Von Manfred Bechtel
Heidelberg-Altstadt. Einer der schönsten Plätze der Altstadt ist der Kornmarkt. Man kann sich kaum vorstellen, dass er einmal dicht bebaut war. Daran erinnern nur noch die mit weißen Steinen angedeuteten Umrisse einer Kapelle. Sie gehörte zu dem 1267 erstmals urkundlich erwähnten Bürgerspital. Als 1986/87 unter dem Platz gegraben wurde, trafen die Archäologen einen weithin ungestörten Befund an. Neun Monate hatten sie Zeit für eine "der fundreichsten Stadtkerngrabungen in Mitteleuropa", wie es der Bauhistoriker und Archäologe Achim Wendt in einem Werkstattbericht über die Grabungen auf dem Kornmarkt beschreibt - dann kamen die Bagger. Heute ist dort eine Tiefgarage. Während die archäologische Forschung damit einen detailreichen Blick in die Vergangenheit eröffnete, waren die schriftlichen Quellen bislang nur punktuell herangezogen worden. Jetzt hat Dr. Ulrich Wagner, Archivar im Ruhestand, eine umfassende Auswertung vorgelegt. Im Jahrbuch des Heidelberger Geschichtsvereins ist sie nachzulesen.
Herr Wagner, wie sind Sie auf die Idee gekommen, über das Heidelberger Spital zu forschen?
Als Referendar hatte ich im Generallandesarchiv Karlsruhe unmittelbar Zugang zu den Urkundenbeständen. Dort liegt ein sehr großer Bestand "Pfalz" mit vielen Urkunden, die von der Heidelberger Forschung nur ansatzweise berücksichtigt worden sind. Mir war es ein Anliegen, die Urkunden zum Thema Spital systematisch durchzugehen und in Regestenform, das heißt: konzentriert auf den Rechtsinhalt, mit allen Namen, zu veröffentlichen. Das Heidelberger Spital ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine landesherrliche Gründung aus dem 13. Jahrhundert. Man sieht das auch daran, dass eben Zustiftungen von kurfürstlicher Seite mehr oder weniger kontinuierlich erfolgen und dann vor allem im 14. und 15. Jahrhundert bürgerliche Stiftungen dazukommen.
Wer konnte im Spital unterkommen?
Ein Bürgerspital ist primär eine Anstalt für die Einwohner der Stadt. In den Urkunden werden die Gruppen, die aufgenommen werden, genannt: "Sieche" oder "arme Leute". Sieche sind chronisch Kranke. Weiter nennen die Urkunden "infirmi", also Geschwächte. Daneben werden aber auch Leute aufgenommen, die akut erkrankt sind, und eben "arme Leute", die nicht so viel verdienen, dass sie ihren Lebensunterhalt organisieren können.
Wurden die Insassen medizinisch versorgt?
Eine systematische medizinische Versorgung gab es in den Spitälern oder Hospitälern in der Regel nicht. Die Arztdichte war sehr gering. Man kann allenfalls davon ausgehen, dass fallweise Ärzte in die Betreuung der Kranken miteinbezogen wurden.
Dr. Ulrich Wagner.
Foto: Bechtel
Wie viele Insassen hatte das Spital?
Ich habe keinen Hinweis in den Quellen gefunden, wie hoch die Zahl der Betreuten war, aber man darf sich das nicht zu umfangreich vorstellen. Ich schätze, dass da vielleicht zwischen 20 und 30 Personen versorgt wurden. Der Personenkreis, der die Leute versorgt und die ganzen finanziellen und wirtschaftlichen Dinge abgeklärt hat, war erheblich größer als der Kreis der Insassen. Der Betrieb war natürlich sehr aufwendig, denn das Spital war reich begütert. Es war einer der größten Grundbesitzer am unteren Neckar mit Außenstellen in Wieblingen und in Eppelheim.
Kamen auch schwangere Frauen und Kinder unter?
Man kann schon davon ausgehen, dass alleinstehende Frauen mit Kindern oder auch Witwen zu Beginn verstärkt aufgenommen wurden. Im 15. Jahrhundert gibt es einen Trend zu einer Pfründneranstalt. Das heißt, dass sich offensichtlich besser situierte Leute einkaufen konnten, um dort ihren Ruhestand zu verbringen und angemessen versorgt zu werden.
Wie war der Tagesablauf geregelt?
Das geistliche Zentrum war die Kapelle. Dort wurde morgens Messe gelesen. Wer zum Gottesdienst konnte, hat teilgenommen. Die Bettlägerigen blieben in der Hospitalhalle, die möglicherweise zweigeteilt war. Normalerweise hat man Männer und Frauen separat untergebracht. Man kann davon ausgehen, dass es Holzpritschen mit Strohsäcken gab. Dann gab es feste Zeiten für das Mittag- und das Abendessen. In der Regel wurde auch Wein gereicht. Man muss wissen, dass es im Mittelalter oft gefährlich war, Wasser zu trinken. Der Wein ist mit Wasser gemischt worden, aber durch den Alkohol war das weitgehend desinfiziert.
Wo wurden die Toten beerdigt?
In der frühen Zeit man hat ja über 1000 Bestattungen nachweisen können, das hat Wendt sehr gut herausgearbeitet. Es sind wohl doch häufig Fälle eingeliefert worden, die nicht mehr allzu lange gelebt haben. In der frühen Phase hat man die Toten direkt neben dieser Spitalkapelle beerdigt. Die Belegdichte war dann allerdings offensichtlich zu hoch, sodass man ab 1407 die Beerdigungen auf dem Friedhof von St. Peter vorgenommen hat.
Welchen Inhalt hatten die ausgewerteten Urkunden?
Es handelt sich in der Regel um Stiftungen zugunsten des Spitals. Wir sehen eine Vielfalt von Stiftern, sowohl Adelige wie auch Bürger der Stadt Heidelberg, auch von externen Leuten. Auch Heidelberger Bürgerinnen stifteten. Frauen waren durchaus im Bürgerstand, waren also gleichberechtigt. Sehr wichtig ist die Urkunde von 1369. Da stiftet Jutta Senderin eine ewige Messe am Spital. Man sieht, dass sie außerordentlich vermögend war. Bürgermeister und Rat der Stadt bestätigen diese Vereinbarung mit dem großen Siegel der Stadt Heidelberg. Interessant ist noch die Urkunde von 1399. Sie vermittelt einen Einblick in die innere Struktur des Spitals: Es gab einen Spitalmeister Ludolf, der vom Pfalzgrafen eingesetzt wurde. Als Besoldung bekam er jährlich acht Fuder Wein und 20 Pfund Heller Heidelberger Währung. So viel Wein kann er gar nicht selbst trinken, das Fuder umfasste etwa 950 Liter. Er konnte also den Wein verkaufen oder ihn ausschenken. Interessant ist weiter, dass dieser Ludolf und seine Frau sich auch noch absichern: Falls sie selbst krank werden, sollen sie eine Pfründnerwohnung bekommen, nicht nur eine Stube, sondern zwei Kammern zusätzlich sowie Essen, Logis und Getränke frei haben.
Zum Weiterlesen: Ulrich Wagner, Das Spital der Stadt Heidelberg im Mittelalter, in: Heidelberg, Jahrbuch zur Geschichte der Stadt 22, 2018, S. 33 - 53, Heidelberger Geschichtsverein (Hrsg.). Achim Wendt, "der alt Spital allhie zu Heydelberg". Der Grabungsbefund des ehemaligen Hospitals auf dem Heidelberger Kornmarkt. Werkstattbericht zur Auswertung und zu historischen Perspektiven, in: Südwestdeutsche Beiträge zur historischen Bauforschung, 8. 2009, S. 165 - 208.