Pop-Punk-Legende

Green Day mit neuem Album "Saviors"

Neue Songs klingen nachdenklich, lebenserfahren und gesellschaftlich ganz auf der Höhe der Zeit. Die Band im Gespräch mit Autor Steffen Rüth.

18.01.2024 UPDATE: 18.01.2024 06:00 Uhr 3 Minuten, 17 Sekunden
Foto: Alex Baxley

Heidelberg. Im Musikvideo von Dilemma feiern Sie kräftig. Am Ende liegen Sie, Herr Armstrong, sturzbesoffen auf dem Boden und singen: "Willkommen zu meinen Problemen, dies ist keine Einladung." Was wollen Sie damit ausdrücken?

Billie Joe Armstrong (51): Der Song hat einen wirklich ernsten Kern. Er behandelt das schwierige Thema des Nüchtern Werdens, Nüchtern Seins und Nüchtern Bleibens, das für viele von uns, mich selbst eingeschlossen, eine beständige Herausforderung darstellt.

2012 mussten Sie sich wegen Alkoholismus und Medikamentenmissbrauch behandeln lassen. Haben Sie die Süchte seither im Griff?

Armstrong: Ja. Mit ein paar Aufs und Abs, doch die grundsätzliche Richtung stimmt. "Dilemma" ist tatsächlich ein sehr persönliches Lied. Zugleich jedoch weitet es den Blick. So viele Menschen, in unserem Umfeld und überhaupt, haben mit Abhängigkeiten, aber auch mit Problemen psychischer und emotionaler Art, zu kämpfen. Dieser Kampf ist für uns wie auch für unsere Liebsten oft sehr schmerzhaft, aber wir können ihm nicht aus dem Weg gehen.

Fünfzehn Liedern haben Sie auf ihrem neuen Album "Saviors". Wen wollen Sie damit retten?

Tré Cool (51): Den Rock’n’Roll, uns selbst, am besten gleich die ganze Welt (lacht). Der Titelsong "Saviors" war einer der ersten, den wir für das Album geschrieben haben. Zu der Zeit wütete noch die Pandemie, alle waren verzweifelt und suchten gleichzeitig nach etwas, woran sie sich aufrichten konnten.

Mike Dirnt (51): Uns ging es nicht anders, und wir hatten und haben zum Glück die Musik, den Punk-Rock und schlussendlich nun dieses aus dem Chaos geborene Album. In einer Welt der Ungewissheit und mitten auf einem Meer des Wahnsinns, das tiefer denn je zu sein scheint, müssen wir uns kleine, sichere Rettungsinseln suchen. Ansonsten werden wir verrückt.

Geben Sie sich auch gegenseitig Halt?

Armstrong: Absolut. Wir hängen an uns und wir halten uns aneinander fest. Die Band ist tatsächlich in all den Jahren immer so etwas wie unser Rettungsboot gewesen. Wir drei sind enge Freunde. Sogar mehr als das. Wir sind wie eine Familie.

Ihr Song "The American Dream is Killing Me" zeichnet ein sehr desillusioniertes Bild einer zerrissenen, zutiefst unfairen, Gesellschaft. Im dazugehörigen Video tretet ihr als Zombies auf. Kann man die Welt da draußen nur noch mit Humor nehmen?

Armstrong: Horrorfilme waren immer gut darin, die Wirklichkeit bildhaft auf die Spitze zu treiben. Gerade bei uns in den USA grassieren Angst, Hass und Unversöhnlichkeit. Es gibt keinen wirklichen Mittelweg mehr oder wenn, dann scheint niemand daran interessiert zu sein, ihn zu gehen. Wut und Waffen sind allgegenwärtig. Wir leben in einem gefährlichen Land, das kaum noch wirkliche Diskussionen und Auseinandersetzungen zulässt, befeuert natürlich von den sozialen Medien.

Die Sie sehr kritisch sehen?

Armstrong: Ja, denn es hilft oft nicht weiter, in diesen Medien impulsiv und unreflektiert irgendwelche Inhalte zu verbreiten, die oft falsch sind und zusätzlich spaltend wirken. Ich sehe mich hier selbst in der Verantwortung. Es ist ein großer Unterschied, ob ich ein Songwriter bin, der sich jede einzelne Zeile, die er schreibt, sehr gut überlegt. Oder ob ich einfach bei Twitter alles raushaue, was mir in den Kopf kommt. Jeder von uns hat dank des Internets das Potenzial, etwas politisch Strohdummes in die Welt zu setzen.

Ist der Song auch eine Warnung vor einer weiteren Amtszeit Donald Trumps?

Armstrong: Indirekt, ganz sicher. Wir hatten "The American Dream Is Killing Me" ursprünglich schon für unser vorheriges Album geschrieben. Damals war Trump an der Macht, und wir wollten ihn nicht rausbringen, weil uns ein weiterer Anti-Trump-Song wie eine zu niedrig hängende Frucht erschien. Man würde es sich auch zu leicht machen, nur auf Donald Trump einzudreschen und die viel tiefer gehenden Missstände in unserem Land außer Acht zu lassen. Trotzdem ist Trump natürlich eine echte Bedrohung. Populismus kennt keine brauchbaren Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit.

In welche Epoche reist ihr in dem fast schon klassischen Rock-Song "Corvette Summer" zurück?

Armstrong: In meine Kindheit in den Siebzigern und frühen Achtzigern. Das Stück ist meine Ehrerweisung für diese Powerrock-Musiker wie Billy Squier oder die Band Cheap Trick, die ich damals so liebte.

Hört man wiederum etwa "Fancy Sauce", so wird deutlich, dass ihr auch die Beatles sehr gemocht haben müsst.

Armstrong: Auf jeden Fall. Die Beatles waren immer ein markanter Einfluss für uns. Sie lebten den Traum, den wir später auch lebten, sie ebneten uns den Weg. Ich liebe sowieso diese ganzen britischen Rocker, The Who, The Animals, The Kinks, auch auf Glamrock stehe ich total. The Sweet sind einfach geil, und David Bowie könnte ich den ganzen Tag hören.

Habt ihr nicht auch euer neues Album überwiegend in London aufgenommen?

Armstrong: Haben wir. Wir waren mit unserem Produzenten Rob Cavallo in den RAK Studios, direkt am Regent‘s Park, wo wir oft spazieren gingen. Wir wollten einfach mal raus aus unserer gewohnten Umgebung in Oakland, mal was Neues sehen. Ich finde, das hat sich gelohnt. Einmal trafen wir im Keller eines Musikladens zufällig Paul McCartney und sagten hallo. Jetzt neulich erst fuhren wir in einem Taxi, und es stellte sich heraus, dass unser Taxifahrer der Bruder von Malcolm McLaren war. Sowas passiert dir wirklich nur in London.


Info: The Saviors Tour 2024: 7. Juni, Rock im Park, Nürnberg; 8. Juni Rock am Ring, Nürburgring und 11. Juni Hamburg