In einem Gelände wie diesem sind Rehkitze kaum auszumachen. Foto: Dorn
Von Philipp Weber
Weinheim. Der Bericht über eine beinahe verhinderte Rettung von Rehkitzen im Vorderen Odenwald hat auf der Facebook-Seite dieser Zeitung hohe Wellen geschlagen – und die "Rehkitz-Rettung Weinheim und Umgebung" auf den Plan gerufen. Die RNZ und andere Medien hatten berichtet, dass lärmgeplagte Anwohner Rauchwarnmelder abgestellt hatten, mit deren Hilfe Rehkitze von einer Weide gerettet werden sollten. Anders als der örtliche Jagdpächter und die Ortsvorsteherin hält Initiator Michael Ehlers wenig davon, die Kitze mit zweckentfremdeten Rauchmeldern vor dem Mähtod zu bewahren.
"Ich will keinen der Beteiligten in Rittenweier und Heiligkreuz persönlich kritisieren", so Ehlers. Aber er möchte mit ihnen ins Gespräch kommen und verdeutlichen, dass piepsende Rauchwarnmelder zwei Probleme verursachen: Zum einen sei das über Stunden anhaltende Geräusch sehr unangenehm – was übrigens eine Anwohnerin auf Facebook bestätigt. Zum anderen seien die Piepser auch ein Risiko für die Jungtiere: Werden die Geräte nach einem oberflächlichen Gang über die Wiese angestellt, kann es leicht passieren, dass noch Kitze da sind, zu denen sich die Geisen nicht mehr zurücktrauen. Schließlich müssen sich die Muttertiere ab und an vom Nachwuchs entfernen, um selbst zu fressen. Wenn am Morgen darauf die Mahd beginnt, ist es um die Kitze geschehen.
Ehlers und seine rund 20 Mitstreiter setzen auf eine andere Methode. Wenn es die örtlichen Gegebenheiten zulassen, nutzen sie eine Drohne, die wiederum mit einer Wärmebildkamera ausgestattet ist. Das etwa 4000 Euro teure und von Spendern finanzierte Gerät steigt auf eine Höhe von bis zu 15 Metern.
Rund 100.000 Opfer pro Jahr
"Wir lassen die Drohne in den frühen Morgenstunden fliegen, zwischen 4 und 8 Uhr", erklärt Ehlers. In diesen Stunden sei der Boden kühl, sodass sich die Körper der Rehkitze in der Wärmesignatur abheben. Sind die Jungtiere lokalisiert, werden sie von den Helfern in Kisten gesetzt und erst freigelassen, wenn die Wiese gemäht ist. Dabei tragen die Retter Handschuhe und achten darauf, keinen menschlichen Körpergeruch auf die Tiere zu übertragen. Denn Rehkitze sind geruchslos, was sie vor Fressfeinden schützt. Sobald sie den Geruch eines Menschen oder etwa eines Hundes annehmen, nehmen die Geisen sie nicht mehr auf. Die "Rehkitzrettung Weinheim und Umgebung" steht unter der Schirmherrschaft des Tierschutzvereins Weinheim. Die Ehrenamtlichen wenden viel Zeit und technisches Equipment auf, um Rehkitze vor Mähmaschinen zu retten.
Wo keine Drohnen steigen können, laufen die Helfer die Wiesen selbst ab. "Dabei gehen wir – passend zur heutigen Zeit – im Abstand von rund eineinhalb Metern nebeneinander her und wenden das Gras mit Stöcken", erklärt Ehlers. Er verweist auf eine Aktion in Ritschweier, an der unlängst 18 Helfer beteiligt waren. Das könne Stunden dauern, sei ohne Wärmebildkamera aber die wohl einzig sichere Methode. "Die Tiere sind so gut getarnt, da läuft man drüber und merkt es nicht", erklärt er.
Dennoch will er – wie eingangs erwähnt – auf keinen Fall als Besserwisser dastehen. "Wir arbeiten kostenlos und freuen uns über jeden Anruf. Wir helfen, wo es geht: vor der Mahd, aber auch wenn ein Tier verletzt wird", sagt Ehlers. Er zeige keine Landwirte an, auch wenn so eine Mahd rechtlich ziemlich klar definiert ist: Wer mäht, muss sich um die Räumung der Wiese kümmern und den Jagdpächter informieren.
Die "Rehkitzrettung Weinheim und Umgebung" freue sich, wenn sie eingeschaltet wird. Die Organisation sei fachlich anerkannt, sie werde bei Bedarf auch von der "Berufstierrettung Rhein Neckar" konsultiert: So hätten die Helfer kürzlich einen Rehbock aus einem Gestrüpp in der Wormser Innenstadt gerettet, die Aktion dauerte zwei Tage, berichtet Ehlers.
Technisch wollen die Rehretter aufrüsten: Sie möchten eine Drohne samt Kamera anschaffen, die eine Höhe von 70 Metern schafft. Kostenpunkt: 10.000 Euro. Dass Rehkitze in Mähmaschinen geraten, ist übrigens keine Seltenheit. "Schätzungen gehen von rund 100.000 Fällen im Jahr aus", so Ehlers, "die Dunkelziffer dürfte erheblich sein". Dieses Jahr seien aber auch schon 5000 Tiere gerettet worden.
Ehlers steht bereits mit der Familie, der die sabotierten Rauchmelder gehören, in Kontakt. Nächstes Jahr könnte es eine Zusammenarbeit geben. Denn eigentlich will man ja das Gleiche: Junge Tiere vor einem grausigen Tod bewahren.