Ärzte-Verein startet Petition gegen Impfpflicht
Michael Friedl warnt davor, die Krankheit zu dramatisieren

Dass Impfstoffe für Kinder wichtig sind, glauben laut EU-Kommission 92,2 Prozent der Deutschen. Eine Impfpflicht zur Vorbeugung gibt es bisher für keine Erkrankung. Foto: dpa
Von Birgit Sommer
Heidelberg. Kommt die Pflicht zur Masern-Impfung für Kinder? Gesundheitsminister Jens Spahn hat in einem Gesetzentwurf Kita-Ausschluss und Geldbußen für Impfverweigerer angekündigt. Der Verein "Ärzte für eine individuelle Impfentscheidung" mit Sitz in Heidelberg lehnt dies ab. "Die behauptete Gefährlichkeit von Masern gibt es gar nicht", sagt Michael Friedl, Kinderarzt in Heidelberg und Sprecher des Vereins, der rund 600 Mitglieder zählt. "Es gibt in Deutschland und Mitteleuropa seit vielen Jahren keine Infektionskrankheit, die so bedrohlich wäre, dass sie einen derartigen Eingriff in fundamentale Grundrechte rechtfertigen würde."
Zu einem offenen Brief an die Abgeordneten von Bundestag und Landtagen hat der Verein eine Petition gestartet, die von mehr als 63.000 Bundesbürgern unterzeichnet wurde und im Mai noch im Netz steht. Das Quorum, so Friedl, sei bereits erreicht, und der Verein müsse im Bundestag gehört werden.
Unter dem Titel "Deutschland braucht keine Impfpflicht", heißt es: "Die Unterzeichner fordern die Bundesregierung und die Mitglieder des Deutschen Bundestages auf, jede Gesetzesinitiative zur Einführung einer Impfpflicht gegen Masern zu unterlassen und das Recht auf freie und individuelle Impfentscheidung anzuerkennen".
Hintergrund
Masernviren werden beim Sprechen, Husten oder Niesen über kleine Tröpfchen in der Luft übertragen. Die Erkrankung zeigt sich in grippeähnlichen Symptomen und später einem charakteristischen Hautausschlag und schwächt das Immunsystem immens. Eine gefürchtete Folge ist eine
Masernviren werden beim Sprechen, Husten oder Niesen über kleine Tröpfchen in der Luft übertragen. Die Erkrankung zeigt sich in grippeähnlichen Symptomen und später einem charakteristischen Hautausschlag und schwächt das Immunsystem immens. Eine gefürchtete Folge ist eine Gehirnentzündung, zu der es laut "Neurologen im Netz" in etwa 0,1 Prozent der Erkrankungsfälle kommt. Als Spätfolge einer Maserninfektion kann sich eine subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) ausbilden, eine Entzündung der Nervenzellen des Gehirns und des Rückenmarks. In den ersten Monaten 2019 gab es in Deutschland zwar mehr Masernfälle als 2018, aber weniger als etwa 2017 oder 2015. 2015 wurden bundesweit 2465 Fälle registriert, das war laut Robert-Koch-Institut die höchste Fallzahl seit 2001 (6039) und 2002 (4656). Der Fokus der Masernausbrüche in der sogenannten "Europa-Region" lag 2018 in der Ukraine (53.218 ). Hier waren die Impfraten, bedingt durch Krieg und Wirtschaftskrise, stark zurückgegangen. Zu den Ländern mit den meisten Masernkranken 2018 gehören zudem Serbien (5076), Israel (2919), Frankreich (2913) und Italien (2517). In Deutschland waren die Erkrankungszahlen 2018 rückläufig mit 543 Masernfällen (2017: 929). (bik)
Deutschland gehöre zu den Ländern mit den höchsten Impfquoten in Europa, sagt Friedl. Mehr als 97 Prozent der Kinder in den ersten Lebensjahren seien zumindest einmal gegen Masern geimpft, in den meisten europäischen Ländern mit Impfpflicht seien es weit weniger. Friedl, der laut seiner Homepage Patienten schwerpunktmäßig auf Grundlage der klassischen Homöopathie sowie der anthroposophischen Medizin behandelt, spricht sich nicht grundsätzlich gegen die Masernimpfung aus. Er empfiehlt sie nur später als üblich, die erste mit 18 Monaten ("Das ist sicherer"), während sie heute schon für neunmonatige Babys propagiert werde. Zu diesem Zeitpunkt aber machten noch vorhandene mütterliche Antikörper die Impfung oft unwirksam.
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Eine zweite Masern-Impfung hat für Michael Friedl höchstens kurz vor der Pubertät einen Sinn. Norwegen etwa empfehle sie für Elfjährige, das Bundesland Sachsen - wie die meisten europäischen Länder - bislang für Fünfjährige, jetzt aber für Vierjährige. Wobei er weiß: "Die Wirksamkeit der ersten Impfung ist so groß, dass damit eine fast völlige Immunität erreicht wird."
Einen deutlich wachsenden Anteil der Erkrankten bildeten nicht immunisierte Jugendliche und Erwachsene - etwa, weil Anfang der siebziger Jahre Masern selten auftraten und andererseits noch keine Impfung dagegen existierte - sowie Zuwanderer aus der EU, erklärt Friedl. Gerade diese Bevölkerungsgruppen würden durch die geplante Impfpflicht nicht erreicht. Den Besuch einer Kindertagesstätte von der bestätigten Masernimpfung abhängig zu machen, sei deshalb nicht sinnvoll. Eher könnte sich Friedl mit einem begrenzten Betretungsverbot für nicht geimpfte Kinder anfreunden, wenn es einen Masernausbruch gibt.
Als anthroposophisch denkender Arzt hat Michael Friedl keine Angst vor einer Masernerkrankung, wie sie früher praktisch alle Kinder durchmachten. Wichtig sei der richtige Umgang mit dem Fieber: "Masern erzeugen schon mal 40,8 Grad Temperatur."
Die Angst vor Fieber sei unbegründet, sagt er, ein gesunder Kreislauf könne locker damit fertig werden. Hohes Fieber verlange allerdings Ruhe, der kleine Patient müsse abgeschirmt sein von der Außenwelt, von Besuchern und TV-Lärm. Schnelle Fiebersenkung dagegen, wie sie die Mütter heute betrieben, betrachtet er als kontraproduktiv.