Zwei von Angela Siebolds Kindern gehen mit den Kindern einer befreundeten Familie im Handschuhsheimer Feld spazieren. Noch geht das, doch ab Montag könnte es illegal werden, weil die dann verschärften Kontaktbeschränkungen auch für Kinder unter 14 Jahren gelten sollen. Foto: privat
Von Joris Ufer
Heidelberg. Ab Montag sollen sich Mitglieder eines Haushaltes nur noch mit einer weiteren Person treffen dürfen. Auf diese verschärften Kontaktbeschränkungen haben sich Bund und Länder am Dienstag geeinigt. Neu ist: Auch Kinder unter 14 Jahren fallen dann unter die Kontaktbeschränkung. Konkret ausgestaltet werden die neuen Regeln durch eine neue Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg, die am Wochenende erwartet wird. Diskutiert werden dabei zur Stunde sollen auch großzügige Ausnahmen für Familien mit kleineren Kindern bei den Kontaktbeschränkungen. Die RNZ hat mit einigen Heidelberger Eltern gesprochen – über ihren Alltag in der Pandemie und darüber, warum die neuen Kontaktregeln für sie eine Katastrophe sind.
"Bei meinem Ältesten merkt man es am stärksten", sagt Angela Siebold. Die Historikerin lebt mit ihrem Mann und ihren drei kleinen Kindern – im Alter von einem, drei und fünf Jahren – im Stadtteil Bergheim. "Ihm fehlt der Kontakt zu Gleichaltrigen im Kindergarten wirklich sehr stark." Zwar sei es für den Fünfjährigen immer noch leichter als für Einzelkinder, aber auch der Kontakt zu den jüngeren Geschwistern reiche auf Dauer nicht aus.
Grundsätzlich befürwortet sie die Maßnahmen der Regierung, kritisiert aber: "Erwachsene könnten sich immer noch jeden Tag mit jemand anderem treffen, während Kinder nirgendwo alleine hingehen können." Nähme man die Regeln genau, dürfte zum Beispiel ihr Dreijähriger nur noch mit einem Freund spielen, wenn nur von einem der beiden Jungs ein Elternteil dabei ist. Und mit einem anderen Geschwisterpaar dürften sich ihre Kinder so oder so nicht mehr treffen.
Auch Miriam Lemdjadi war bestürzt, als sie von den neuen Regelungen hörte. Die selbstständige Theaterpädagogin hat zwei Kinder im Alter von drei und sechs Jahren. Ihr Alltag sei schwieriger geworden, seit Strukturen wie die Kinderbetreuung weggefallen sind. "Es ist utopisch zu behaupten, dass man Kinderbetreuung und Homeoffice parallel bewältigen kann", bekräftigt sie.
Als Selbstständige habe sie deshalb abends arbeiten müssen. Trotzdem seien die Aufträge irgendwann weggebrochen, da ihr aus Zeitgründen die Möglichkeit fehlte, neue an Land zu ziehen. Sie sagt: "Ich habe das Gefühl, dass man bestraft wird, wenn man Kinder hat." Ein Mensch ohne Kinder könne jeden Tag zehn verschiedene Leute hintereinander treffen.
Dabei bedeutet die Isolation für die Kinder nicht nur eine kleine Unannehmlichkeit, sondern kann handfeste gesundheitliche Folgen haben. Die Psychotherapeutin Patricia Finke-Lange lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Alter von drei und fünf Jahren in der Weststadt. "Den Kontakt mit anderen Kindern kann man nicht ersetzen", erklärt sie.
"Im Alter zwischen null und sechs Jahren ist die Struktur des Gehirns noch in der Entwicklung. Es ist erschreckend, was für einen Schaden die Corona-Politik anrichtet, indem sie diesen Kindern nicht – soweit das möglich ist – normale Beziehungserfahrungen ermöglicht." Das werde bei vielen Spuren hinterlassen und grenze an eine Gefährdung des Kindeswohls.
In ihrer Praxis, sagt Patricia Finke-Lange, behandele sie häufig Patienten mit schweren psychischen Störungen, von denen viele auf einen Mangel an Beziehungen in den ersten Lebensjahren zurückzuführen seien. Auch eine Mutter aus Rohrbach berichtet der RNZ, dass ihr fünf Jahre alter Sohn sich mittlerweile in seine eigene Welt eingeigelt habe und verständlicherweise immer wütender auf die Situation werde.
Bisher haben sich die vier Familien jeweils eine oder zwei weitere befreundete Familien gesucht, die für sie zu den einzigen festen Privatkontakten wurden – eine Maßnahme, die lange als ideal zur Minimierung des Infektionsrisikos galt. Ihr Wunsch ist, dass sie das zum Wohle der Kinder beibehalten können. Wenn die neuen Kontaktbeschränkungen so umgesetzt werden, wie angekündigt, wäre das aber nicht mehr legal. Der Konsens unter den Eltern: Die Bedürfnisse von Familien werden bei den Corona-Maßnahmen nicht ausreichend berücksichtigt.