Sound der Woche

Arcade Fire mit dem ersten Album nach dem Sex-Skandal

Arcade Fire verarbeiten den Aufruhr um Frontmann Win Butler. Außerdem reingehört haben wir auch bei Counting Crows, Mieze Katz, MC Libéral und Peter Doherty.

14.05.2025 UPDATE: 18.05.2025 04:00 Uhr 3 Minuten, 13 Sekunden
Foto: AFP​

Von Steffen Rüth

Ziemlich lange passiert hier herzlich wenig. Die ersten drei Minuten auf "Pink Elephant", dem siebten Album des kanadischen Kunstrockkollektivs Arcade Fire, firmieren unter dem Titel "Open Your Heart Or Die Trying" und bieten kaum mehr als vom Synthesizer erzeugte Sirenen-Sounds. Daran schließt sich der Titelsong an, auf dem Frontmann Win Butler dazu auffordert, doch bitte beim Hören nicht permanent an ihn zu denken ("Take your mind off me"). Gar nicht mal so leicht ...

Denn der konkrete Elefant im Raum sind die Anschuldigungen, mit denen sich Butler zuletzt konfrontiert sah. Im Kern geht es darum, dass vier Frauen und eine nichtbinäre Person dem 45-Jährigen sexuelles Fehlverhalten vorwerfen. Sie, allesamt Fans, seien mit Butler in Kontakt getreten. Man hätte online ein bisschen rumgeschäkert, woraufhin er unaufgefordert sexuell konnotierte Nachrichten sowie nicht jugendfreie Fotos von sich selbst geschickt habe. Mit einigen der Personen sei es sogar zu körperlichen Kontakten gekommen. Butler räumt die Vorwürfe einerseits ein (und erklärt sie mit zu viel Alkohol und depressiven Episoden), pocht aber darauf, dass alles auf Einvernehmlichkeit beruht habe.

Die Plattenfirma hat Arcade Fire nicht fallenlassen und Butler ist auch nach wie vor mit seiner Frau, Muse und Bandkollegin Régine Chassagne verheiratet, die seine Eskapaden so kommentiert: "Er kam vom Weg ab, und er hat auf den Weg zurückgefunden." Leslie Feist allerdings verabschiedete sich nach Bekanntwerden der Vorwürfe angewidert aus dem Vorprogramm der Konzerte.

Auf "Pink Elephant" kann man nun einer Band, die einst für ihren episch-emotionalen, äußerst kraftvollen Indierock gefeiert wurde, dabei zuhören, wie sie versucht, wieder auf die Beine zu kommen – und scheitert. Da ist kein Drama mehr, kein Aufbäumen, keine Erleuchtung. Ja, die Luft scheint raus. Aber wer es interessant findet, einer Stadionband dabei zuzuhören, wie sie immer kleiner und leiser wird, der kann das hier tun. "I Love Her Shadow" etwa bietet zugänglich-egalen Pop mit inhaltlich unpassender Stalker-Thematik und "Alien Nation" klingt wie eine frühe Fingerübung von The Prodigy. Auf "Circle Of Trust" immerhin gelingt den Kanadiern eine dezent hypnotische Note und auch "Ride Or Die" hat seinen ruhigen Reiz. Insgesamt jedoch schafft es "Pink Elephant" zu selten, zu begeistern.

Im letzten Lied "Stuck In My Head" nimmt sich Win Butler siebeneinhalb Minuten lang Zeit, um immer und immer wieder diese eine Zeile zu wiederholen (und sich hoffentlich hinter die Ohren zu schreiben): "Clean up your head, clean up your heart". Auf Derbdeutsch: Krieg’ deinen Kram endlich auf die Reihe ...


Info: "Pink Elephant" ist aktuell erhältlich. Über Deutschlandauftritte von Arcade Fire ist derzeit nichts bekannt.








The Kooks und mehr. Hier geht es zum Sound der letzten Woche.


Sound der Woche

Counting Crows

Butter Miracle, The Complete Sweets!

Folkrock Welch triumphale Rückkehr einer Band, die schon immer schlaue Texte mit mitreißender Instrumentierung verflochten hat. Mit ihrem schmackhaft betitelten neuen Album erweitern die kalifornischen Ornithologen die klanglichen Grenzen, bleiben aber gleichzeitig ihren Kernthemen treu: Trennung, Sehnsucht und die erlösende Kraft der Musik. Nahtlos fließen die neun Titel ineinander: vom rumpelnden Honky-Tonk-Rock über die skurrile Ballade hin zur Hymne im Springsteen-Format. Krähen-Kopf Adam Duritz, stets der poetische Beobachter, ist in atemberaubender Form. Und die Mannen hinter ihm spielen mit einem Selbstvertrauen, wie es nur in Jahrzehnten gemeinsamer Geschichte gedeiht. (gol) ●●

Für Fans von: Matchbox Twenty

Bester Song: Spaceman In Tulsao


Mieze Katz

dafür oder dagegen

Pop Mieze Katz besingt die Unsicherheit: "Sie kommt mit Insta und mit Disney, steter Tropfen höhlt den Stein." Aber die 46-Jährige hat Antworten auf die 1000 Zweifel in der Timeline und das Gefühl, sich selbst nicht zu reichen: Offenheit, Gemeinschaft. Und so hat sich die Frontmieze der Berliner Elektropopper MiA Freundinnen ins Studio geladen: Annett Louisan, Eva Briegel, Namika ... Sogar Hildegard Knef ist zu hören. Mutmachend wirkt das – und manchmal eine Spur zu pädagogisch. (dasch) 

Für Fans von: Lea

Bester Song: Prosecco


MC Libéral

P.S. – Post-scriptum

Rap Was ich noch zu sagen hätte, dauert ein paar Takte und klingt französisch: "P.S." hat MC Libéral seine neue EP genannt, auf der der Eberbacher wieder en francais rappt. Die fünf "Post-scriptum"-Songs drehen sich um den liberalen Cocktail, die Shaolin-Schule, Amaranth, Weltbürgertum und Lavendel – mal hemdsärmelig performt, mal verspielt. Begleitet von flirrender Gitarre und Keyboard knüpft diese Musik beschwingt an die große Tradition des französischen Raps an. (zett) 

Für Fans von: Irie Révoltés

Bester Song: Cosmopolite


Peter Doherty

Felt Better Alive

Songwriter Es ist nochmal gut gegangen. Sehr gut sogar, wenn man diese elf Lieder zum Maßstab nimmt. Denn mit seinem "Felt Better Alive" braucht Peter Doherty Vergleiche zu Paul McCartney und Joe Strummer nicht zu scheuen. 2014 wäre so ein entspannt-souveränes Solowerk noch undenkbar gewesen. Damals torkelte der Babyshambles-Frontrüpel abgewrackt über den Kiez und freute sich, wenn er bei der Hamburger Suchthilfe saubere Nadeln abgreifen konnte. Heute singt Papa Pete lustige Schlaflieder für Töchterchen Billy May. Er erzählt von Baronen, rumpelt Pogues-mäßig gegen den Klerus und sucht als Chansonnier Erlösung im Meer. Ein Album, so schön wie das Am-Leben-Sein! (dasch) ●●

Für Fans von: Joe Strummer

Bester Song: Poca Mahoney’s