Von Marion Gottlob
Dem schwarzen Schaf ist ein Ohr abgebrochen! Die Figur liegt auf dem Schreibtisch von Hermann Bunse, der das Ohr sorgfältig wieder anklebt. Danach stellt er das Tier wieder zur "Krippe am Fluss", damit auch ein "schwarzes Schaf" dem Jesuskind nahe sein darf. Im Jahr 2000 hatte der Diplom-Theologe und Pastoralreferent der Stadtkirche Heidelberg die Idee für diese besondere Krippe, die inzwischen von Zehntausenden Besuchern bewundert wurde. Das Weihnachtssymbol mit den rund 90 Figuren ist kein romantisches Werk, im Gegenteil. Diese ungewöhnliche Krippe hat das Ziel, die Geburt Christi mit unserer Zeit zu verbinden. So stehen Maria, Josef und Jesus dieses Mal auf einer Müllhalde - die moderne und bildliche "Übersetzung" des traditionellen Stalls von Bethlehem in unsere Gegenwart.
Darf man das? Jesus mitten im Müll? Beim Aufbau der Krippe stellten Besucher sofort neugierige Fragen. Genau das möchten die Macher mit dem Arrangement erreichen - es soll zum Nachdenken anregen. So war auch der Protest einer Dame gegen eine Clownsfigur letztendlich nicht störend - vielmehr wurde darüber diskutiert, dass die Figur des Narren, der im Schutz seiner Maske die Wahrheit sagen darf, dem Jesuskind selbstverständlich eine Rose bringen darf - zumindest bei dieser besonderen Krippe, die in dieser Installation (Müll hin oder her) ihren Platz an der Alten Brücke mit Blick auf die Heidelberger Altstadt findet.
Die Geschichte der Krippe begann mit der Renovierung der barocken Jesuitenkirche. Es war klar, dass die Kirche jahrelang eine Baustelle sein würde. Eine Familiengruppe bastelte aus "armen Materialien", also aus Papier, Draht, Kleister und Farben, die ersten Figuren mit einer Höhe von 60 Zentimetern. "Die Alte Brücke wurde zum Symbol und zur Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Himmel und Erde", erklärt Bunse. Insassen des Gefängnisses "Fauler Pelz" in der Altstadt beteiligten sich an dem Projekt - die Krippe zeigt Hände, die durch die Gitter nach der Freiheit greifen. Auf einem Banner steht: "Mach’s wie Gott - werde Mensch."
Die Krippe ist ein solcher Erfolg, dass sie jedes Jahr mit neuen Gestalten aktualisiert wird. Alle Figuren mit typischen Gesichtern hat Margot Kornmann modelliert. Die neue Mutter Teresa in diesem Jahr ist ihr Vermächtnis - es war ihre letzte Arbeit, bevor sie vor wenigen Tagen überraschend verstarb. Es ist eine Mutter Teresa, die schwer an zahlreichen Kreuzen trägt. Es sind Kreuze, die uns alle angehen: Im Hintergrund ist das tiefe Wasser zu sehen, in dem Flüchtlinge ertrinken.
Die Krippe kennt die Gleichzeitigkeit der Zeiten: Adam und Eva gehören genauso zu der Installation wie Nelson Mandela. Papst Franziskus lässt die roten Schuhe stehen und wendet sich den Menschen in ihrer Not zu. Die Reformation wird in dieser Darstellung mit Luther zu einer Erinnerung an die lebendige Ökumene. Der großen Angst vor dem Fremden wird der kleine Jesus entgegengesetzt. "Das Kind ist ein Symbol für das Urvertrauen", so Bunse. In dem Arrangement findet auch die Lebensfreude ihren Platz. Für sie stehen die Fußballer, ganz klar. Einige Schritte weiter sieht man die Figuren von Heidelbergern, die sich für HIV-Infizierte und Aidskranke einsetzen. Und Prostituierte gehören ebenfalls zur Krippe, denn ihnen gab der erwachsene Jesus Hoffnung.
Regelmäßig müssen Figuren repariert werden - so fehlt dieses Mal die Arche Noah, weil sie mit ihren vielen Tieren eine Generalüberholung benötigt. Erstmals ging die Heidelberger Krippe im vergangenen Sommer auch auf Wanderschaft: Wochenlang war sie in Erlangen zu sehen. "Wir haben die Figuren in zwei Lastwagen transportiert", berichtet Bunse. Für das kommende Jahr ist eine Präsentation in Essen geplant. Bunse freut sich: "Das ist besser, als wenn sie nur im Keller stehen würde."
Doch jetzt nimmt die Krippe erst mal wieder in Heidelberg, in "ihrer" Jesuitenkirche, ihren Platz ein. Ihre Botschaft fasst Bunse so zusammen: "Sie möchte Respekt, Achtung und Behutsamkeit im Miteinander lehren."
Info: Die "Krippe am Fluss" in der Jesuitenkirche ist bis 2. Februar täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen.