglich zu unterstützen – zumal ein nach dänischem Modell völlig neu gestalteter Kreißsaal für Entspannung und Ruhe sorgen soll. Und falls eine Geburtseinleitung doch nötig sein sollte, verweist Kaufmann auf "eine breite Palette an Möglichkeiten", von denen Misoprostol nur eine sei. Und doch sagt Kaufmann: "Der Einsatz von Cytotec wird in unserer Klinik aufgrund der haftungsrechtlichen Unsicherheiten vorerst ausgesetzt, bis die offizielle Zulassung des oralen Misoprostol-Präparates Angusta Ende des Jahres erfolgt sein wird."
In der Universitätsfrauenklinik wird der Wirkstoff Misoprostol eingesetzt. Allerdings nicht wahllos, wie deren Direktor Christof Sohn betont: "Hierbei werden international etablierte Ein- und Ausschlusskriterien – zum Beispiel keine Anwendung bei Schwangeren, die schon einmal einen Kaiserschnitt hatten – beachtet, eine ausführliche und individualisierte Aufklärung durchgeführt und die Schwangere und ihr ungeborenes Kind während der Geburtseinleitung engmaschig stationär überwacht."
Für Sohn gibt es "keinen anderen Wirkstoff zur medikamentösen Geburtseinleitung, der vergleichbar sorgfältig und umfassend in Studien weltweit untersucht wurde". Misoprostol sei "nachweislich das effektivste Medikament zur medikamentösen Geburtseinleitung und führt verglichen mit anderen Wirkstoffen zur Geburtseinleitung vor allem bei der oralen Anwendung zu weniger Kaiserschnitten".
Die in den Medien angeführte Kritik an Cytotec sieht die Unifrauenklinik kritisch – und ist damit auf der Linie der Fachgesellschaften, die zu mehr Gelassenheit in der Einschätzung von Cytotec/Misoprostol mahnt.