Kneipen durften am Montagabend noch einmal öffnen, jetzt sind sie geschlossen
Zwischen Trotz und Untergangsstimmung

Von Hans Böhringer
Heidelberg. Auf einmal sind die Lautsprecher über der Bar still, als leises Gemurmel läuft die Musik weiter – auf dem entkoppelten Laptop hinter den Tresen. Leicht belämmert lösen sich 20 Augenpaare von ihren Gläsern und blicken in der Destille umher. Es ist drei Minuten vor zwölf. "Es ist Coronazeit!", ruft Barfrau "AJ" ihren Gästen zu: "Alle raus! Ab jetzt ist Feierabend für unbestimmte Zeit!" Um null Uhr muss die Destille schließen, um null Uhr müssen am Dienstag alle Kneipen der Stadt schließen und geschlossen bleiben für Wochen. So will es die städtische Verordnung gegen die Ausbreitung des Coronavirus.

Früher am Montagabend, gegen 20 Uhr, sind schon über ein Dutzend Leute in der Destille. Man bräuchte einen Meterstab, um zu beurteilen, ob der empfohlene Abstand von eineinhalb Metern zwischen den Gruppierungen eingehalten wird – aber dafür wäre es hier zu eng. Ein wenig abseits, zwischen Tresen und Wand, sitzen Salome, Nele und Leonie. Die drei arbeiten in der Gastronomie und haben für den Rest der Woche frei bekommen. Machen sie sich keine Sorgen wegen des Virus? "Wir sind keine Gefahrengruppe", sagt Salome. "Und bevor nicht alles dichtmacht, bringt das nichts", fügt Leonie hinzu. Salome hofft aber, dass keine komplette Ausgangssperre verhängt wird.
Auch 200 Meter weiter am Marktplatz ist in der Max Bar noch einiges los. Die meisten Gäste sitzen draußen. Die benachbarte Marktstube hat schon geschlossen: Dort tragen Angestellte Stühle und Tische hinein, es wird dauern, bis sie wieder nach draußen kommen. Yunus Durna sorgt sich um seine Leute: "Jetzt stehe ich mit denen da, wo gerade die Saison anfängt." Seit 26 Jahren ist Durna Inhaber der Marktstube. Sein Betrieb habe Rinderwahn, Rauchverbot und Vogelgrippe überstanden – aber die Coronakrise sei etwas ganz anderes: "Wir sind auf das schöne Wetter angewiesen. Jetzt, genau wenn unsere Zeit anfängt, kommt die Schließung", sagt er mit Kopfschütteln. Tatsächlich war am Sonntag noch der Marktplatz voll mit den Gästen der Cafés. Wie wird es nun aussehen? "Wie in einem Science-Fiction-Horrorfilm mit chemischen Waffen", meint Matthias Kuhnlein, Inhaber der Max Bar: "Wir werden sehen, wie man das durchsteht."

Auch in den Restaurants macht man sich Sorgen, wenngleich dort weiterhin die Möglichkeit bestehen wird, Essen zum Mitnehmen zu verkaufen. "Es gibt keine Ausnahmen, keiner kann die Verordnung umgehen", sagt Peter Ueberle, der zusammen mit seiner Frau Maria das Wirtshaus zum Spreisel führt. Hier wird die Abstandsregel eingehalten, denn es sind nur fünf Gäste im Haus. Essen zum Mitnehmen sei eine Überlegung, erklärt Maria Ueberle, da müsse man sich aber noch vorbereiten. Andere Betriebe haben das bereits getan: Das italienische Restaurant Trattoria Trentasette in der Rohrbacher Straße bietet seit Sonntag Lieferung nach Hause sowie ein Drive-in. Da könne man kontaktlos das Essen abholen, das man zuvor per Telefon bestellt habe, erklärt Inhaber Mattia Giannone. Obwohl er von positiven Reaktionen der Kunden berichten kann, sieht er sich mit der Maßnahme keineswegs auf der sicheren Seite: "Es zeigt, wie die Gastro dasteht. Ich würde normalerweise nie auf die Idee kommen zu liefern, aber es geht um Existenzen. Die Leute stehen vor dem Aus."
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Vor der Schließung fährt die Destille noch ein letztes Mal hoch, es ist jetzt 23 Uhr. Die Lautsprecher spielen MC Hammers "Can’t touch this": Das scheint unwahrscheinlich in dem Gedränge. Zwei klettern auf die Tische und tanzen ein wenig, geben es aber schnell auf – ausgelassen ist die Stimmung nicht. "Weltuntergangsstimmung" nennt es Bastian, der an der Bar lehnt. Er hat sich gerade zusammen mit Kilian zwei Schnäpse und einen "Meter", also 16 kleine Bier, bestellt. Die beiden wollen den letzten Kneipenabend nutzen. "Danach geht es halt privat weiter", meint Kilian. Das sei wie damals bei der Prohibition in Amerika: "Nur weil es verboten ist, hören die Leute nicht damit auf."

Trotz und Untergangsstimmung scheinen die Leute noch in manche Kneipen zu ziehen, die meisten in der Unteren sind allerdings komplett leer. Einige Betreiber hatten am Montag gar nicht erst aufgemacht, so auch Daniel Wilson, dem das Mel’s, das Jinx und "Zimmer Küche Bar" gehören: "Ich finde die Schließung sinnvoll, auch wenn es für uns finanziell eine Katastrophe ist. Aber da hängen nicht nur wir dran, sondern auch unsere Mitarbeiter." Man prüfe im Moment, ob man den Angestellten mit Kurzarbeitergeld über die Runden helfen könne, erklärt Wilson: "Wir hoffen, dass die Bundesregierung ihre Versprechen einlöst und schnell und unbürokratisch Hilfe anbietet." Wilson appelliert auch an die Gäste, nach dem Höhepunkt der Krise wieder in die Gastronomie zu kommen.
In der Destille beginnt nun der Countdown. Zehn Minuten vor Mitternacht heißt es hinter der Bar: "Nur noch Schnaps ausschenken." Drei Minuten vor der Sperrzeit beginnt der alte Akt des Rausschmeißens, allerdings energischer und schneller als sonst in Kneipen üblich. Sechs Minuten nach Zwölf schwingt die Tür der Destille ein letztes Mal auf, ein Arm streckt sich hinaus, angelt sich den letzten, der noch zur Barbelegschaft gehört, zieht ihn hinein und schließt die Tür. Draußen schauen sich die Heimgeschickten kurz um – die Sonderbar ist zu, alles ist zu – dann trotten sie langsam davon, strömen auseinander, einer ruft den anderen noch zu: "Bleibt gesund!" Dann wird es still in der Unteren Straße.