Zwei Menschen nach Zugunglück noch in Lebensgefahr (Update)
Starker Regen löst einen Hangrutsch aus und führt zu einem schweren Zugunglück. Bahnchef Lutz zeigt sich tief betroffen.

Riedlingen. (dpa) Am Hang klafft ein großes braunes Loch im sonst üppigen Grün: Hier hat wohl starker Regen die Erdmassen in Bewegung gesetzt - bis sie auf die Gleise rutschten. Ein paar Meter weiter liegen die Waggons des Unglückszuges, ineinandergeschoben und kreuz und quer über den Gleisen. "Wie eine Ziehharmonika", beschreibt eine Feuerwehrfrau den Anblick.
Landwirt Johannes Figel ist als einer der Ersten vor Ort gewesen. "Den Knall habe ich jetzt noch in den Ohren", sagt er am Morgen nach der Zugentgleisung in Riedlingen. Es habe wie im Krieg ausgesehen. Es sei zunächst totenstill gewesen. Ruckzuck seien sehr viele Rettungskräfte gekommen. Er habe dann geholfen, umgestürzte Bäume zu zersägen und wegzuschaffen.
"Man kann die Kraft der Verheerung noch sehen, die hier gewütet hat", kommentiert Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) den Anblick der Unfallstelle. Es sei erschütternd. Bahnchef Richard Lutz ringt um Fassung: "Solche Bilder gehen bei uns ins Mark", sagt er in Riedlingen.
Hier im Südosten Baden-Württembergs sind am Sonntagabend drei Menschen ums Leben gekommen: der 32 Jahre alte Lokführer, ein 36-jähriger Bahn-Auszubildender und eine 70 Jahre alte Reisende. 41 weitere Menschen wurden laut Polizei verletzt, einige schwer. Sie werden unter anderem in den Unikliniken in Ulm und Tübingen sowie im Bundeswehrkrankenhaus Ulm behandelt.
Zwei Menschen nach Zugunglück in Lebensgefahr
Einige Kliniken sind in Alarmbereitschaft gewesen, zahlreiche nahmen Patienten auf. Die Uniklinik Tübingen und die Alb-Donau Klinikum in Ehingen behandeln jeweils eine lebensgefährliche verletzte Person auf Intensivstationen. Das teilten die jeweiligen Kliniksprecherinnen mit. In Ehingen liegt außerdem noch ein weiterer schwer verletzter Mensch, der dort ebenfalls operiert wurde.
Am Sana-Klinikum in Biberach wurden nach Auskunft einer Sprecherin sieben Verletzte aufgenommen und medizinisch versorgt – darunter mehrere Schwerverletzte. Das Alb-Donau Klinikum Ehingen ist zusammen mit der Sana Klinik die nächstgelegene Klinik zum Unfallort.
Die Uniklinik Tübingen nahm nach Auskunft eines Sprechers zehn mittel- und schwer verletzte Menschen auf. Das Bundeswehrkrankenhaus in Ulm nahm 14 Patientinnen und Patienten auf. Davon seien 13 leicht und eine Person als mittelschwer verletzt einzustufen, sagte ein Sprecher. "Über den Gesundheits- und Behandlungszustand der zu uns transportierten Patienten erfolgt keine Angabe".
Abwasserschacht übergelaufen
Auslöser des Unglücks war nach bisherigen Erkenntnissen der Erdrutsch an der Böschung. "Mutmaßlich lief durch den Starkregen, der sich im Bereich der Unfallörtlichkeit ereignete, ein Abwasserschacht über", teilen Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Das Wasser habe den Hangrutsch ausgelöst, was wiederum wohl die Entgleisung verursachte.
Zum Zeitpunkt des Unglücks prasselten laut Deutschem Wetterdienst (DWD) Unmengen an Regen nieder. In der Gegend habe "extrem heftiger Starkregen" geherrscht. Bis zu 50 Liter pro Quadratmeter seien innerhalb einer Stunde gefallen, sagt DWD-Sprecher Marco Pukert. Am genauen Unglücksort habe der DWD keine Messstation. Die Auswertung erfolgte anhand von Radardaten.
Trauer mit Opfern und Angehörigen
Am Vormittag kommen Bahnchef Lutz und mehrere Politiker zur Unglücksstelle. "Die Bilder und Berichte, die wir alle gestern gesehen haben und vor allem die Eindrücke, die wir alle zusammen heute Morgen hier gesammelt haben, gehen einem sehr nah und lassen einen betroffen und bestürzt zurück", sagt der Konzern-Vorstandsvorsitzende und kämpft sichtlich mit den Tränen.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dankt auch den Rettungskräften, die sehr schnell am Einsatzort gewesen seien und unter schwierigen Bedingungen Verletzte aus dem Zug gerettet hätten. Seine Gedanken seien bei den Angehörigen der Opfer: "Wichtig ist, dass wir heute mit allen, die davon betroffen sind, mittrauern, mitfühlen und einfach mitgehen mit dem schweren Schicksal, das sie erlitten haben."
Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) trauert um die beiden Kollegen, die ihr Leben im Dienst verloren haben. "Diese Tragödie erschüttert uns alle zutiefst", sagt der EVG-Vorsitzende Martin Burkert laut Mitteilung. "In dieser dunklen Stunde rückt die Eisenbahnerfamilie zusammen."
Geologisches Gutachten und Fahrtenschreiber sollen helfen
Wie viele Menschen in dem Zug der Linie RE 55 gesessen hatten, war zunächst unklar. Am Sonntag hatte die Bundespolizei von rund 100 gesprochen. Die Zahl könnte aber niedriger sein. Die Waggons entgleisten. Der erste schob sich die Böschung hoch und prallte gegen einen Baum - die Front wurde abgerissen. Wrackteile etwa der Karosserie und Sitze lagen verteilt am Boden.
Ein geologischer Gutachter habe Messungen am Hang durchgeführt, sagt Polizeipräsident Josef Veser. "Der Fahrtenschreiber wurde ausgebaut", teilt Staatsanwalt Christian Weinbuch mit. Nun müsse man sehen, welche Informationen hieraus gewonnen werden können. Fahrdatenschreiber bei der Bahn zeichnen beispielsweise die Geschwindigkeit auf.
Bahnstrecke ist gesperrt
Am Nachmittag teilt die Bahn mit, die Behörden hätten die Strecke für die Bergung freigegeben. "Aktuell beginnt die Bergung mit Hilfe eines Spezialkrans." Das solle voraussichtlich bis Dienstagvormittag dauern.
"Anschließend begutachtet ein Expertenteam die Strecke nach genauen Schäden", heißt es weiter. Erst danach könne man abschätzen, wie lange die Strecke gesperrt bleibt. Es gibt Ersatzverkehr mit Bussen.
Es ist nicht das erste Ereignis dieser Art: Erst im Juni 2024 entgleisten bei Schwäbisch Gmünd zwei Waggons eines ICE mit 185 Passagieren an Bord nach einem Erdrutsch. Nach damaligen Angaben wurde jedoch niemand verletzt.
Riedlingen. (dpa) Bei dem Zugunglück im Südosten Baden-Württembergs sind rund 50 Menschen verletzt worden, darunter 25 Menschen schwer. Das sagte die Kreisbrandmeisterin des Landkreises Biberach am späten Abend am Unfallort. Unter den drei Toten befindet sich nach Angaben der Kreisbrandmeisterin mindestens ein Mitarbeiter der Deutschen Bahn.
Nahe Riedlingen war am frühen Abend ein Regionalzug entgleist. Die Ursache für das Unglück ist noch nicht klar. Die Ermittler prüfen, ob ein Erdrutsch die Ursache für das Unglück mit mindestens drei Toten sein könnte. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte: "Es hat hier starke Regenfälle gegeben, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch der Starkregen und ein damit verbundener Erdrutsch-Unfall ursächlich gewesen ist." Das sei nun Gegenstand der laufenden Untersuchungen.