Gringo Mayer startet mit neuem Album durch
Der Dialekt hat Gringo Mayer den Weg geebnet. Jetzt erscheint die zweite LP des Ludwigshafeners.

Von Daniel Schottmüller
Monte Scherbelino nennen Ludwigshafener den Michaelsberg. In den Fünfziger Jahren aus Schutt aufgeschichtet, wachsen heute Gras und Blumen auf dem 125-Meter-Hügel am Stadtrand. Eine halbe Stunde seien sie früher von der Ernst-Reuter-Siedlung aus mit ihren Schlitten durch den Schnee gestapft, erinnert sich Gringo Mayer an die Winter seiner Kindheit. Es sollte sich lohnen: "Bis dort hinten sind wir dann runtergeslidet", sagt der 34-Jährige lächelnd und deutet auf einen Feldweg, der sich Richtung Parkplatz schlängelt.
Wir sind in Ludwigshafens Ruheoase, dem Naturschutzgebiet Maudacher Bruch, verabredet, um über Gringos neues Album "Ihr liewe Leit" zu sprechen. Aber auch über das vergangene Jahr, in dem aus einem lokalbekannten Mundartmusikus ein deutschlandweit gefeierter Künstler erwachsen ist. Jan Böhmermann und Olli Schulz schwärmten schon 2022 in ihrem "Fest & Flauschig"-Podcast von dem Newcomer. Late-Night-Ikone Ina Müller holte ihn dann im Frühjahr zu sich an die Reeperbahn, um gemeinsam die Mitsinghymne "Ahjoo" zu schmettern. Vor wenigen Tagen folgte ein Auftritt im "Morgenmagazin". Und nach einem Buga-Zwischenstopp am Sonntag startet im Herbst die Deutschlandtour. Pfälzer Indieblues in Sachsen und der Bundeshauptstadt? "Des gibt’s do net!"
Beim Aufstieg zum Monte Scherbelino – Gringo knarzt stilecht in Cowboystiefeln über den Schotter – wirkt der Schnauzbartträger allem Trubel zum Trotz gelassen. Seine Stimme klingt an diesem Sommermorgen leicht angeraut.
Noch vor wenigen Jahren kannte den Namen Gringo Mayer kein Mensch. Für Außenstehende wirkt es, als wärst du in kürzester Zeit durchgestartet.
Auch interessant
Es entwickelt sich bombastisch. Ich merke leider Gottes aber auch, wie stressig dieses Geschäft ist. Ehrlich gesagt, komm’ ich gar nicht mit. In meinem Kopf plan’ ich schon das dritte Album. Man ist so im Schaffen drin, so unter Strom. Zwischendrin passieren dann Sachen wie "Inas Nacht", "Fest & Flauschig" oder die Auftritte beim Zeltfestival und im Capitol, die ultrageil sind. Aber der Modus bleibt: weiter, weiter, weiter. Was gerade wirklich mit mir passiert ist, werd‘ ich wohl erst in 20 Jahren richtig kapieren.
Du bist nicht der einzige aus Ludwigshafen-Gartenstadt, der mit unverwechselbarem Look und Gesang von sich hören macht: Auch Apache 207 ist aktuell im Aufwind. Erleben wir nach Joy Fleming und den Söhnen Mannheims gerade die nächste große Musikblüte im Rhein-Neckar-Delta?
Es ist schon spannend. Bis vor Kurzem hätte keine Sau gedacht, dass Musiker aus Ludwigshafen interessant sein könnten. Ich am wenigsten. Das Gefühl war eher: Du kommst aus einer Stadt der Verdammten. Aber das Schöne am Leben ist, dass sich Dinge verändern können. Apaches Erfolg ist ja noch mal krasser. Aber ich find’ das cool. Ich glaub’, uns beide zeichnet eine gewisse Selbstironie aus. Man kann sich als Ludwigshafener nie zu 100 Prozent ernstnehmen – man weiß ja, was die anderen über einen denken ...
Du singst ausschließlich auf Pfälzisch. Gibt es keine Momente, in denen du ins Hochdeutsche switchen möchtest?
Im Gegenteil: Ich hatte früher Blockaden, wenn ich auf Hochdeutsch geschrieben hab’. Ich hab’ mich gefesselt gefühlt. Der Dialekt sitzt dagegen so tief drin, dass er einfach raussprudelt. Für mich stecken da auch mehr Informationen drin, mehr Emotionen. Auf Pfälzisch kann ich über alles singen. Im Hochdeutschen ist mir das nie auf diese Weise gelungen. Einen Fußballsong wie "Gibt’s do net" hätt’ ich zum Beispiel nie so schreiben können, dass es sich ehrlich anfühlt.
Hast du nicht Angst, missverstanden zu werden – gerade bei Auftritten weiter weg von zu Hause?
Ehrlich gesagt, hatte ich nie ein Problem damit, dass die Leute nicht jedes Wort verstehen. Ich find' die österreichischen Songwriter wie Voodoo Jürgens oder Der Nino aus Wien ja auch cool, ohne dass ich alles checke. Und vielleicht macht es das sogar interessant: Man versteht ein bisschen was, aber eben nicht alles.
Also gab es bei deinen Konzerten noch keinen "Lost in Translation"-Effekt?
Okay, als ich als Opener für Kettcar in Leipzig gespielt hab’, war das schon spannend. In dem Moment stand ich ohne meine Band, ganz alleine mit der Gitarre vorne. Die Reaktionen waren anfangs eher verhalten. Aber nach dem Konzert haben mir die Leipziger meine Platten aus den Händen gerissen. Noch krasser war der Auftritt zum 20. Label-Geburtstag von Grandhotel van Cleeft in Hamburg: Die Leute haben mitgesungen, als würden wir uns schon ewig kennen. Ich bin jetzt mal gespannt, wie das bei der Tour wird. Aber gerade in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Köln gibt es viele Exilpfälzer, die sich darauf freuen, wieder ihre Muttersprache zu hören. Ich hatte da schon berührende Momente, wo gestandene Männer nach dem Konzert zu mir kamen und sich mit Tränen in den Augen bedankt haben.
Performen, aufnehmen, schreiben: Was gibt dir persönlich am meisten?
Ich freu’ mich schon auf den Moment, wo ich mich wieder in Ruhe hinhocken und meine Ideen ausarbeiten kann. Sich da so richtig reingeben, das ist schon eine tolle Arbeit. Am meisten Spaß machen mir aber die Live-Momente. Auch weil ich eine gewisse Routine entwickelt hab’, kann ich das jetzt viel mehr genießen. Ich hab’ nicht mehr so viel Angst, den Text zu verkacken (lacht). Mittlerweile bin ich auf der Bühne in einem Flow-Zustand. Und es ist schön, das mit der Band zu teilen: Man trinkt vorher eine Weinschorle, umarmt sich und dann feiert man zusammen.
Gringo ist oben angekommen. Vom Gipfel des Monte Scherbelino bietet sich ein grandioser Ausblick – weit über die angeblich hässlichste Stadt Deutschlands hinaus. "Da liegt Mannheim, da hinten die Pfalz mit Bad Dürkheim und Neustadt an der Weinstraße", gibt der Mann im Retro-Sakko – Gringo wechselt immer zwischen drei Modellen ab – den Fremdenführer. "Eigentlich muss man nachts hierhin. Als Jugendliche haben wir uns einfach nur die Lichter der BASF angeschaut – das war die Offenbarung, krasser als jeder Sternenhimmel!"
Mit dem Ludwigshafener kann man reden. Er stellt Rückfragen, schaut einem in die Augen. Dass Gringo so geerdet wirkt, hat vielleicht auch mit dem späten Durchbruch zu tun. Lieder schrieb er bereits, als er mit 13, 14 lernte, die ersten Akkorde zu schrubben. Über seine Gruppe Die Felsen hieß es einige Jahre danach: "Die beste Mannheimer Band kommt aus Ludwigshafen!" Schon da gab der kleine Mann gerne die Rampensau, unterhielt beim Hessentag in Bensheim 10.000 Besucher. In den Folgejahren hielt er sich in Mannheim und Freiburg mit Gelegenheitsjobs über Wasser. "Ich hab’ immer gedacht: Ich muss Musiker werden, es muss einfach passieren", blickt er zurück. "Aber dann wird man 30 und denkt: ,Ich hab’s nicht geschafft!‘"
Dass er seinen Traum doch noch weiterträumen darf, hängt mit einem Erweckungserlebnis zusammen. Ausgerechnet in einer Schwarzwaldhütte sollte der Songwriter 2018 seine musikalischen Wurzeln neu entdecken. Eines Nachts schrieb er dort "Viel zu arg". Ein pfälzischer Song, aber fernab von Heimatglorifizierung und Bratwurst-Kitsch. Mit diesem von schwarzem Humor durchtränkten Lied über Drogen und Familienzwist war Gringo Mayer geboren: eine von ihrem Schöpfer kaum trennbare Kunstfigur, die das Leben von schräg unten beobachtet – und die Kneipengläser als Lupe zur Hand nimmt. Gringo, das ist der Mann mit dem blauen Fleck auf der Stimme und dem Schalk im Nacken. Ein echtes Phänomen: Spotify-Nutzer belohnten die Banger aus dem Debütalbum "Nimmi Normal" (2021) bereits mit sechsstelligen Abrufzahlen.
Für das erste Album hat man bekanntlich sein ganzes Leben lang Zeit, beim zweiten muss es schneller gehen. Hast du diesen Druck gespürt?
Eigentlich ging’s erstaunlich einfach von der Hand. Ich hatte ja über Jahre Ideen gesammelt, auf die ich zurückgreifen konnte. Und als Band hatten wir das Glück, dass wir alles vor Publikum ausprobieren konnten. Deshalb ist das zweite Album sogar besser als das erste. Es geht mehr ab, hat mehr Live-Feeling.
Hintergrund
Elf extrem eingängige Songs hat Gringo Mayer auf sein Album "Ihr liewe Leit" gepackt, das am Freitag, 1. September, erscheint. Diese vier sind besonders zu empfehlen:
"Alläää": Selbstmitleid liegt ihm fern. Gringo erfreut sich zu Klavier- und Bläserklängen des
Elf extrem eingängige Songs hat Gringo Mayer auf sein Album "Ihr liewe Leit" gepackt, das am Freitag, 1. September, erscheint. Diese vier sind besonders zu empfehlen:
"Alläää": Selbstmitleid liegt ihm fern. Gringo erfreut sich zu Klavier- und Bläserklängen des Alleinseins.
"Oh Jesses": Buena-Vista-Vibes im Südwesten: Mit dieser Nummer zappelt der Sänger eine fetzige Salsarunde aufs Parkett.
"Äni rache": Diese Verbeugung vor dem eigenen Roadie geht zu Herzen – auch für Nichtraucher mehr als "oki-doki".
"Jeddi": Die Rache des kleinen Mannes vollzieht Gringo mit dem Gummimesser in der Hand. Der Refrain ist ein Ohrwurm, aber gar nicht so einfach mitzusingen. (dasch)
Warum der Titel "Ihr liewe Leit"?
Zum einen ist da diese direkte Emotion. "Ihr liewe Leit": Das ruft man, weil einem grade was runterfällt – man regt sich auf, kann’s nicht fassen. Und zum anderen ist es die liebevolle Ansprache an mein Publikum. Fassungslosigkeit und smartes Entertainment: genau mein Ding.
Das vorab veröffentlichte "Oh Jesses" geht gerade durch die Decke. Wie kam es zu diesem feurigen Latin-Sound?
Die Idee hinter jedem Album ist ein Best-of herauszubringen: Musik, die mir selbst taugt – frei von Stilgrenzen. Latin und Salsa waren früher gar nicht meins, aber mit der Zeit hab’ ich das zu schätzen gelernt. Und "Oh Jesses" hat als klagender Ausruf ja fast was Spanisches (schmunzelt). Entstanden ist das Ganze eher als Quatschsong, aber dann haben wir ihn in Weinheim performt, und alle haben sofort mitgesungen. Zu erleben, wie ein Hirngespinst von mir auf diese Weise vor der Bühne landet: wunderbar. Und was den Text angeht, hab’ ich mich am eigenen Leben bedient. Da ist nix gelogen.
Auf "Jeddi" geht es noch rabiater zu.
"Jeddi Nacht stesch ich äner ab": So eine Zeile ist von einem Liedermacher ungewohnt, klar. Im Rap werden Geschichten dieser Art aber schon lange erzählt. Die Leute checken auch, wie das gemeint ist. Das Gefühl, dass die Welt kacke ist, kennt doch jeder. Manchmal braucht es einfach jemanden, der sich für uns aufregt.
Live wird der Song richtig abgefeiert.
Ja, das ist Wahnsinn – wenn selbst vernünftige, ältere Damen aus voller Brust mitsingen. Überhaupt ist das mein Anliegen: Ich will Menschen zusammen bringen. Wo ich als Kind gewohnt hab’, gab es viele sozial Schwache. Meine eigene Familie war eher mittelständig. Die anderen Kids haben gespürt, dass es uns besser ging, und mich deshalb auf dem Bolzplatz verdroschen. Später kam ich ans Gymnasium und auf einmal saßen da Ärztesöhnchen bei mir in der Klasse. Die haben mich ausgelacht, weil ich für sie der Assi war. Ich hab’ mich immer irgendwie dazwischen gefühlt. Heute merk’ ich, dass ich die Gegensätze mit der Musik überbrücken kann. Bei mir sind Kinder im Publikum, Teenies, Studenten, Arbeiter. Das ist mein größter Erfolg!