Vor 300 Jahren

Wie Bach das "Wohltemperierte Clavier" geschaffen hat

Es hat Klang und musikalische Empfindung radikal verändert.

24.07.2022 UPDATE: 24.07.2022 06:00 Uhr 2 Minuten
Das Bach-Denkmal steht nach seiner Restauration wieder am Eisenacher Frauenplan. Das vom Bildhauer Adolf von Donndorf entworfene Denkmal entstand 1884 und erhielt 1938 dann seinen Platz vor dem Bach-Haus. Foto: dpa

Von Roland Mischke

Weimar. Es kann von großem Vorteil sein, einen Monat im Knast verbringen zu müssen. Johann Sebastian Bach (1685-1750) hatte sich 1717 in Weimar mit seinem Herzog überworfen, er wollte den Dienst quittieren und vorzeitig nach Köthen gehen, um dort Hofkapellmeister zu werden, von Fürst Leopold angelockt. Doch Weimars Wilhelm Ernst ließ den 32-Jährigen nicht gehen, er verordnete eine landesherrliche Strafe: einen Monat Arrest in der Bastille am Weimarer Schloss.

Seine Frau und eine Tochter durften ihn einmal pro Woche für eine Stunde besuchen. Bach nutzte diese Zeit produktiv. In einigen Monaten können Besucher die Gefängniszelle nach der Sanierung besuchen, 20 Quadratmeter groß und mit der originalen Tür. Der große Musiklexikograph Ernst Ludwig Gerber meinte, "an einem Orte, wo ihm Unmuth, lange Weile und Mangel an jeder Art von musikalischen Instrumenten diesen Zeitvertreib abnötighte", habe er sein Meisterwerk geschaffen.

Bach ging durch alle 24 Präludien und Fugen, durch sämtliche Dur- und Molltonarten, so entstand eine musikalische Perlenkette. In Eisenach, Geburtsort des Künstlers, dort steht das große Bachhaus, erzählt die Sonderausstellung "Das Alte Testament der Klavierspieler", wie es dazu kam. Jörg Hansen, Direktor und Ausstellungskurator, hat lange an der Schau experimentiert, hinter dem "Wohltemperierten Clavier" steckt eine Historie. Andreas Werckmeister hatte schon 1691 das System einer wohltemperierten Stimmung für Tasteninstrumente zu gestalten versucht. Bach konnte mit seinen Unterlagen weiterarbeiten. Heute gibt es noch fünf historische Tastenklaviere aus dem 18. Jahrhundert, die bespielt werden können.

Spielfeld für Stimmungsfragen: ein Clavecin Royal von 1788. Foto: Bachhaus Eisenach

Vor dem 18. Jahrhundert gab es nur 14 Tonarten, Bach hat sie bereichert. Die polyphone Artistik hat eine Ausdruckstiefe, die Menschen berührt, sie ist prägnant und von epischer Weite. Direktor Hansen betont, dass "Matthäuspassion", "Goldberg-Variationen" und "Weihnachtsoratorium" zwar die bekanntesten Werke Bachs sind und immer wieder gespielt werden, aber Komponisten wie Beethoven, Brahms, Chopin, Tschaikowski, Schostakowitsch oder Mendelsohn enorm vom "Wohltemperierten Clavier" profitiert haben. Bach gilt als das musikalische Genie, deshalb rief Beethoven einst: "Nicht Bach! Meer soll er heißen wegen seines unendlichen, unerschöpflichen Reichtums an Tonkombinationen und Harmonien." Studien haben immer wieder ermittelt, dass die anrührende Ohrenmusik bis heute so gut wie alle Menschen erreicht und beeindruckt.

Im Bachhaus Eisenach sind in einem Raum Gitterstäbe angebracht, die Besucher können sich Kopfhörer auf die Ohren stülpen, um Musik von Beethoven, Mozart, Chopin, Clara Schumann und anderen zu hören. Sie haben sich alle am "Wohltemperierten Clavier" des wirkmächtigen Vorgängers musikalisch orientiert. Das Arrangement ist eines der beliebtesten Standorte im Bachhaus, wie die Livemusik mit Konzerten, die dort in Schwingsesseln gehört werden, wobei manche ins Träumen geraten. Es geht locker zu im Museum, da trauen sich auch jüngere Zeitgenossen und Schulklassen hinein. Es ist keine schematische Ausstellung. Die Dielen knarren, die Decken sind niedrig, das alte Mobiliar darf nicht angefasst werden, es stammt aus der Zeit Bachs.

Bach war auch ein exzellenter Handwerker, er konnte die einzelnen Teile sauber auseinanderhalten, damit sie zu ihren Tönen gelangen. Er wollte alle Töne musiziert haben, ineinander verwoben, im Großklang und als Triumph der Musik. Die verbreiteten unsauberen Tonstimmen sollten beseitigt werden. Bachs Arbeit ist ein Wunderwerk des logischen Denkens und der Poesie.

Info: Bachhaus Eisenach, Frauenplan 21, Telefon 036 91 79.340, tgl. 10-18 Uhr, Eintritt 10/8 Euro, bis November, www.bachhaus.de.