Von Rüdiger Busch
Hardheim. "Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung", wusste schon der Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). Wenn diese Erinnerungen noch dazu mit unbeschwerten Kindheitstagen, mit dem Kauf von Süßigkeiten oder dem heiß ersehnten Lieblingscomic verbunden sind, dann überrascht es nicht, dass vielen Hardheimern der Abschied von Schreibwaren Schubotz schwerfällt. Das Fachgeschäft, das zu Hardheim gehört wie der Erfapark oder der Steinerne Turm, wird zum 31. Januar seine Pforten für immer schließen - wenn sich nicht doch noch ein "Weihnachtswunder" ereignet, wie Christine Koch, die Tochter von Inhaberin Irmgard Schubotz, im Gespräch mit der RNZ aufzeigt.
Es sind gesundheitliche Gründe, welche die 67-Jährige dazu zwingen, ihr Lebenswerk aufzugeben. Vor 31 Jahren, am 1. April 1985, hatte Irmgard Schubotz, die zuvor als Verkäuferin im "Neukauf" im Einkaufszentrum Erfapark gearbeitet hatte, ihren Laden in der Bürgermeister-Henn-Straße eröffnet. Die Tradition des Geschäftes, das zwischenzeitlich kurz als Schreibwaren Klein firmierte, reicht aber noch weitaus länger zurück: Ältere werden sich noch gut an Schreibwaren Seufert erinnern, das in dem Geschäftshaus ab dem 1. April 1956 sein Domizil hatte und neben Schreibwaren auch Musikinstrumente und Spielwaren im Sortiment hatte.
Vieles hat sich im Lauf der Jahrzehnte auch bei Schreibwaren Schubotz getan. Anfangs gab es noch eine Auswahl an Büchern im Sortiment, und im Nebenraum betrieb Wolfgang Eis eine Videothek. Was hat sich noch geändert? "Bastelbedarf wird heute viel weniger nachgefragt als früher", antwortet Christine Koch, "es wird ja heutzutage allgemein weniger gebastelt."
Geblieben sind dagegen bis zum heutigen Tag die Hauptgeschäftsfelder: Schreibwaren, Schulbedarf, Zeitschriften, Tabakwaren sowie Lotto. Daneben ist im Laden noch die Annahmestelle einer Reinigung eingerichtet. Geblieben sind aber vor allem auch die Kunden, denn sie strömen auch in Zeiten neuer Konkurrenz durch Discounter oder das Internet in den Laden. "Wir haben viele Stammkunden", berichtet Christine Koch. Der Einzugsbereich geht dabei weit über Hardheim hinaus - von Miltenberg bis Walldürn kommen die Kunden. Und die ziehen die persönliche Beratung und den direkten Kontakt dem anonymen Kauf im Internet oder beim Discounter vor. Zumal das Fachgeschäft auch preislich durchaus wettbewerbsfähig sei, wie Christine Koch herausstellt.
"Wir haben viele Kunden groß werden sehen", berichtet Irmgard Reisenauer, die seit über 30 Jahren in dem Laden arbeitet. Kinder, die vor 30 Jahren Süßigkeiten gekauft haben, kämen heute mit den eigenen Kindern vorbei und kaufen Schulhefte. Es sind diese Begegnungen und die zugehörigen Erinnerungen, die deutlich machen, weshalb die anstehende Schließung bei so vielen Menschen in Hardheim und darüber hinaus Wehmut erzeugt. Viele Kunden hätten schockiert auf die Nachricht reagiert: "Bei manchen sind sogar Tränen geflossen!"
Ein offenes Ohr für die großen und kleinen Kunden, ein kurzer Plausch hier, ein aufmunterndes Wort vor der Klassenarbeit da - das sei ihrer Mutter immer sehr wichtig gewesen, sagt Christine Koch: "Die Kunden werden ihr fehlen, ebenso der Kontakt zu den Menschen."
Nicht nur zu den Kunden, auch zu den Mitarbeitern hat Irmgard Schubotz immer ein gutes Verhältnis gepflegt: "Wir waren ein Herz und eine Seele", erinnert sich Irmgard Reisenauer, die mit Angelika Henn und Waltraud Horn-Dieterle das Verkäuferinnenteam bildet.
Ans Aufhören habe ihre Mutter auch mit 67 Jahren noch nicht gedacht, sagt Christine Koch. Deshalb habe es bis zuletzt auch keine konkreten Bemühungen um einen Nachfolger gegeben. Nun ist ihre Tochter kurzfristig gezwungen zu reagieren und sich auf die Suche nach einem potenziellen Betreiber zu machen.
Es gab Gespräche mit Interessenten, doch das Risiko der Selbstständigkeit und die ausgedehnten Öffnungszeiten - werktags von 7 bis 18 Uhr - würden wohl abschreckend wirken. Christine Koch selbst hat ebenfalls kurz darüber nachgedacht, das Lebenswerk ihrer Mutter fortzuführen - doch ihren Beamtenstatus aufzugeben kam für die Pädagogin letztlich nicht in Frage. Noch hat sie aber die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich doch noch ein Nachfolger findet.
So schmerzlich die Geschäftsaufgabe für Christine Koch, ihre Mutter und die Mitarbeiterinnen ist, so zeigen die Reaktionen der Kunden, welche Sympathien sich Irmgard Schubotz und ihr Team über Jahrzehnte erworben haben. Eine Trennung fällt schließlich nur dann schwer, wenn mit dem Verlust schöne Erinnerungen verbunden sind. In diesem Fall sind es besonders schöne Erinnerungen, die von vielen Menschen in Hardheim und darüber hinaus geteilt werden. Ein tröstlicher Gedanke, der den Abschied zumindest etwas leichter macht.