Walldürn-Hardheim

Viel Wirbel um den "Wasen"

Stadt will Grünstreifen trotz Gegenwehr als Baugebiet ausweisen - Elf Stimmen nach Alleingang in Verbandsversammlung ungültig

29.05.2020 UPDATE: 30.05.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 17 Sekunden
Das Hardheimer Baugebiet „Trieb II“ bietet ausreichend Platz für 85 neue Bauplätze. Derzeit ist nicht geplant, weitere große Wohnbauflächen in der Kerngemeinde auszuweisen.

Walldürn/Hardheim. (jam) Der Flächenverbrauch steigt stetig – trotz stagnierender Bevölkerungszahlen. Die Ursache ist bekannt: Jeder einzelne Mensch beansprucht mehr Raum und Komfort als noch vor einigen Jahrzehnten. Dieser Trend wird aktuell in der Gemeinde Walldürn besonders deutlich. Sie will – oder wie Bürgermeister Markus Günther sagen würde: "muss" – rund 17 Hektar zusätzliche Wohnbaufläche ausweisen, um den Bedarf bis 2032 zu decken. Weil die Stadt nach Norden, Süden und Osten kaum Chancen hat, sich auszudehnen, will die Verwaltung ausgerechnet ein Naherholungsgebiet im Wasen als Baugebiet ausweisen. Die Kritik an diesem Vorgehen hat nicht lange auf sich warten lassen. In der Sitzung der Verbandsversammlung am Donnerstag stand der "Vordere Wasen II" erneut im Fokus.

Dabei wurde deutlich, dass Walldürn mit seinem Wachstumsplänen nicht alleine dasteht. Je nach rein theoretischer Berechnungsmethode benötigt Hardheim ebenfalls zusätzliche 11 bis 16 Hektar Wohnbaufläche. Für Höpfingen prognostizieren die Rechenmodelle entweder einen Zuwachs um vier Hektar oder eine Schrumpfung um knapp einen Hektar. Um diesen Prognosen Rechnung zu tragen, lässt der Gemeindeverwaltungsverband aktuell einen neuen Flächennutzungsplan unter dem Arbeitstitel "FNP 2030" aufstellen. In der Verbandsversammlung nahm dieser nun eine weitere bürokratische Hürde – allerdings nicht ohne einen kleinen Skandal, bei dem ein Walldürner Mitglied der Versammlung mit einem Schlag die Hälfte der Stimmen des Gremiums ungültig machte.

Markus Kreis weigerte sich, den Entwurf für den "FNP 2030" zu billigen, und positionierte sich damit gegen die restlichen Walldürner Mitglieder. "Was der Herr Kreis da macht, ist nicht demokratisch", wandte an dieser Stelle ein aufgebrachter Verbandsvorsitzender ein. Markus Günther wies darauf hin, dass Kreis mit seinem Abstimmungsverhalten die elf Stimmen der Stadt Walldürn ungültig macht. Denn: "Die mehreren Stimmen eines Verbandsmitglieds können nur einheitlich abgegeben werden", heißt es in Paragraf 13 des Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit.

Im Höpfinger Baugebiet „Heidlein II“ wird bereits fleißig gebaut. Die geplante „Heidlein-Erweiterung“ bringt weitere 4,61 Hektar Wohnbaufläche.

Kreis aber beharrte auf seinem Alleingang. Er sehe hinter dem Entwurf "kein schlüssiges Konzept", kritisierte den hohen Flächenbedarf und sprach sich für einen Erhalt des Naherholungsgebiets aus. Darüber hinaus bemängelte er das lethargische Vorgehen der Stadt bei der Innenentwicklung: "Es reicht nicht, die Grundstückseigentümer mit einem Schreiben zu kontaktieren. Man muss die Leute begeistern, etwas für ihre Stadt zu machen."

Egal wie man zu seiner Kritik steht: Mit der Gegenstimme widersetzte sich das CDU-Mitglied dem Auftrag, den ihm der Walldürner Gemeinderat in einer vorherigen Abstimmung mehrheitlich erteilt hatte. Dass sich das einzige AfD-Mitglied in der Verbandsversammlung ebenfalls entgegen der Vorgaben enthielt, änderte nichts am Ergebnis: Die Hardheimer und Höpfinger Mitglieder der Verbandsversammlung gaben ihre Zustimmung, also kann der damit gebilligte Entwurf des "FNP 2030" nun ausgelegt werden.

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Laut Stadtplaner Marius Bergmann vom Ingenieurbüro IFK aus Mosbach beginnt die Offenlegung nach den Pfingstferien. Mindestens einen Monat lang haben Betroffene dann Gelegenheit, den Entwurf einzusehen und Stellungnahmen abzugeben. Die Verwaltung muss die Kritik dann prüfen. Ergeben sich daraus wesentliche Änderungen im Entwurf, muss die Offenlegung wiederholt werden. Stimmt das Gremium schließlich dem finalen Abwägungsvorschlag zu, geht der Entwurf an das Landratsamt, das seine Genehmigung erteilen muss. "Das Verfahren wird voraussichtlich Ende des Jahres 2020 abgeschlossen", lautet die doch sehr optimistische Einschätzung des Ingenieurbüros IFK.

Im Rahmen der Sitzung hatte Stadtplaner Bergmann bereits einige Stellungnahmen zum "FNP 2030" aus der frühzeitigen Beteiligung vorgetragen. Daraus wurde deutlich, wie viel Kritik die Pläne der drei Gemeinden schon jetzt geerntet haben – vonseiten des Regierungspräsidiums, des Landratsamts, des Regionalverbands, aber auch von einer Bürgerinitiative und einzelnen Bürgern. Größter Streitpunkt ist – wie erwartet – der Wohnbauflächenbedarf. Während die Behörden ihre Vorbehalte vorsichtig formulieren ("Wir bitten, die Flächenausweisungen insgesamt kritisch zu hinterfragen"), finden die Bürger teils deutliche Worte: "Ich lehne eine übertriebene Erweiterung im ländlichen Raum, die jeder Grundlage entbehrt, strikt ab."

Fast alle privaten Stellungnahmen greifen die Problematik des "Vorderen Wasen II" auf. "Zahlreiche Beschwerden sind dazu eingegangen", sagte Bergmann, der den Walldürner Grünstreifen als "eine der kritischsten Flächen" bezeichnete. Die Schreiber beklagen den drohenden Verlust eines Naherholungsgebiets, von Streuobstwiesen, von Lebensraum für Mensch und Tier und von landwirtschaftlicher Nutzfläche. Trotz all dieser Einwände "hält die Stadt Walldürn weiterhin an der alternativlosen Wohnbauflächenausweisung fest", wie es im Behandlungsvorschlag für diese Kritik heißt.

Damit die Stadt Walldürn den "Vorderen Wasen II" überhaupt als Baugebiet ausweisen darf, ist sie auf grünes Licht vom Regierungspräsidium angewiesen. "Lehnt das RP unser Zielabweichungsverfahren ab, müssen wir die Fläche herausnehmen", erklärte Bergmann. Denn der "Vordere Wasen II" ist im Regionalplan der Metropolregion Rhein-Neckar als Vorbehaltsgebiet für die Landwirtschaft und als regionaler Grünzug dargestellt.

Wie das RP Karlsruhe auf Nachfrage bestätigt, befindet sich das Referat für Raumordnung derzeit im Entscheidungsprozess. Pressesprecherin Clara Reuß: "Weil es ein laufendes Verfahren ist, können wir keine Aussagen zu den Inhalten machen. Wann es eine Entscheidung gibt, ist noch nicht absehbar." Doch selbst wenn die Raumplaner in Karlsruhe das Anliegen der Walldürner durchwinken, bleiben enorme Herausforderungen.

So hat das Ingenieurbüro Walter Simon berechnet, dass die Pläne für den "Vorderen Wasen II" die Schutzgüter Grundwasser, Landschaftsbild und Erholung, Pflanzen und Tiere sowie Boden "erheblich beeinträchtigt". Um diese Eingriffe in die Natur zu kompensieren, muss die Stadt ein Defizit von 1.650.000 Ökopunkten ausgleichen. Zum Vergleich: Für den geplanten Netto-Markt in Höpfingen sind rund 75.000 Ökopunkte fällig.

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