Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Drei Tage lang herrschte in der Wohngemeinschaft in der Weststadt Ausnahmezustand: Die Feiernden tranken Alkohol, rauchten Marihuana, sogar Kokain soll konsumiert worden sein. Am Ende verging sich ein Mann an seiner Mitbewohnerin, als sie erschöpft einschlief. Amtsrichterin Walburga Englert-Biedert verurteilte den 51-Jährigen wegen des sexuellen Übergriffs und einer anschließenden Körperverletzung zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Die Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt.
Das Jahr 2016 neigt sich dem Ende zu und zwischen Weihnachten und Neujahr soll eine große Party in der Dreier-WG steigen. Der dritte Mitbewohner übernimmt die Organisation und lädt den Großteil der Gäste ein. "Am Anfang war alles völlig normal", erzählt Katharina B. (Name geändert), eine zierliche Frau, der Richterin. Sie alle hätten viel getanzt, getrunken, Drogen konsumiert und während der Feier immer irgendwo ein wenig geschlafen.
Als die Party am Vormittag des dritten Tages endet und viele Gäste gegangen sind, andere in der Wohnung verteilt schlafen, ist Katharina B. bereits auf dem Sessel im Wohnzimmer, das auch das Zimmer des Angeklagten ist, eingeschlafen.
"Um offen zu sein: Ich war total bekifft, betrunken und müde", gesteht die heute 25-Jährige. Als nächstes erinnert sie sich daran, wie sie auf der Matratze ihres Mitbewohners aufwacht, "dass ich seine Hand gespürt habe und sie weggetan habe".
Dass der Angeklagte seine Hand in ihre Unterhose geschoben hat, gibt er zu. "Er ging davon aus, dass sie wach war", erklärt sein Anwalt. Er habe die Matratze gerichtet, habe Kissen und Decken holen wollen, und als er zurückkam, habe Katharina B. dort bereits gelegen. "Das wertete er als Signal, einen weiteren Schritt tun zu können", führt sein Anwalt weiter aus und betont, dass sein Mandant viel getrunken hatte: "Er will nicht alles auf den Alkohol schieben, aber er denkt, er hätte sich das sonst nicht getraut." Immer schon habe er sich zu seiner Mitbewohnerin hingezogen gefühlt, habe sich erst hinter sie, dann einen Arm um sie gelegt. Sie habe ihre Hand auf seiner platziert.
Diese Version der Geschichte bezweifelte das Gericht. Katharina B. habe sogar von "Delirium" gesprochen, als sie ihren Zustand auf dem Sessel beschrieb. Eine Freundin habe sie wohl auf die Matratze gelegt. Dass sie wach gewesen sei, hält das Gericht für ausgeschlossen.
Außerdem müsse dem Angeklagten klar gewesen sein, dass die junge Frau keinen Körperkontakt gewollt habe. Immer wieder habe er in den Monaten des Zusammenlebens versucht, sich ihr anzunähern. Dabei habe sich Katharina B. nie belästigt gefühlt, erzählt sie: "Aber ich habe gemerkt: Das ist mir zu viel." In einem Gespräch nur einige Tage vor der Feier will sie ihm das klar gemacht haben.
Zu der Körperverletzung soll es am nächsten Tag gekommen sein, als Katharina B. in dem Wohnzimmer nach etwas gesucht habe. Der Angeklagte habe ihr gesagt, sie solle sein Zimmer verlassen. "Doch ich wollte mich nicht von jemandem herumkommandieren lassen, der mich angefasst hat." Er hat sie also herauszudrängen versucht. Die junge Frau setzte sich zur Wehr, prallte mit dem Kopf gegen den Türrahmen und zog sich einen Muskelfaserriss im Oberschenkel zu.
Was Katharina B. ihrem ehemaligen Mitbewohner allerdings hoch anrechnet, ist die "aufrichtige Entschuldigung" und dass er ihr freiwillig 3000 Euro Schmerzensgeld anbot.