Darum ist der düstere Ballauf und Schenk-Tatort so aktuell
Am Abgrund: Die beiden Kölner Kommissare liefern mit "Abbruchkante" den Krimi zu Klimadebatte und Kohleausstieg.

Von Daniel Bräuer
Köln. Die Kommissare Max Ballauf und Freddy Schenk sind mal wieder im Außeneinsatz: Statt im Kölner Großstadtdschungel ermitteln sie im rheinischen Braunkohlerevier. Sie erleben eine Welt in Auflösung.
Was ist passiert? Dr. Christian Franzen liegt erschossen in einem verlassenen Haus in Alt-Bützenich. Warum war der Landarzt mitten in der Nacht in dem fast schon für den Kohlebergbau aufgegebenen Dorf? Die Tat sieht nach Hinrichtung aus – ein Schuss ins Knie, einer in den Kopf. Das könnte auf eine Rachetat deuten. Die Spuren führen ins persönliche Umfeld des Opfers – junge Witwe, Nachbarn, Patienten und deren Familien – und damit mitten hinein in die zerbröselnde Welt von Bützenich. Schnell stoßen Ballauf und Schenk darauf, dass Franzen am Umzug der Dorfbewohner in eine Reißbrett-Neubausiedlung gut mitverdient hat.
Worum geht es wirklich? Um Entwurzelung und zerstörte Beziehungen. Denn so, wie sich die Schaufelradbagger durch die Landschaft fressen, pflügen sie auch das alte Sozialgefüge des kleinen Dorfes um. Nicht alle Bewohner finden in Neu-Bützenich eine Heimat – beklemmend der Suizid eines Paares in der Anfangsszene. Aber auch die unerhoffte Rettung des alten Dorfes, das nun doch nicht abgebaggert werden soll, bringt denen, die bleiben oder zurückkehren wollen, ihr altes Leben nicht mehr zurück.
Wie schlagen sich die Ermittler? Ballauf und Schenk sind mal wieder personifizierte Gegensätze. Dem geerdeten Familienmenschen Freddy kann die apokalyptische Szenerie ringsum nichts anhaben. Max dagegen, der einsame Wolf, stürzt darüber in die Krise. Was schmerzt mehr? Dass Kriminalpsychologin Lydia (Juliane Köhler), mit der er vor Jahren eine Affäre hatte, einen Neuen hat? Oder dass ihm Freddy eine Nacht im örtlichen Gasthof mit den Worten vorschlägt: "Was verpasst du denn schon zu Hause?" In der Gastwirtin, der früheren Küsterin Karin Bongartz (Barbara Nüsse), findet Max aber eine unerwartete Seelenverwandte – der er schließlich sogar hilft, die alte Marienstatue beiseite zu schaffen.
Was ist die Stärke dieser Folge? Die unverhoffte Aktualität: Als "Abbruchkante" gedreht wurde, war der Protest im Dorf Lützerath noch keine bundesweite Schlagzeile. Auch der Tod einer Radfahrerin in Berlin während einer Blockade von Klimaaktivisten war noch lange hin. Beides taucht als Motiv auf. Dennoch überdeckt die Klimadebatte nicht den Fall.
Das Autorenduo Eva und Volker Zahn macht zwar keinen Hehl daraus, was es vom Kohleabbau hält. Doch statt energiepolitische Argumente durchzudeklinieren, bleiben die beiden ganz bei den psychischen und sozialen Folgen der Zerstörung für ihre Figuren. Gut so!
Was sind die Schwächen? Die Schnitte und Sprünge zwischen zwei Zeitebenen der großen Geständnisszene verwirren zunächst mehr, als dass sie erhellen.
Und sonst? Gedreht wurde zum Teil in Hambach. Auf einem der Protestkreuze im Wald ist "Lützerath" zu lesen.
Was kann man von diesem Tatort fürs Leben lernen? Diese Zuhälterschlitten aus der Asservatenkammer taugen nichts!
Sonntag, 20.15 Uhr, lohnt es sich einzuschalten? Ja – düster, aber aktuell.