Von Klaus Welzel
Heidelberg. Schuldig. Neunmal steht es da schwarz auf weiß. In immer neuen Worten. Denn mit einem einfachen "schuldig" ist es längst nicht getan. Der Autor gab sich redlich Mühe, das "wissenschaftliche Fehlverhalten" mit weiteren imposanten Adjektiven zu versehen: Gravierend, erheblich und schwer(wiegend) seien die Verstöße gewesen. Am Ende heißt es in dem vertraulichen Papier: "Herr Prof. Sohn trägt die Hauptverantwortung für das wissenschaftliche Fehlverhalten im Zusammenhang mit dem Bluttest. Damit hat er einen gravierenden wissenschaftlichen Reputationsverlust nicht nur des Universitätsklinikums Heidelberg, sondern auch der gesamten Universität Heidelberg verursacht."
Ein vernichtendes Urteil, das da Stephen K. Hashmi im Auftrag des Unirektors Bernhard Eitel fällt. Eigentlich wollte Hashmi am Dienstag persönlich Stellung nehmen und bei einer Pressekonferenz des Uniklinikums die wichtigsten Ergebnisse vortragen, die die "Kommission für gute wissenschaftliche Arbeit" seit Mai erarbeitet hat. Seiner Kommission. Denn Hashmi hat als Prorektor den Vorsitz.
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Aus der Pressekonferenz wurde aber nichts, weil Sohn sich juristisch wehrte, weil er eine Vorverurteilung durch die Öffentlichkeit befürchtete, lange bevor das gegen ihn laufende Disziplinarverfahren abgeschlossen sein würde.
So schwieg nicht nur Hashmi, sondern auch Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gesellschaft und Vorsitzender der Unabhängigen Kommission, die wiederum namens des Aufsichtsrates seit April die Fakten sichtet und ordnet - und die zu einem ganz ähnlichen Schluss kam, wie die Hashmi-Kommission.
Sagen, dass sie nichts sagen dürfen: Simone Schwanitz, Matthias Kleiner und Stephen Hashmi (verdeckt) auf dem Weg zur Pressekonferenz am Dienstag im Uniklinikum. Foto: Philipp Rothe
Interessanterweise untersagte das Verwaltungsgericht Karlsruhe nur den Kleiner-Leuten die öffentliche Präsentation. Und zwar, weil diese bereits am 17. Juli einen Zwischenbericht vorgelegt hatten, in dem sie Sohn "Eitelkeit" und "Machtmissbrauch" vorwarfen. Ein glatter Rechtsbruch, wie die Karlsruher Richter feststellten. Denn ein Dienstherr müsse seine Beamten (Sohn ist einer) schützen. "Ungesicherte Vorwürfe gravierender Art dürfen nicht in die Öffentlichkeit getragen werden", heißt es klipp und klar. Wegen Wiederholungsgefahr müsse die Präsentation des Kommissionsberichts abgesagt werden.
Hashmi hätte seinen Part am Dienstag vortragen dürfen, doch die Universität war nur als Gast geladen. Eine schwierige Situation, zumal gegen Sohn ein Disziplinarverfahren läuft. Bedenkt man, dass sich die Uni-Kommission qua Satzung verpflichtet, den Betroffenen zu allen gegen ihn gerichteten Vorwürfen zu hören, so wird die Lage nicht einfacher. Sohns Anwalt versicherte jedenfalls gegenüber der RNZ: "Mein Mandant wurde einmal ganz zu Anfang des Verfahrens angehört; seither nicht mehr."
Das Karlsruher Urteil (gegen das Revision eingelegt werden kann) ist schon so eine schallende Ohrfeige für Kleiner, aber auch für die Uniklinikaufsichtsratsvorsitzende Simone Schwanitz. Denn sie hatte zu der Pressekonferenz eingeladen. Vor der versammelten Medienschar sagte Schwanitz am Dienstag, sie werde alles unternehmen, "damit wir Ihnen die Ergebnisse schon bald präsentieren können".
Nicht nötig. Die RNZ hatte schon vor der abgesagten Pressekonferenz Einblick in beide Berichte. Den von Prof. Hashmi und das fast 400 Seiten dicke Konvolut der Kleiner-Kommission. Beide Schriften sind aufeinander abgestimmt, erwähnen die Existenz des anderen Textes jeweils.
Und beide Gutachten stecken voller innerer Widersprüche. Beginnen wir mit dem Text von Stephen Hashmi. Gleich zu Beginn der Knaller: Den Bluttest mit einer Sensitivität und Spezifität von nahezu 100 Prozent hat es aller Wahrscheinlichkeit nach nie gegeben. Die ehrgeizige Forscherin Rongxi Yang und ihr Team hätten "fundamentale handwerkliche Fehler gemacht", indem sie einfach dieselben Datensätze zweimal untersuchten, statt jeweils unterschiedliche Datensätze zu verwenden. Statistiker des Uni-Instituts für Medizinische Biometrie hätten dies herausgefunden. Und Yang hätte auf deren Expertise während ihrer Zeit in Heidelberg gänzlich verzichtet.
Erstaunlicherweise fragte auch niemand genauer nach, als der Exist-Antrag des Bundeswirtschaftsministeriums in Höhe von einer knappen Million Euro Fördergelder durchging und auch nicht, als der renommierte Hightech-Gründerfonds sich am Projekt "Mammascreen" beteiligen wollte. Das alles spielte sich in den Jahren 2014 bis 2016 ab - lange, bevor es die Bluttestvermarkter-Firma Heiscreen gab. Fazit der Hashmi-Kommission: Wäre bereits in diesem frühen Stadium "sorgfältig vorgegangen worden, wäre es vermutlich nie zum Bluttest-Skandal gekommen". Yang hat also ziemlich viel vermasselt. Dennoch kommt die universitäre Kommission zu dem Schluss, ihr fahrlässiges "Vorgehen begründe für sich allein noch kein wissenschaftliches Fehlverhalten".
Mit so einer wohlwollenden Bewertung wird auch die Forscherin Sarah Schott bedacht. Die Professorin in der Unifrauenklinik von Christof Sohn folgte auf Rongxi Yang, nachdem diese aus dem Projekt gedrängt worden war. Schott versuchte, die Traumquoten von Yang zu reproduzieren, doch auf 98 Prozent Sensitivität und Spezifität der Tumormarker kam sie nie. Sie griff auch auf die Expertise der unieigenen Statistiker zurück: "Diese, wenn auch nicht erfolgreiche Bemühung von Frau Dr. Schott ist positiv zu werten", vermerkt der Hashmi-Bericht. Bei Sohn sieht die Kommission wegen desselben Tatbestands "ein erhebliches wissenschaftliches Fehlverhalten", weil er keine Konsequenzen aus den miserablen Testergebnissen gezogen habe. Schott als hierarchisch untergeordneter Mitarbeiterin sei das dagegen nicht anzulasten.
Man merkt schnell, wohin die Reise geht: Bad Guys, Good Girls. So habe Sohn Yang "aus ökonomischen Gründen" aus dem Projekt herausgedrängt. Und obwohl er und Schott im Grunde von der Materie keine Ahnung gehabt hätten, habe er das Angebot von Yangs Doktormutter, Prof. Barbara Burwinkel, abgelehnt, das "Mammascreen"-Projekt fortzuführen. Selbst als das Wirtschaftsministerium die Exist-Förderung einstellte, sei Sohn stur geblieben.
Versteht sich, dass nach dieser Lesart Sohn auch die PR-Kampagne und das "Bild"-Interview ("Weltsensation") im Alleingang anstrebte. Kritisiert wird jedoch auch der im Juli zurückgetretene Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Andreas Draguhn, der das Universitätssiegel für den unfertigen Bluttest hergab. Laut Hashmi hat er damit "wesentlich dazu beigetragen, dass aus dem individuellen Fehlverhalten von Herrn Prof. Sohn eine institutionelle Krise wurde". Die ebenfalls in die PR-Kampagne und das "Bild"-Interview involvierte Leitende Ärztliche Direktorin, Prof. Annette Grüters-Kieslich, wird dagegen zwar sanft als "unkritisch" gerügt, doch auf eine Bewertung ihrer Rolle in Form eines Fazits verzichtet der Bericht ganz.
Da sind Hashmi und seine Kollegen ganz nah an der Kleiner-Kommission. Wobei deren Urteil auf einem Bericht beruht, den zwei Anwälte der Mannheimer Kanzlei Schilling, Zutt & Anschütz verfasst haben. Sie haben zu diesem Zweck zahlreiche Beteiligte angehört, wie die Klinikumsvorstände Grüters-Kieslich, Irmtraut Gürkan, die Forscher Yang und Burwinkel sowie Sohn und Scott, den TTH-Geschäftsführer Markus Jones, aber nicht den Investor Jürgen Harder.
Die RNZ, die den Bluttest-Skandal mit seinen zahlreichen Verästelungen aufdeckte, wird oft in dem Bericht der Unabhängigen Kommission zitiert. Entsprechend werden die Abläufe so dargestellt, wie es schon in dieser Zeitung stand.
Neu sind jedoch die einzelnen Wertungen. Und da fällt besonders Grüters-Kieslich auf (sie ist noch bis 31. Oktober im Amt), die auch in diesem Bericht stellenweise mit Samthandschuhen angefasst wird, während sich über Sohn belastende Zitate finden, die dann nicht verifiziert werden konnten, also vermutlich falsch sind. So die Aussage, er habe zwecks Werbung für die PR-Kampagne im Fakultätsvorstand gesagt: "Wir werden alle reich." Doch außer demjenigen, der das Zitat ins Kommissionsprotokoll brachte, kann sich keiner erinnern. Bei so einer Redewendung?
Die Kleiner-Kommission lässt ansonsten die Forscherin Schott sehr gut wegkommen und verweist an vielen Stellen auf Versuche der Heiscreen-Mitgesellschafterin, wenigstens die Pressekonferenz vom 21. Februar zu verhindern. Auch habe sie Sohn gebeten, ihren Namen von dem Vortrag zu streichen, den er später in Düsseldorf auf einem von ihm mitorganisierten Fortbildungskongress für Gynäkologen hielt. Grund: Der Chef hatte eigenständig ein paar Zahlen eingefügt. Bei der Düsseldorfer Pressekonferenz und im Video für "Bild" war sie dann aber dabei.
Zu den Guten gehören auch die Kaufmännische Direktorin Gürkan und ihr Stellvertreter Jones. Beide haben sich vehement gegen die PR-Kampagne zu einem so frühen Zeitpunkt ausgesprochen. Über Gürkan war das bekannt, sie ging dennoch zum 31. Juli in den Ruhestand, weil das Vertrauensverhältnis zum Aufsichtsrat nicht mehr vorhanden gewesen sei. Jones wiederum ist freigestellt - weshalb, dazu findet sich in beiden Berichten kein triftiger Grund.
Beide Kommissionen kommen zu dem Fazit, strukturelle Schwächen hätten den Bluttest-Skandal erst ermöglicht. Eine Person, die im Zentrum der Geschehnisse stand, sagte vor Kurzem zur RNZ: Es waren nicht die Strukturen. Es waren die Personen. Liest man den Kleiner-Bericht, scheint das zu stimmen. Außer Jones und Gürkan kämpfte im Grunde jeder gegen jeden. Schuldig? Ja. Fast alle.