Die AWO-Seniorenwohnanlage liegt im Herzen Walldürns und steht Menschen ab 60 Jahren offen. Der Neckar-Odenwald-Kreis gilt aufgrund seiner hohen Altersstruktur als „Risikopatient“ für höhere Corona-Werte. Foto: Martin Bernhard
Von Martin Bernhard
Neckar-Odenwald-Kreis. Einen unrühmlichen Rekord in der Corona-Krise erreichte der Neckar-Odenwald-Kreis am 19. Dezember 2020: Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz in Höhe von 386,4 verzeichnete er den höchsten Wert aller Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg und war damit zu einem Hotspot geworden. Danach war der Wert innerhalb von acht Tagen um gut 150 gefallen. Worauf sind diese stark schwankenden Zahlen zurückzuführen? Und warum ist in unserem dünn besiedelten Landkreis dieser Wert generell so hoch?
"Corona-Zahlen steigen wieder", meldete der Landkreis am vergangenen Donnerstag, und das trotz Lockdowns. Nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) lag der Neckar-Odenwald-Kreis mit einer Sieben-Tages-Inzidenz von 163,6 auf Platz drei in Baden-Württemberg hinter den Stadtkreisen Pforzheim (Inzidenz 185) und Heilbronn (168,3). Der Wert für ganz Baden-Württemberg lag bei 98,6.
Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz berechnet sich aus der Summe aller bestätigten Coronafallzahlen innerhalb der vergangenen sieben Tage in Bezug auf 100.000 Einwohner. In unserem Landkreis zählte man am Donnerstag für die vergangenen sieben Tage insgesamt 235 Coronafälle. Bezogen auf die Einwohnerzahl von 143.633 errechnet sich eine Sieben-Tage-Inzidenz in Höhe von 163,6.
Dass die Zahlen in unserem Landkreis stark schwanken, lässt sich unter anderem auf die vergleichsweise geringe Einwohnerzahl zurückführen. Denn wenn es hier zu einem größeren Ausbruchsgeschehen kommt, zum Beispiel in einem Altenheim, wirkt sich dieses auf den Inzidenzwert wesentlich stärker aus als in einwohnerstärkeren Stadt- und Landkreisen. Der benachbarte Rhein-Neckar-Kreis zum Beispiel zählt die dreifache Einwohnerzahl des Neckar-Odenwald-Kreises und steht mit einer Inzidenz von 99,7 vergleichsweise gut da.
Als am 19. Dezember im Altenheim "Domus Cura" in Hüffenhardt für rund 100 Bewohner zuzüglich Pflegekräfte positive Coronatests gemeldet wurden, sprang allein deshalb der Inzidenzwert des Neckar-Odenwald-Kreises um mindestens 70 Punkte nach oben; im Rhein-Neckar-Kreis wäre dies bei einem vergleichbaren Ausbruchsgeschehen nur um den Wert von etwa 23 der Fall gewesen. Wenn nach sieben Tagen ein solch hoher Wert aus der Statistik der Inzidenzberechnung herausfällt, bedeutet das automatisch ein deutliches Sinken der Sieben-Tage-Inzidenz.
Nach Angaben des RKI ist eine Corona-Infektion vor allem für ältere Menschen gefährlich. Diese verfügen in der Regel nicht über ein so leistungsfähiges Immunsystem wie Jüngere und leiden häufiger an Vorerkrankungen. Deshalb stecken ältere Menschen sich tendenziell leichter an. Außerdem nimmt die Krankheit in dieser Altersgruppe häufiger einen schwereren Verlauf als bei Jüngeren. So waren Mitte Januar deutschlandweit 89 Prozent der an oder mit Corona verstorbenen Menschen älter als 70 Jahre. Im Neckar-Odenwald-Kreis betrug das Durchschnittsalter der an oder mit Corona Gestorbenen Mitte Januar nach Angaben des Landratsamts rund 82 Jahre.
Ein Blick in die Statistik zeigt, dass der Neckar-Odenwald-Kreis wegen seiner Altersstruktur als "Risikopatient" für höhere Coronawerte gilt. Denn nach Angaben des Statistischen Landesamts ist hier der Anteil von Menschen ab einem Alter von 65 Jahren mit 21,3 Prozent an der Gesamtbevölkerung höher als im Landesdurchschnitt mit 20,0 Prozent.
Hinzu kommt, dass der Neckar-Odenwald-Kreis landesweit pro 1000 Einwohner über die meisten teil- oder vollstationären Pflegeeinrichtungen und die höchste Anzahl an pflegebedürftigen Personen in solchen Einrichtungen verfügt. Für das Jahr 2019 hat das Statistische Landesamt 42 solcher Heime gezählt, darunter – laut Landratsamt – 34 vollstationäre Altenheime mit 2059 Bewohnerplätzen.
Doch nicht nur bei der Zahl der Pflegebedürftigen in stationären Heimen bezogen auf die Einwohnerzahl ist der Landkreis führend. Er befindet sich auch beim Anteil der über 65-jährigen, die voll- oder teilstationär gepflegt werden müssen, in der Spitzengruppe. Pro 1000 Einwohner werden hier 59 Personen dieser Altersgruppe stationär gepflegt. Nur in den Stadtkreisen Pforzheim (62) und Heilbronn (60) ist dieser Anteil höher. In der Statistik der von ambulanten Pflegediensten betreuten Menschen ab 65 Jahren pro 1000 Einwohnern befindet sich unser Landkreis mit dem Wert von 62 landesweit auf Platz zwei hinter dem Enzkreis (63). Das spiegelt sich auch in der Anzahl des eingesetzten Pflegepersonals wider. Hier belegen diese beiden Landkreise mit einem Wert von 15 Pflegekräften pro 1000 Einwohner gemeinsam den vordersten Platz.
Wo es mehr Pflegeheime gibt, wird mehr getestet. Wenn mehr getestet wird, ist die Wahrscheinlichkeit höher, mehr positiv getestete Fälle zu erhalten. Dies bewirkt höhere Fallzahlen in der Statistik und damit eine höhere Sieben-Tage-Inzidenz. Wie viele Corona-Tests bisher im Neckar-Odenwald-Kreis vorgenommen wurden, kann Landkreis-Pressesprecher Jan Egenberger nicht sagen. Die Anzahl der Testungen nahm deutschlandweit allerdings seit dem Frühjahr erheblich zu, auch weil Tests behördlich häufiger angeordnet wurden. So musste bis Mitte Januar Personal von Pflegeeinrichtung zweimal in der Woche getestet werden. Seit 16. Januar wird auf Anweisung der Landesregierung dreimal wöchentlich getestet.
Besucher und andere externe Personen, die eine Pflegeeinrichtung aufsuchen, benötigen einen Test mit einem negativen Ergebnis, um eingelassen zu werden. Gibt es einen bestätigten Corona-Fall in einer Einrichtung, werden außerdem alle Bewohner einmal pro Woche getestet – unabhängig davon, ob sie Krankheitssymptome aufweisen. So sinnvoll all diese Maßnahmen sind, um Risikogruppen vor einer Infektion zu schützen – sie tragen sehr wahrscheinlich zu statistisch höheren Fallzahlen und einer höheren Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis bei.