Beratungsstelle "Anna"

Unter diesen schlimmen Umständen arbeiten Prostituierte in Heidelberg

Mirjam Kern und Nora Bretschi helfen Frauen in der Prostitution - Es gibt 14 bordellähnliche Betriebe in der Stadt

03.05.2019 UPDATE: 07.05.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 42 Sekunden

Beim Diakonischen Werk in Heidelberg gibt es jetzt die Beratungsstelle "Anna" für Menschen in der Prostitution. Mirjam Kern (links) und Nora Bretschi haben sie aufgebaut. Foto: Hentschel

Von Birgit Sommer

Heidelberg. Man sieht sie normalerweise nicht in Heidelberg, aber man weiß, dass es sie gibt: Frauen in der Prostitution. Ihre Zahl wird auf rund 300 geschätzt - so viele haben sich beim Ordnungsamt angemeldet und eine Arbeitserlaubnis eingeholt. Es könnten aber auch viel mehr sein.

Oft geht es diesen Frauen nicht so gut. Das wissen Mirjam Kern und Nora Bretschi. Die jungen Sozialarbeiterinnen haben beim Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Heidelberg seit Sommer 2018 in Teilzeit die Beratungsstelle "Anna" aufgebaut - benannt wurde diese nach der Heidelbergerin Anna Blum, der Stifterin von Frauenhilfseinrichtungen im Großherzogtum Baden. Vom Land Baden-Württemberg kommt eine Impulsförderung für ein Jahr. Die Diakonie und das städtische Amt für Chancengleichheit stehen fest hinter "Anna".

Es gibt wohl 14 bordellähnliche Betriebe in der Stadt, darunter ein Laufhaus. Die meisten Frauen, die dort arbeiten, sind Rumäninnen, Bulgarinnen, neuerdings auch Ungarinnen. "80 Prozent kommen aus Osteuropa", sagt Nora Bretschi, "und sie sind oft noch jung, zwischen 20 und 30 Jahre alt." Bei ihnen machen sich Bretschi und Kern bekannt, indem sie ganz einfach nachmittags in die Betriebe gehen.

Das Wichtigste ist erst einmal, Vertrauen gewinnen, ins Gespräch kommen, Flyer abgeben, auf denen sie aufgelistet haben, was die Beratungsstelle tun kann: Begleitung zu Ämtern, Beratung zum Prostituiertenschutzgesetz, Hilfestellung bei der Suche nach Wohnungen oder bei Schwangerschaft. Dabei helfen auch die großen Netzwerke in Stadtverwaltung und Diakonie.

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Die Flyer sind an kleine Geschenke gebunden, die die Frauen gerne annehmen: Feuerzeuge, Lippenbalsam, Kulis, kleine Haarbürsten. Wichtig ist auch: Es stehen Dolmetscherinnen für Rumänisch, Bulgarisch, Kroatisch zur Verfügung. Denn Deutsch können die Mädchen nicht, wenn sie eintreffen, und sie haben auch kaum Gelegenheit, es zu lernen.

Eigentlich wollen sie nur Geld verdienen. Meist geht es ihnen darum, ihre Familie im Heimatland zu versorgen. Doch das, so Mirjam Kern, sei schwierig. Sie zahlten hier Miete, oft für private Wohnung und Arbeitsplatz gleichzeitig, dazu brauchen sie Essen, Hygieneartikel, Medikamente. Krankenversichert sind die meisten nicht, schon, weil sie gar nicht wissen, wie das in Deutschland geht.

Gesundheitliche Probleme gibt es dafür viele: Oft leiden sie dauerhaft unter Unterleibsschmerzen und sind psychisch sehr belastet. Die Beratungsstelle "Anna", so Kern, könne aus Spenden Medikamente oder Laborkosten finanzieren. Denn auch das ist ein großes Thema im Milieu: Schulden.

Mit Dr. Wolfgang Heide haben die Frauen in Heidelberg auch einen Gynäkologen, der sie ehrenamtlich und kostenlos versorgt. "Einfach mit einem Arzt sprechen zu können, ist eine Wertschätzung, die sie sonst nicht erfahren", sagt Mirjam Kern. Heide, der auch einige Jahre für die gleichartige Mannheimer Beratungsstelle "Amalie" arbeitete, spricht sich klar für ein Verbot der Prostitution in Deutschland aus: "Die Versklavung und Ausbeutung ist so groß, das lässt sich nicht mehr anders regeln."

Reeperbahn-Romantik kann der Mediziner nirgendwo erkennen: "Man muss den Freiern klar machen, was sie da tun: Es sind Frauen in Not, die sich da gegen wenig Geld vergewaltigen lassen." Einer seiner krassesten Fälle: Eine Frau, die schon drei Tage nach der Entbindung ihres Kindes unter unerträglichen Schmerzen weiterarbeiten musste.

Eine Beratung beim Gesundheitsamt ist für Frauen in der Prostitution ebenfalls vorgeschrieben, sie muss von über 21-Jährigen alle zwölf Monate und unter 21 Jahren alle sechs Monate wahrgenommen werden. Die Anmeldebescheinigung des Ordnungsamtes gilt für in der Prostitution Tätige ab 21 Jahren für zwei Jahre, unter 21 Jahren für ein Jahr. Mit der Anmeldung ist auch ein Informations- und Beratungsgespräch verbunden.

Für die beiden Sozialarbeiterinnen beim Diakonischen Werk war ihre Arbeit zuerst ungewöhnlich. "Wir kannten das Milieu nicht", erklärt Nora Bretschi: "Wir wussten nicht, was auf uns zukommt. Die erste Zeit war aufregend für uns." Dass sie zu zweit sind, hilft.

Mirjam Kern: "So können wir reflektieren und uns austauschen." Immer wieder bestärken sie auch Fortbildungen, zum Sozialgesetzbuch oder zur Krankenversicherung, zu Menschenhandel oder zur psychosozialen Beratung, zu Gesprächsführung oder Ausstieg.

Ihr Fokus lag von vornherein darauf, für die Frauen in der Prostitution einfach da zu sein. Diese Arbeit ist nicht immer ganz toll. "Es ist deprimierend, wenn man sieht, dass sexuelle Dienstleistung gekauft werden kann", findet Nora Bretschi, und Mirjam Kern sagt: "Man lernt Heidelberg noch einmal neu kennen. Das macht was mit einem."

Info: Menschen in der Prostitution, auch deren Angehörige erhalten Informationen und Hilfe unter anna@dwhd.de. Sprechzeiten bei "Anna" in der Karl-Ludwig-Straße 6 von 9 bis 16 Uhr, freitags nur bis 12 Uhr.

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