Ein literarischer Pfad für Krimi-Queen Ingrid Noll
Weinheim setzt seiner Erfolgsautorin bereits zu Lebzeiten ein Denkmal. Wanderer erfahren von ihr an 13 Stationen Wissenswertes über die Stadt.

Von Günther Grosch
Weinheim. Ingrid Noll bleibt ganz bescheiden. "Zu viel der Ehre", sagt sie, "aber stolz darüber bin ich trotzdem". Wo anderen meist erst posthum ein Denkmal gesetzt wird, darf sich die "Grande Dame des eleganten Mordens", wie Oberbürgermeister Manuel Just die Erfolgsautorin nennt, seit Mittwoch über eine weitere Auszeichnung freuen. Nach ihrer 2020 erfolgten Ernennung zur "Botschafterin für Weinheim" gibt es in der Zweiburgenstadt als Hommage an die 86-jährige Erfolgsautorin nun auch einen literarisch angehauchten "Ingrid-Noll-Weg".
"Gott sei Dank hat mir die Stadt kein solches steinernes Denkmal gesetzt", merkt die Schriftstellerin am Startpunkt des Pfads hintersinnig an. Sie meint die auf dem Marktplatzbrunnen thronende Justitia. Ausgehend von dieser Position können Krimifreunde – und nicht nur die – aus Nolls Munde ab sofort mit Hilfe von auf Smartphones gescannten QR-Codes an 13 Stationen Wissenswertes über Weinheim erfahren. Wer es lieber gemütlich mag: Unter www.weinheimerwege.de/ingrid-noll lässt sich der Weg vom heimischen Sofa aus digital nachgehen.
Ingrid Noll gehöre unbestritten zu den bekanntesten Weinheimer Persönlichkeiten, sagt Oberbürgermeister Just im Rahmen einer kleinen Einweihungszeremonie vor illustrer Runde. Neben der Lektorin des Diogenes-Verlags, Ursula Baumhauer, und "Krimi-Schwester" Claudia Schmid lassen es sich auch der Präsident des Landeskriminalamtes (LKA) Baden-Württemberg, Andreas Stenger, und sein Nachfolger als Mannheimer Polizeichef, Siegfried Kollmar, nicht nehmen, der Autorin ihre Referenz zu erweisen.
Zumal Noll für die beiden Spitzenbeamten ja fast schon eine Kollegin ist, wurde sie doch vor einiger Zeit zur "Ehrenhauptkommissarin" befördert. Ebenfalls mit dabei: ihr Sohn Biber Gullatz, ein bekannter Film-, Theater- und Fernsehkomponist. Als LKA-Präsident sei es für ihn Ehrensache, bei der Einweihung des Weges dabei zu sein, so Stenger, der es von seinem Wohnort in Heddesheim nicht weit hatte und sich als "großer Fan" der Bestsellerautorin outet. Nolls Romane seien stets bestens recherchiert und kriminalistisch nicht weniger gut dargestellt. Was die Ermittlungen der Polizei allerdings unheimlich erschwere: "Ihre Mörderinnen kommen immer sympathisch rüber."
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Als die Stadt vor einigen Monaten ein neues Tourismuskonzept erarbeitete, habe man sich eingestanden, "die beliebteste und berühmteste Weinheimerin eher schlecht als recht" in Szene gesetzt zu haben, schildert Rathaussprecher Roland Kern die Hintergründe des Projekts. Als Ergebnis des "Brainstormings" stand ein "digital gepflasterter" Ingrid-Noll-Weg – auf dem die Schriftstellerin witzig und charmant jeweils mit dem "Roten Hahn" als Erkennungslogo, virtuell rund um das Herzstück der Stadt, den Marktplatz, kreist und Geschichten aus ihrem kriminalistischen Jagdrevier erzählt.
So plaudert "die nette Dame mit Leiche(n) im Keller" (Literaturwissenschaftlerin Helga Arend) vor der St. Laurentius-Kirche über die Kunstwerke und Denkmäler der Stadt. Wie sie selbst im Alter von 55 Jahren zum Schreiben kam und über ihr Erstlingswerk, den 1991 erschienenen Roman "Der Hahn ist tot".
Das Kurpfälzische Schloss bildet den Schauplatz historischer Ereignisse und seiner hier ehemals lebenden, schillern-den Bewohner. Hier liest Noll eine Schlüsselszene aus ihrem verfilmten Erfolgsroman "Die Apothekerin" (1994). Im Schatten der Alten Zeder erzählt sie mit einem Augenzwinkern über das Älterwerden und ihre eigene "altersgemäße Materialermüdung".
Am Gingko-Baum im Schlosspark spricht Noll über ihre Kindheit in China, wo sie diesen Baum erstmals kennenlernte. So geht es weiter von Station zu Station. Unterhalb des "Blauen Turms", der im Mittelalter als Gefängnis diente, berichtet sie von einer Lesung in einem "Männerknast". Und den Abstecher zu dem in dessen Nähe befindlichen Heilkräutergarten nutzt sie, um darauf hinzuweisen, dass Kräuter nicht nur schmecken und heilen, sondern auch die Gesundheit gefährden können: "Bis zum Tod durch Vergiften", wie in der "Apothekerin" nachzulesen ist. So geht es rund eineinhalb Stunden zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt – bis es bei der Rückkehr des Wanderers zu einem tödlichen Unglück kommt. Oder war es möglicherweise sogar Mord? "Stenger und Kollmar, übernehmen Sie!"
"Wo sonst als in Weinheim könnte mein Heim sein, behauptet die Lady von Crimeheim": Auch dieser Zweizeiler, mit dem sich Noll vor gut zwei Jahren im Goldenen Buch der Stadt verewigte, zeugt von der Liebe der Schriftstellerin zur Großen Kreisstadt, in deren nördlichem Teil sie seit rund 55 Jahren wohnt. Sie freue sich auf viele "Begeher des Weges", sagt die Geehrte und verhehlt auch ihre eigene Neugier nicht, einmal selbst den Weg entlangzulaufen.
Vorsichtshalber entschuldigt sich Noll schon mal bei den Stadtführern, denen sie mit ihren Plaudereien und "lustigen Einsprengseln" auf keinen Fall Konkurrenz machen wolle. Der RNZ berichtet sie am Rande, dass das Manuskript für ihren nächsten Fall bereits halb fertig bei ihr zu Hause in der Schublade liege. "Voraussichtlich im Frühjahr kommenden Jahres", so Noll, soll das Werk erscheinen. Schon jetzt darf sich Weinheim auf einen Boom von Krimitouristen freuen.
Der neue Roman spielt übrigens ebenfalls in der Stadt. "Ein sogenannter Heimatkrimi wird es nicht werden, aber die Einheimischen werden erfreut auf bekannte Lokalitäten stoßen", verspricht Noll. Inhaltlich gehe es um Psychogramme, um menschliche Beziehungen, um verdrängte Probleme, die irgendwann nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden könnten.
Ihr Lieblingsort in Weinheim sei eigentlich der Schreibtisch in ihrem Arbeitszimmer. Von dort könne sie in den Garten schauen, auf Bäume, in den Himmel. "Wenn ich aber meine Höhle verlasse, dann liebe ich - wie alle anderen Weinheimer – den Hermannshof, den Marktplatz, den Schlosspark", schwärmt Ingrid Noll.
Update: Mittwoch, 10. November 2021, 20.10 Uhr