Im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos leben derzeit mehr als 20 000 Menschen auf engstem Raum. Noch gibt es hier keinen bestätigten Corona-Fall. Foto: Alea Horst
Von Philipp Neumayr
Heidelberg/Lesbos. Das Coronavirus ist auf Lesbos angekommen. Vor drei Wochen wurde der erste Fall auf der griechischen Insel bestätigt. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis das Virus auch das Flüchtlingscamp Moria erreicht. Über 20.000 Menschen hausen dort auf engstem Raum. Der Heidelberger Fotograf und Seebrücke-Aktivist Daniel Kubirski kennt die Bedingungen vor Ort. Für die Hilfsorganisation Mare Liberum schloss sich der 44-Jährige im Herbst 2019 einer Beobachtungsmission in der Ägäis an und besuchte auch Moria. Wie er die aktuelle Situation in dem Camp einschätzt und was passieren könnte, wenn dort der erste Corona-Fall eintreten sollte, hat er der RNZ im Interview erzählt.
Herr Kubirski, eigentlich wollten Sie Mitte März erneut eine Beobachtungsmission im zentralen Mittelmeer begleiten. Woran ist das gescheitert?
Mein Plan war, dass ich auf das zentrale Mittelmeer fahre mit RESQSHP, einer kleinen NGO (Nichtregierungsorganisation, Anm. d. Red.), die machen eigentlich das, was Mare Liberum in der Ägäis macht, also Menschenrechtsbeobachtungen. Nachdem das geplatzt war, wollte ich für Mare Liberum noch einmal nach Lesbos. Aufgrund der Übergriffe auf Moria und die Geflüchteten war das aber für mich letztlich zu unsicher.
Daniel Kubirski.Foto: PitzerSie sprechen von den Ereignissen nach der Ankündigung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Grenzen zu öffnen.
Das war die totale Eskalation. Da sind Nazi-Mobs mit Eisenstangen durch die Straßen gelaufen und haben richtig Jagd gemacht. Viele NGOs und Journalisten mussten die Insel verlassen. Auch Beobachtungs- und Rettungsmissionen dürfen nicht mehr auf das Wasser. Es ist letztlich das entstanden, wovor viele gewarnt hatten: ein rechtsfreier Raum, in dem niemand mehr Belege liefern kann für das, was passiert. Und dazu kam nun Corona.
Noch gibt es in Moria keinen bestätigten Corona-Fall. Was würde passieren, würde das Virus das Camp erreichen?
Es würde binnen kürzester Zeit sehr viele Menschen dort infizieren. Dazu muss man nicht einmal zur Risikogruppe zählen, die macht im Camp vielleicht zehn Prozent aus. Jeder dort hat keinen ausreichenden Zugang zu Hygiene. Viele sind durch die einfache und schlechte Ernährung geschwächt. Ich bin kein Mediziner, aber ich glaube, das muss man auch nicht sein, um sich auszurechnen, wie wenig geschützt die Menschen dort sind. Wir müssten die Bilder, die wir aus Italien kennen, mit einem unbekannten Faktor multiplizieren.
Was wissen Sie über die hygienische und medizinische Situation im Camp?
Alles wird knapper, die Wasserversorgung wird versucht aufrechtzuerhalten, aber es reicht nirgends. Etwa 170 Menschen teilen sich eine Toilette, eine Dusche teilen sich etwa 240 Menschen und eine Wasserstelle muss über 1300 Menschen versorgen. Es gibt nicht mal genug Seife. Die für die 20.000 Menschen verfügbaren Ärzte und Schwestern kann man an einer Hand abzählen. Geldauszahlungen an Geflüchtete sind eingestellt worden. Die Menschen sind auf sich alleine gestellt.
Was müsste Ihrer Meinung nach jetzt passieren?
Da kann ich mich nur dem anschließen, was viele fordern: die Insel komplett evakuieren. Doch unter den aktuellen Voraussetzungen ist es natürlich noch schwieriger, die Länder von einer Aufnahme weiterer Geflüchteter zu überzeugen. Es gibt viele Forderungen, aber leider nur wenig Bereitschaft. Das allgemeine Interesse ist momentan primär auf Corona gerichtet.
Gibt es etwas, was man von hier aus für die Geflüchteten in Moria tun kann?
In erster Linie kann man spenden. Der Transport der Hilfsgüter auf die Inseln kostet viel Geld. Viele Vereine und Initiativen sind nach wie vor auf den Inseln aktiv, in Moria zum Beispiel der Verein Medical Volunteers International. Generell würde ich mir wünschen, dass sich die Menschen auch in dieser Situation Zeit nehmen, sich zu informieren. Wir müssen uns auch weiter für die Geflüchteten interessieren, da ist die Heidelberger Seebrücke ein guter Ansprechpartner.
Info: Wer für die Arbeit von NGOs spenden will, kann dies online tun, etwa unter www.medical-volunteers.org oder unter www.mare-liberum.org.