Besorgnis angebracht, Angst nicht

So gehen Sie angemessen mit dem Coronavirus um

Die RNZ hat im Gesundheitsamt des Neckar-Odenwald-Kreises nachgefragt

11.03.2020 UPDATE: 12.03.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 16 Sekunden
In den Laboren, die Abstriche auf das neuartige Coronavirus untersuchen, herrscht derzeit Hochbetrieb. Im Neckar-Odenwald-Kreis gibt es mittlerweile zwei bestätigte Infektionen, 27 Verdachtsfälle werden derzeit untersucht. Foto: dpa

Neckar-Odenwald-Kreis. (schat) Es bleibt das bestimmende Thema, auch in der Region: Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus beschäftigt die Menschen im Neckar-Odenwald-Kreis weiterhin. In größeren Unternehmen werden inzwischen Überlegungen zu möglichen "Worst-case-Szenarien" und Pandemieplänen angestellt, Vereine, Gruppen und Institutionen sagen reihenweise Veranstaltungen ab, das Landratsamt vermeldet den zweiten bestätigten Corona-Fall im Kreis. Wie ernst muss man die Lage nehmen, wie gelassen darf man bleiben? Wie kann man sich und andere schützen? Und wie geht es weiter? Wir haben bei der Leiterin des Gesundheitsamts des Neckar-Odenwald-Kreis, Dr. Martina Teinert nachgefragt.

Das neuartige Coronavirus ist inzwischen auch in der Region angekommen. Es gab Hamsterkäufe, Veranstaltungen werden abgesagt. Aus fachlicher Sicht: Wie ernst ist die Lage?

Es handelt sich ohne Frage um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Die Mehrzahl der Infektionen verläuft ohne schwere Komplikationen, andererseits gibt es auch schwere Krankheitsverläufe, wobei tödliche Verläufe, wie bei der Grippe, vorkommen können. Wichtig ist hier ein ausgewogener und besonnener Umgang mit der Gefährdungssituation.

Dr. Martina Teinert. Foto: zg

Was sollen Menschen, die Symptome bei sich feststellen, tun?

Zunächst sollte man bei grippalen Symptomen wie Fieber und Husten zu Hause bleiben und nicht aus falsch verstandenem Pflichtgefühl zur Arbeit gehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich hierbei um einen Infekt oder die Influenza handelt, ist größer als die einer Coronainfektion. Falls sich die Symptomatik so verschlechtert, dass man dringend einen Arzt benötigt, sollte man – wie sonst auch – telefonisch Kontakt zum Hausarzt aufnehmen.

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Personen, die nach der Falldefinition des Robert Koch-Instituts Kontaktpersonen ersten Grades sind, das heißt einen 15-minütigen Kontakt von Angesicht zu Angesicht hatten mit einer Person, bei der durch eine Laboruntersuchung das Virus nachgewiesen wurde oder die in einem ausgewiesenem Risikogebiet war und typische Symptome hat, sollten sich telefonisch mit diesem Hinweis beim Hausarzt melden, um die Anamnese zu prüfen und das weitere Vorgehen festzulegen. Falls notwendig wird der Hausarzt dann hierzu Rücksprache mit dem Gesundheitsamt halten.

Und was ist die Aufgabe des Gesundheitsamtes?

Das Gesundheitsamt versucht von einer anderen Seite – und zwar ausgehend vom infizierten Patienten – die Infektionskette zu durchbrechen. Die Ärzte des Amtes stehen in Kontakt mit den infizierten Patienten, ermitteln über Kontaktpersonenlisten diejenigen, die sich angesteckt haben könnten, und legen das weitere Vorgehen für jeden einzelnen Patienten fest. Hierunter fallen auch Patienten, die uns von anderen Gesundheitsämtern gemeldet werden.

Bisher konnten im Neckar-Odenwald-Kreis die beiden Patienten, die sich infiziert haben, zu Hause behandelt werden. Nur bei Komplikationen ist die Klinikeinweisung notwendig. Hiervon sollte auch möglichst lange Gebrauch gemacht werden, um die Klinikbetten nicht unnötig zu belegen. So arbeiten alle drei Säulen des Gesundheitswesens zusammen: Die ambulante Versorgung, die stationäre Versorgung und das öffentliche Gesundheitswesen auf der epidemiologischen Schiene.

Die Reaktionen auf die jüngsten Entwicklungen reichen von Panik bis Gleichgültigkeit. Beide Extreme scheinen unangebracht, oder?

In der Tat. Panik ist sicherlich auf keinen Fall angebracht und auch nicht zielführend. Aber vor einer Gleichgültigkeit warne ich auch explizit. Es bedarf jetzt schon der Mithilfe aller Bürgerinnen und Bürger, um die Infektionsketten zu unterbrechen. Und das ist mit ganz einfachen Maßnahmen, die den Alltag nur minimal beeinflussen, möglich.

Was kann denn der Einzelne (ganz ohne in Aktionismus zu verfallen) wirklich sinnvollerweise tun, um sich vor dem Coronavirus zu schützen und eine Ausbreitung zu verhindern?

Jeder Einzelne sollte darüber nachdenken, ob er seine sozialen Kontakte minimieren möchte. Wie bei der Influenza und anderen akuten Atemwegsinfektionen schützen die Hust- und Niesregeln, gute Händehygiene sowie Abstand zu Erkrankten (ca. ein bis zwei Meter) auch vor einer Übertragung des neuartigen Coronavirus. Auch auf das Händeschütteln sollte verzichtet werden. Generell sollten Menschen, die an einer Atemwegserkrankung leiden, nach Möglichkeit zu Hause bleiben. Die massiven Anstrengungen des Gesundheitsamtes verfolgen weiterhin das Ziel, die Ausbreitung des Virus hier vor Ort so weit wie möglich zu verzögern. Dadurch gewinnen wir wertvolle Zeit, insbesondere für Schutzmaßnahmen für besonders gefährdete Gruppen.

Wie gefährlich ist das Virus ihrer Meinung nach wirklich, und wer sollte besonders auf sich achten?

Wie bei der Grippe steigt das Risiko einer schweren Erkrankung ab 50 bis 60 Jahren stetig an. Insbesondere ältere Menschen können, bedingt durch das weniger gut reagierende Immunsystem, nach einer Infektion schwerer erkranken. Auch verschiedene Grunderkrankungen wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Erkrankungen des Atmungssystems scheinen, unabhängig vom Alter, das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf zu erhöhen. Gerade ältere Patienten sollten deshalb nicht allzu sorglos mit dem Thema umgehen und sich durch die bekannten Hygieneregeln und das Meiden von größeren Veranstaltungen schützen.

Wie verhält es sich bei Kindern?

Bei Kindern wurde bislang kein erhöhtes Risiko für einen schweren Erkrankungsverlauf festgestellt.

Wie verläuft denn eine Coronavirus-Erkrankung im Normalfall? Oder gibt es den Normalfall gar nicht?

Eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus kann zu Symptomen wie Fieber, trockenem Husten, Schnupfen und Abgeschlagenheit führen, auch über Atemprobleme, Halskratzen, Kopf- und Gliederschmerzen oder Schüttelfrost wurde berichtet. Einige Betroffene leiden an Übelkeit und Durchfall. Die Krankheitsverläufe variieren stark, von symptomlosen Verläufen bis hin zu schweren Lungenentzündungen. Nicht alle Erkrankungen verlaufen schwer; auch bei den meisten in China berichteten Fällen war der Krankheitsverlauf mild. Im Zentrum der Behandlung der Infektion stehen dann die optimalen unterstützenden Maßnahmen entsprechend der Schwere des Krankheitsbildes. Eine spezifische Therapie oder eine Impfung steht derzeit noch nicht zur Verfügung. Das wäre dann der Normalfall, den wir aber hier nicht haben.

Im Kreis gibt es zwei bestätigte Fälle und mehrere häusliche Absonderungen. Wie geht es den Betroffenen?

Es geht allen nach unseren Informationen gut – einschließlich den Patienten, bei denen das Virus tatsächlich nachgewiesen worden ist. Die positive Nachricht ist, dass wir auch schon einige wieder aus der häuslichen Isolation entlassen konnten. Wir reduzieren diese doch eingreifende, aber im Infektionsschutzgesetz vorgesehene Maßnahme natürlich auf das medizinisch notwendige Maß. Und klar ist auch: Wir werden, wie am Mittwochmorgen, weitere Fälle bekommen. Allein 27 Verdachtsfälle untersuchen wir gerade.

Eine ganz persönliche Frage zum Schluss: Fürchten Sie sich vor dem neuartigen Virus?

Nein, aber ich habe Respekt davor. Ich habe in meiner Zeit im Gesundheitsamt schon drei Pandemien bearbeitet, sodass die Situation nicht völlig neu ist und wir unsere bewährten Strategien ja auch umsetzen. Dennoch erfordert die Dynamik der Virusverbreitung und vor allem die lange Inkubationszeit schon unsere vollen Kräfte im Landratsamt, aber natürlich auch bei den Haus- und Fachärzten und in einem nächsten Schritt bei den Neckar-Odenwald-Kliniken.

Deshalb ist es tatsächlich wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger und auch die Verantwortlichen für Gemeinschaftseinrichtungen sich gut informieren und die Hygienemaßnahmen einhalten, um wiederum die medizinischen Institutionen möglichst zu entlasten. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal darauf hinweisen, dass es aus epidemiologischer Sicht viele vernünftige Gründe dafür gibt, größere Veranstaltungen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

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