"Es gibt keine Gedanken ohne Struktur"
Zwischen Naturwissenschaften und Musik: Der Ausnahme-Pianist tritt am heutigen Mittwoch und morgigen Donnerstag in der Neuen Universität Heidelberg auf.

Einst wurde er als Wunderkind gefeiert: Der Pianist Kit Armstrong gastiert heute und morgen bei den Philharmonischen Konzerten in der Aula der Neuen Universität. Foto: Zandel
Von Christoph Forsthoff
Heidelberg. Wunderkind, Genie, Jahrhundertbegabung: Zahlreich sind die Superlative, die Kit Armstrong seit früher Kindheit begleiten. Kein Wunder, studierte der Sohn einer Investmentbankerin doch bereits mit neun Jahren an der Utah State University Mathematik, Chemie, Biologie und Physik. Heute, als 27-Jähriger, hat der schmächtige junge Mann nicht nur ein abgeschlossenes Hochschulstudium in Musik und Mathematik und beherrscht mehrere Sprachen fließend, sondern ist obendrein ein Meister des Origami, der japanischen Kunst des Papierfaltens. Heute und morgen gastiert der in den USA geborene Brite bei den Konzerten des Philharmonischen Orchesters Heidelberg in der Aula der Neuen Universität.
In Heidelberg greifen Sie selbst in die Tasten - vor nicht allzu langer Zeit indes haben Sie an einem Konzert mitgewirkt, in dem ein Flügel mittels eines Selbstspielsystems die eigentlich unspielbaren "Studies for Player Piano" von Conlon Nancarrow spielte.
Natürlich ist die Idee nicht neu, dass ein Flügel von alleine spielt. Aber so wird einem verdeutlicht, dass es einerseits Musik gibt, die über einen Interpreten vermittelt wird - und andererseits Musik, wo es wirklich darum geht, dass der Komponist ganz direkt mit den Zuhörern kommuniziert.
Könnten solche Selbstspiel-Computer menschliche Künstler ersetzen?
Keiner weiß, wie die Zukunft der aufgeführten Musik und der menschlichen Unterhaltung sein wird. Allerdings haben wir in den letzten Jahrhunderten die Erfahrung gemacht, dass Kunst mit einer Persönlichkeit in Verbindung gebracht werden muss, damit sie ein Publikum finden kann.
Sie selbst fürchten also vorerst nicht um Ihren Beruf als Pianist.
Nun, da muss man sich philosophisch erst einmal die Frage stellen: Braucht der Mensch für seine Existenz Musik aus der Hand von Berufsmusikern? Und da hier die Antwort nur lauten kann, dass wir deren Musik nicht wirklich brauchen, muss man dann auch feststellen: Ein Beruf, der etwas produziert, das niemand braucht, kann niemals ein sicherer sein.
Woher rührt dieses Faible für Physik und Chemie?
Als Künstler haben wir die Möglichkeit, der Öffentlichkeit zu sagen, was uns wichtig ist. Das ist ein großes Glück und auch eine große Verantwortung. Gerade in Kreisen, die sich mit klassischer Musik auseinandersetzen, gibt es so viel Miss- und Unverständnis gegenüber den Naturwissenschaften. Deshalb möchte ich versuchen, diese Situation zu verbessern.
Sie selbst haben bereits als Neunjähriger Mathematik, Chemie, Biologie und Physik studiert, Letzteres vier Jahre lang. Würden Sie das Physikstudium irgendwann noch einmal gern abschließen?
Wenn es nur nach meinem Kindheitstraum ginge, dann auf jeden Fall. Aber Realität ist, dass ich jetzt einen Beruf habe, der mich immer noch überrascht und mir großen Spaß bereitet. Und es hat im Konzert noch nie einen Moment gegeben, wo ich nicht damit glücklich gewesen wäre, Musiker zu sein.
Wer sich mit Ihnen unterhält, kann sich nur schwer vorstellen, dass in Ihrem Leben Momente des absoluten Nichtstuns existieren. Gibt es Zeiten, wo Sie die Gedanken einfach nur mal schweifen lassen?
Während des Konzertes.
Aber im Konzertsaal sitzen Sie doch hoch konzentriert am Flügel.
Genau - und wenn man hoch konzentriert auf dem Klavierhocker sitzt, dann ist man in der Lage, seine Gedanken schweifen zu lassen. Und man nimmt trotzdem gleichzeitig alles wahr, was man hört und vor einer Sekunde selbst gespielt hat und lässt sich dann etwas einfallen, wie man die nächste Sekunde gestalten könnte. Das ist eine Art der freien Improvisation. Es gibt keine Gedanken ohne Struktur - und die Musik ist dann quasi eine Struktur für die Gedanken, die an sich eigentlich ganz frei daherkommen. Wahrscheinlich hat es in der Geschichte der Menschheit immer zu viele Dinge gegeben, die man erledigen musste. Für mich ist die Musik die einzige Gelegenheit, aus diesem Kreislauf auszusteigen. Wenn ich mich mit Musik beschäftige, gewinne ich eine geistige Klarheit, die es sonst so nicht gibt, weil das Leben an sich einfach chaotisch ist.