Oberwittstadt. Am 31. Oktober jährt sich der Todestag des fränkischen Schriftstellers Benno Rüttenauer zum 75. Mal. Dieser Gedenktag ist willkommener Anlass für seinen Heimatort Oberwittstadt, seines größten Sohnes zu gedenken. In einer Veranstaltung des Heimat- und Kulturvereins, zu dem die Bevölkerung und Literaturfreunde am Samstag, 31. Oktober, um 19.30 Uhr im Vereinsheim eingeladen sind, stellt Realschullehrer a.D. Gerhard Weiß Leben und Werk Rüttenauers unter besonderer Berücksichtigung der in Oberwittstadt spielenden Texte vor.
Gerhard Weiß, der sich intensiv mit Leben und Werk Benno Rüttenauers befasst, hat über den Schriftsteller den nachstehenden Artikel verfasst:
Aus heutiger Sicht ist es höchst erstaunlich, dass es Benno Rüttenauer nach seiner äußerst bescheidenen achtjährigen Dorfschulzeit zu einem angesehenen Schriftsteller und Kunstsachverständigen brachte. Er war bereits mit 22 Jahren Lehrer an einem Freiburger Gymnasium, begann mit seinen schriftstellerischen Arbeiten und promovierte an der dortigen Universität.
Bis 1903 wechselte Rüttenauer immer wieder zwischen seiner Lehrertätigkeit und zahlreichen Bildungsreisen, die ihn bis nach Nordafrika und besonders häufig nach Frankreich führten. Dann ließ er sich in München nieder und wurde zu einem der wichtigsten Köpfe der dortigen Kulturszene. Er schrieb zahlreiche Bücher, teils Fachliteratur zu künstlerischen Themen, aber überwiegend Novellen und Romane, von denen ein erheblicher Teil im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts spielt. In mehreren Werken setzt er sich sehr kritisch mit dem militaristischen Denken seiner Zeit auseinander.
Den größten Erfolg hatte er mit dem 1913 erschienenen Roman "Alexander Schmälzle - Lehrjahre eines Hinterwinklers". Ein Auszug daraus, der das Kriegsjahr 1866 thematisiert, erschien bei Reclam unter dem Titel "Weltgeschichte in Hinterwinkel". Besondere Verdienste erwarb sich Rüttenauer als Übersetzer der Werke von Stendhal und Balzac. In den späten 1920er Jahren las er sogar bei Rundfunkübertragungen aus seinen Werken. 1928 wurde er in den Literaturbeirat der Stadt München berufen.
"Alexander Schmälzle" spielt - wie andere Werke - in seinem Heimatdorf Oberwittstadt. Manche Leser hatten Probleme mit dem Inhalt, einige fühlten sich persönlich verunglimpft. Diese Kritik war allerdings nicht angebracht, denn die literarischen Figuren transportieren nur in wenigen Fällen Vorgänge, die bestimmten Personen zugeordnet werden konnten. In Wirklichkeit ist der Roman ein hervorragend gelungenes Werk mit wunderbaren Naturbeschreibungen, Erzählungen aus der Kindheit, mit meisterhaft gestalteten Figuren.
Überdeutlich wird die Sympathie für die armen Leute bei gleichzeitiger Distanz zu den "Starken" der Gesellschaft. Gerade einige Frauen sind als bedauernswerte Außenseiterinnen dargestellt.
Im Zenit seines Erfolges stand Rüttenauer in der Weimarer Zeit. Zu seinem 75. Geburtstag lud die Stadt München zu einem Festbankett, an dem der bayrische Kultusminister, der Oberbürgermeister und zahlreiche Größen aus Kunst und Kultur, unter anderem Thomas Mann, teilnahmen. Sein Verleger ehrte ihn durch eine Großauflage des "Alexander Schmälzle" und eine Sonderausgabe mit dem Titel "Aus der Landschaft von Hinterwinkel", in der auch drei Erzählungen enthalten sind, die in Oberwittstadt spielen.
Allmählich verflog auch in Oberwittstadt der Groll über den vermeintlichen "Nestbeschmutzer" und man war zunehmend stolz auf den großen Sohn. Zu seinem 75. Geburtstag verlieh man Rüttenauer die Ehrenbürgerwürde. Diese Auszeichnung nahm er hoch erfreut an.
In seinem Dankschreiben heißt es: "Alle Ehrenbürgerrechte, die mir Universitäten und Weltstädte verliehen haben, verblassen gegen diesen Ehrenbürgerbrief von Wittscht...": Bis ins hohe Alter weilte er im Sommer oft im Elternhaus bei seinem Bruder und war häufiger Gast bei der Familie Ostner, den Besitzern des Gasthauses "Hirschen", wo zu seinen Ehren noch in den 50er Jahren ein Dichterwinkel eingerichtet war.
Zu den Nationalsozialisten hielt Rüttenauer sich klar auf Distanz. Nach deren Machtergreifung wurden alle Bereiche der Kultur "gleichgeschaltet". Am 10. Mai 1933, dem Tag der Bücherverbrennung durch Goebbels in Berlin, wurden in München Thomas Mann und Benno Rüttenauer ohne ein Wort des Dankes aus dem Literaturbeirat ausgeschlossen. Aber eine letzte Ehrung wird ihn sicher besonders gefreut haben: Im Mai 1940, wenige Monate vor seinem Tod, wurde ihm der Johann-Peter-Hebel-Preis verliehen. Diese Auszeichnung ist bis heute der wichtigste Literaturpreis Baden-Württembergs nach dem Schillerpreis.
Leider geriet sein Werk immer mehr in Vergessenheit. Offensichtlich untergegangen ist auch der Beschluss anlässlich der Kreis- und Gemeindereform in den 70er Jahren, dass der Literaturpreis des Neckar-Odenwald-Kreises Rüttenauers Namen tragen sollte.
Inzwischen bemüht sich sein Enkel Clemens Rüttenauer um das Erbe des Großvaters. Ihm ist es zu verdanken, dass man sich über sein Leben und Werk in dem Online-Lexikon Wikipedia informieren kann und viele seiner Bücher im "Projekt Gutenberg" dokumentiert sind, wo sie im Internet gelesen werden können. Drei Titel erfuhren Neuauflagen im Verlag "Tredition Classics", von vielen Werken sind E-Books auf dem Markt.
Natürlich sind zahlreiche Originalausgaben auch antiquarisch zu haben. In jedem Oberwittstadter Haus sollte jedenfalls zumindest der "Alexander Schmälzle" nicht fehlen!