Heidelberger Suchtberatung

Kinder aus Sucht-Familien wird beim "Trampolin" geholfen

Um Hilfe zu bitten sollte "keine Schande, sondern Stärke" sein. 2022 gibt es neue Angebote.

04.01.2022 UPDATE: 06.01.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 32 Sekunden
Sozialarbeiter David Faißt und Praktikantin Joleen Giering leiten die „Trampolin“-Gruppe. Foto: mio

Von Marion Gottlob

Heidelberg. Sechs Jungen zwischen acht und neun Jahren sind sich in einem Punkt einig: "Ich werde keinen Alkohol trinken." Die Kinder leben in Familien, in denen der Vater, die Mutter oder beide alkohol- oder drogenkrank sind. Sie wissen, wie sich die Persönlichkeit unter dem Einfluss von Alkohol verändern kann. Nun dürfen diese Kinder an der Gruppe "Trampolin" der Heidelberger Suchtberatung teilnehmen. Sozialarbeiter David Faißt und Christiane Urmetzer betreuen mit Praktikantin Joleen Giering die Gruppe. Faißt weiß: "Alkoholprobleme sind mit einem großen Tabu behaftet. So sind wir den Eltern sehr dankbar, dass sie sich überwunden haben und ihre Kinder zu der Gruppe schicken."

Es gab ein erstes Trampolin-Projekt vor zwei Jahren. Damals nahmen fünf Mädchen und ein Junge teil. Dieses Mal ist es eine reine Jungen-Gruppe. Wie damals treffen sich die Teilnehmer einmal pro Woche für anderthalb Stunden. Jedes Treffen beginnt mit der Begrüßung und der "Wetter-Karte", mit der jeder mitteilen kann, wie es ihm geht. Doch während vor zwei Jahren die Kinder ihre "Wetterlage" mit "sonnig" für "gut" und "Gewitter" für "schlecht" angegeben haben, spielen die neuen Kinder gerne mit dem Gegenteil: Da steht das Gewitter für "gut". Andere malen eine Karte mit dem Wort "Aussetzen". Ein Junge sagt: "Ich fühle alles auf einmal." "Die Kinder sprechen dieses Mal nicht so leicht über Gefühle", sagt Feißt.

Es gibt jedoch Spiele, um den Umgang mit Gefühlen zu üben. So stellen die Kinder die Gefühle wie "Wut" mit einem Aufstampfen auf den Boden oder "Enttäuschung" mit hängenden Schultern dar. Wenn die Jungen ihre Familie als Tierfamilie malen, dann entstehen Affen- und Löwen-Familien, aber auch Familien mit den Figuren des Videospiels "Minecraft". Fast immer sind die Tierkinder größer als die Erwachsenen. Am meisten wissen die Kinder über Alkohol Bescheid: Erwachsene halten unter Alkohol-Einfluss oft Versprechen nicht ein. Manche Abhängige vergessen einiges unter dem Einfluss von Alkohol. Häusliche Gewalt kann, aber muss kein Thema sein.

"Die meisten Kinder aus suchtbelasteten Familien übernehmen bestimmte Rollen, damit die Familie trotz der Probleme aus der Sicht des Kindes geschützt wird", erklärt Feißt. Der Sozialarbeiter beruft sich auf das Buch von Sharon Wegscheider "Es gibt noch eine Chance. Hoffnung und Heilung für Alkohol-Familien". Kinder werden zu "Helden", die den alkoholkranken Elternteil ersetzen und wichtige Aufgaben im Haushalt übernehmen. Andere spielen den "Sündenbock", um von den eigentlichen Problemen der Familie abzulenken. Das "verlorene Kind" zieht sich in seine Traumwelt zurück. Das "Maskottchen" antwortet auf die Sorgen mit Witzen und Späßen, wird aber auf Dauer oft "als nervend und störend" empfunden, so Faißt.

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So finden sich auch in der Kinder-Gruppe Helden, Sündenböcke, verlorene Kinder und Maskottchen. Kinder stören manchmal den Ablauf des Treffens, etwa wenn sie mit den Füßen gegen den Stuhl klopfen. Dann ist es Zeit für ein Bewegungsspiel: Die Kinder laufen im Raum, bis der Anleiter "stopp!" ruft – dann halten sie alle inne. Ein großer Spaß für alle Kinder, auch hier.

Die lebhafte Gruppe hat sich selbst Regeln gegeben, etwa "Man nimmt pünktlich an der Gruppe teil" oder "Man hört sich gegenseitig zu". Es gibt aber auch ungewöhnliche Regeln wie: "Man beißt nicht in die Holzbalken des Zimmers" oder "Man wirft nichts aus dem Fenster". Giering sagt: "Wir haben auch diese Regeln in den Katalog aufgenommen, denn wir nehmen die Kinder ernst."

Zum Abschluss sagt jeder Teilnehmer etwas Positives über seinen Nachbarn. Das kann auch das Lob für den schicken Pullover oder die coolen Socken sein. "David hat die Gruppe gut geleitet", sagt ein Junge. Faißt erklärt: "Wichtig ist uns, dass die Jungen wissen: Sie sind nicht allein mit ihren Problemen. Es gibt Kinder mit ähnlichen Schwierigkeiten. Wir üben mit ihnen, dass sie jederzeit bei uns oder bei anderen Erwachsenen um Hilfe bitten können. So ein Hilferuf ist keine Schande, sondern Stärke."

Info: Veranstalter ist das Blaue Kreuz der Suchtberatung der Evangelischen Stadtmission Heidelberg. Das Programm wird von der AOK gefördert. 2022 soll es weitere Angebote geben. Mehr Infos und Kontakt unter www.heidelberger-suchtberatung.de 

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