Liebe und Tatzenhiebe mit Wet Leg
Auf ihrer zweiten LP "Moisturizer" zeigt sich die Indie-Rock-Band hemmungslos verliebt. Außerdem reingehört haben wir auch bei Will Varley, Alex G, Dota und Bausa.

Von Steffen Rüth
Im Leben der beiden Band-Chefinnen war nach dem Sensationshit "Chaise Longue" ordentlich was los. Aber zwei Brit Awards, ebenso viele Grammys und all der damit verbundene Rummel konnten Rhian Teasdale und Hester Chambers nicht aus der Bahn werfen. Auf dem zweiten Album "Moisturizer" zeigen sich Wet Leg immer noch kratzbürstig, energiegeladen, kurzweilig – und allenfalls ein bisschen gereift.
Neben kathartischer Konfrontation bekommt dieses Mal auch die Liebe ihren Raum. Lange Zeit betrachtete Sängerin Rhian Teasdale diese sagenumwobene Emotion ja eher mit zynischem Blick. Doch dann passierte im Sommer 2021 bei einem Festival etwas zutiefst Verstörendes: Sie verliebte sich, heftig. "Ich war nicht ansatzweise auf der Suche, aber so ist das ja immer", verriet die 32-Jährige unlängst dem "Guardian". Die Person, mit der Rhian praktisch seit diesem Tag zusammen ist, sei überdies kein Mann, sondern nichtbinär. "Mir war", so die Frontfrau, "zuvor überhaupt nicht bewusst gewesen, dass ich queer bin."
Und da auch ihre musikalische Partnerin, Gitarristin Hester Chambers, glücklich liiert ist (und zwar mit Wet-Leg-Keyboarder Josh Mobaraki), gibt es jetzt halt all diese Love Songs auf "Moisturizer", das wieder von Dan Carey (Arctic Monkeys) produziert wurde.
"Wir waren uns des Drucks bewusst, aber wir hatten trotzdem wieder viel Spaß bei der Arbeit", sagt Teasdale zum Entstehungsprozess. Das hört man. Zum Grinsen, und sei es in der diabolischen Form, bringen einen diese Frauen nach wie vor bestens. Das knarzige "CPR" setzt Cyndi-Lauper-Erinnerungen frei, das weiche "Davina McCall" würde dagegen No Doubt gut zu Gesichte stehen. Und dann ist da das festliche "U And Me At Home", bei dem Teasdale davon schwärmt, während einer der raren Tourpausen von ihrer großen Liebe mit einem englischen Frühstück beglückt zu werden. Ja, witzig, ironisch und bissig sind die an PJ Harvey und The Strokes erinnernden Punkpopsongs von Wet Leg noch immer, aber jetzt gehen sie halt auch ans Herz.
Doch bei aller Liebe, sie übertreiben es nicht. Die frischwindige Band, deren Protagonistinnen sich an der Uni auf der Isle of Wight kennenlernten – sie kann immer noch die Krallen ausfahren. "Catch These Fists", Dance-Rock’n’Roll-energetisch an die frühen Franz Ferdinand erinnernd, ist ein so kräftiger wie schmerzhafter Tatzenhieb. Und zwar gegen jenen Idioten, der Rhian Teasdale neulich bei einem Barbesuch im Anschluss an das London-Konzert von Chappell Roan saudumm angequatscht hat. Noch ganz beseelt von Roans verbindender Kraft, habe sie den plump-dummen Anbaggerer einfach stehen gelassen und sei Tanzen gegangen.
Info: "Moisturizer" ist aktuell erhältlich. Am 31. Oktober spielen Wet Leg beim New-Fall-Festival in Düsseldorf.
Burna Boy und mehr. Hier geht es zum Sound der letzten Woche.
Sound der Woche
Will Varley
Machines Will Never Learn To Make Mistakes Like Me
Songwriter Er gilt als britische Antwort auf Nashville. Kein anderer klingt so amerikanisch wie der 1987 geborene Will Varley. Wer dachte, sein 2021er-Album "The Hole Around My Heart" ließe sich nicht toppen, täuscht sich. "Machines Will Never Learn To Make Mistakes Like Me" ist noch intensiver. Was auch daran liegt, dass sich der Londoner prominente Kollegen ins Studio geladen hat. Neben Dan Smith (Bastille) und Eleni Drake singt Billy Bragg mit. Und wenn die beiden "End Times" intonieren, treibt es einem die Gänsehaut über den Rücken. Der Varleys Kindern gewidmete Song fragt, ob es je möglich sein wird, dass wir Menschen friedlich miteinander leben. (welf) ●●●
Für Fans von: Pasenger
Bester Song: End Times
Alex G
Headlights
Songwriter "Die Lofi-Indie-Ikone traut sich ans große Label. Geschichtete Gitarren, gemurmelte, teils durch Autotune verzerrte Vocals, verspielte Instrumentierung – all das verliert auch in einer saubereren Produktion nicht seinen Charme. Dazu außergewöhnliche Melodien, die sich oft in Dissonanzen auflösen. Mit Songs wie "Spinning" und "Louisiana" vertont Alex G auf beste Art und Weise das Bedürfnis, sich auf den Schlafzimmerboden zu legen und die Decke anzustarren. (lia) ●●●
Für Fans von: Elliott Smith
Bester Song: Spinning
Dota
Springbrunnen
Indiepop "Dota Kehr träumt weiter von einer besseren Welt. Es geht um nackte Milliardäre im Springbrunnen, um Instagram-Aktivismus und um das Gefühl, dass alles zu schnell vorbeizieht. Kehr verpackt das in kluge, mal drängelnde, mal mäandernde Chansons, die immer mehr in Richtung großer Pop schielen. Das Ergebnis ist ein Album für alle, die sich noch nicht mit der Welt abgefunden haben und weiterhin daran arbeiten wollen, dass sich alles zum Besten wendet. (han) ●●
Für Fans von: Wir sind Helden
Bester Song: Alle sind zurück in der Stadt
Bausa
Der Faktor Mensch
Rap Langsam nervt das Rauschen vom Meer" – direkt Zeile eins von Lied eins sitzt. Melancholie, Heimweh: Das kann Bausa einfach. Und so durchspült seine 15 "Der Faktor Mensch"-Songs wieder diese Woge tanzbarer Traurigkeit, die für den rappenden Beat-Bastler aus Bietigheim-Bissingen typisch geworden ist. "Wenn der Himmel weint" beklagt die Einsamkeit, "Freunde werden Ratten" das Sich-im-Stich-gelassen-Fühlen. Und spätestens mit "Dreck" kotzt sich der 36-Jährige so richtig aus. Am Ende – und das ist für den Kumpel von Apache 207, Sido und Haftbefehl nichts Neues – bleiben aber fast nur die Features hängen. Speziell: der "Maschinenraum", in dem Gen-Z-Falco Bibiza zusammen mit Bausa eskaliert. (dasch) ●
Für Fans von: Apache 207
Bester Song: Maschinenraum