Von Frederick Mersi
Schriesheim. "Lässt sich da nicht noch irgendwas machen?" Hartmut Gilbert schaut wehmütig Richtung Westen. Zahllose Tage und Nächte hat der 51-Jährige in der Christian-Mayer-Volkssternwarte am Ladenburger Fußweg verbracht, selbst an Heiligabend sei er spontan hingefahren, sagt er. "Nein, sie ist wohl nicht mehr zu retten", sagt Monika Maintz, die bis zuletzt zum Leitungsteam gehört hatte. Die Tage der Sternwarte, einst wahr gewordene Utopie einer Gruppe von Hobby-Astronomen, sind gezählt. Das Gelände soll "einem anderen Zweck zugeführt" werden, sagt Stadtkämmerer Volker Arras.
Es ist das Ende einer Geschichte mit einem kometenhaften Aufstieg und einem jahrelangen schleichenden Niedergang, die der Einrichtung und ihres Betreibervereins, der Arbeitsgemeinschaft Volkssternwarte Schriesheim (AVS). Alles begann mit großem Enthusiasmus. Am 12. April 1969, drei Monate vor der ersten Mondlandung, gründeten fünf weltraumbegeisterte Klassenkameraden den Astronomie-Club Schriesheim. Die Mitglieder organisierten vor allem Ausstellungen, gleichzeitig entstand aber die Idee, eine öffentliche Sternwarte zu bauen. "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg", lautete der Leitspruch.
Um den Traum zu realisieren, gründete eine Gruppe junger Schriesheimer um Kurt Seib im Juli 1976 die AVS. Schon zum Jahresende stellte der Verein eine erste Planung für die Sternwarte vor, 1977 gab der Gemeinderat zunächst 65.000 D-Mark für den Bau frei. Es dauerte noch zwei Jahre, bis die Stadt nahe der A 5 ein geeignetes Gelände fand. Erst im Februar 1980 begann der Bau der Sternwarte. Um Geld zu sparen, packten die Vereinsmitglieder fast überall selbst an. 10.800 Arbeitsstunden flossen in den großen Traum, in die Tiefen des Universums blicken zu können. 1983 übergab der Verein das Gebäude samt Inventar der Stadt, 1984 folgte die feierliche Eröffnung. Ein Mammutprojekt war abgeschlossen, doch die Arbeit begann erst.
Die Hobby-Astronomen organisierten mindestens 50 Veranstaltungen, Vorträge und Gesprächsrunden pro Jahr. So war es mit der Stadt vereinbart worden. Gleichzeitig träumten einige Mitglieder davon, die Anlage zu erweitern. Ein zweiter Bauabschnitt wurde schon in den 80er Jahren geplant, doch die Umsetzung stockte.
"Wir waren zehn Jahre jedes Wochenende am Bauen", erinnert sich Gerhard Hirth, der in den Neunzigern zur AVS stieß. Die Mitgliederzahl des Vereins erreichte einen Rekordstand, die meisten kamen von außerhalb Schriesheims in die Einrichtung gefahren. Gleichzeitig waren die Ziele sehr unterschiedlich: Während die einen in die Tiefen des Universums schauen wollten, hatten andere vor allem die Sternwarte als Gebäude im Blick.
Als Sternwarten-Pionier Kurt Seib 2010 den Vorsitz des Vereins an Peter Wright weitergab, offenbarten sich immer größere Probleme. Die Mitgliederzahlen sanken, der Zustand des Gebäudes wurde immer schlechter. Mit der Stadt gab es zudem Streit um Zuschüsse. "Das war ein Teufelskreis", sagt Monika Maintz rückblickend. "Wir haben uns bei der Instandhaltung des Gebäudes aufgerieben, um Geld erwirtschaften zu können. Gleichzeitig mussten wir durch Veranstaltungen Geld erwirtschaften, um das Gebäude zu sanieren." Viele Sterngucker verloren die Begeisterung. "Man hätte damals eventuell schon sehen können, dass das Projekt nicht mehr zu retten war", sagt Maintz.
Mit Oliver Dreissigacker leitete sie den Verein bis 2017. "Die letzte Veranstaltung war der ,Türöffnertag‘ der ,Sendung mit der Maus’ am 3. Oktober 2016", sagt er. "Den Tag der offenen Tür an Pfingsten hatten wir da schon abgesagt, weil nicht mehr genügend Leute da waren." 2017 wurde der Verein an Weihnachten aufgelöst - nach 41 Jahren. Wo einst ein Wille war, sahen die Mitglieder keinen Weg mehr.
Jetzt steht die Sternwarte am Ladenburger Fußweg leer, das Gelände wuchert zu, in einigen Räumen riecht es vermodert. Das Gebäude darf aus Brandschutzgründen nicht mehr genutzt werden. Am Sonntag haben Freiwillige der Robert-Mayer-Sternwarte Heilbronn Geräte und Bücher abgeholt, die sie noch verwenden oder archivieren können. Was mit dem Gebäude geschehen wird, ist unklar. "Wir werden den Gemeinderat bis spätestens Anfang 2020 über das weitere Vorgehen unterrichten", sagt Kämmerer Arras. Es ist das Ende einer Reise zu den Sternen und wieder zurück.