Für Khatia Buniatishvili gehören "Lernen und Liebe zusammen"
Sie begeistert in großen Konzertsälen und auf Social Media. Das sagt die 38-Jährige über die Liebe zu Mozart, das Erotische an der Musik und ihre Kindheit in Georgien.

Von Olaf Neumann
Mannheim. Khatia Buniatishvili wird als "Beyoncé des Klaviers" bezeichnet. Die georgisch-französische Pianistin mit dem lyrisch-leuchtenden Ton arbeitet regelmäßig mit führenden Dirigenten und Orchestern der Klassik, aber sie macht sich auch stark für Kinderrechte und Gleichberechtigung von Mädchen. Sie musizierte auch schon mit Coldplay und ist mehrfach in Paris vor dem Eiffelturm aufgetreten. In den sozialen Medien folgen Buniatishvili eine Million Menschen. Am Donnerstag, 4. Dezember, lädt Pro Arte zu einem Klavierabend mit der Echo-Preisträgerin in den Rosengarten.
2024 ist Ihr erstes Mozart-Album bei Sony Classical erschienen. Sie haben sich für sein 20. und 23. Klavierkonzert entschieden. Weshalb?
Buniatishvili: Durch Mozart fühle ich, was Schönheit ist. Es ist nicht Perfektion. Es gibt schreckliche Dinge im Leben, es gibt ganz alltägliche Dinge. Und plötzlich gibt es etwas kleines Unerwartetes, was man nicht anfassen kann. Ein schönes Gefühl, von dem wir nicht wissen, woher es kommt. Das kann Musik sein, ein Gedicht, ein Rehkitz oder eine brillante Idee. Es dauert vielleicht nur einen Moment. Und so ist Mozarts Musik: Perlen, die einfach da sind.
Sie betonen das Leidenschaftliche und Erotische an der Musik. Wird übersehen, dass Klassik genauso leidenschaftlich und erotisch sein kann wie Pop?
In der klassischen Musik gibt es alles, was man fühlen kann, alles, was man menschlich und emotional erfahren kann. Komponisten sind komplexe Wesen; ihre Stücke repräsentieren die vielschichtigen Seiten des Menschseins. Aber ich mag es nicht, wenn man mich allgemein als erotisch oder leidenschaftlich bezeichnet. Das ist ja nicht wahr. Es gibt aber Momente, wo ich diese Seite der Musik spüre. Es geht darin ja um Lust, Liebe, Gretchen, Mephisto und Faust. Klassische Kompositionen erzählen viele Geschichten.
Sie haben sich auch schon mit Popmusikern zusammengetan. Was war zum Beispiel die Herausforderung bei Ihrer Zusammenarbeit mit der Band Coldplay?
Ich mag Coldplay. Ihre Songs wie "Trouble" und "Fix You" sind für mich genial. Sie bringen emotional so viel rüber. Ich habe diese Zusammenarbeit nicht gezielt gesucht, und ich konnte es auch nicht glauben, als sie mich als junge Künstlerin im Jahr 2015 kontaktierten. Ihre Musik gehörte zum Soundtrack meines Studiums. Ich finde es spannend, musikalisch etwas auszuprobieren. Coldplay gaben mir eine Melodie und fragten, was ich auf dem Klavier damit machen könne. Das war für mich eine ganz neue Situation. Aber so angenehm und inspirierend, dass es mich dazu brachte, etwas Neues für mich zu machen. Coldplay ist weder Jazz noch Klassik, auch nicht Pop. Es ist sehr persönliche Musik, der ich eine zusätzliche persönliche Farbe verleihen wollte.
Bereits mit drei Jahren entdeckten Sie das Klavierspiel für sich. Nun haben Sie selbst eine Tochter, die zwei Jahre alt ist. Fangen Sie bereits damit an, sie an das Klavier heranzuführen?
Ja, aber ich will sie nicht unterrichten, sie ist dafür noch zu klein und soll eine normale Kindheit haben. Ich bin aber überrascht, dass sie manche klassischen Lieder oder Melodien, die sie von mir hört, schon wiederholen kann. Wie macht sie das nur? Ich habe immer gedacht, dass man mich nicht mehr überraschen kann, weil ich schon alles gesehen habe. Aber solch ein Kleinkind schafft das. Ich möchte hier nicht über Begabung sprechen, das würde meine Tochter nur stressen, aber es ist für mich inspirierend, ihr zuzusehen. Meine Tochter soll beruflich einmal das machen, was sie will, aber ich bin schon überrascht, was da in meinem Haus passiert. Ich möchte keinen Druck auf sie ausüben, weil ich weiß, dass das in den ehemaligen Sowjetrepubliken und in China früher üblich war. Bei mir war es zum Glück immer angenehm, weil meine Mutter das Üben gern mit einem Spiel verbunden hat. Auch meine Tochter soll so eine schöne Kindheit haben. Lernen ist wichtig, aber man muss es mit Liebe tun. Lernen und Liebe gehören zusammen, das eine geht nicht ohne das andere.
Heutige Kinder kommen kaum noch mit klassischer Musik in Berührung. Wie könnte man das ändern?
Bei meiner Tochter ist es so, dass ich ihr nicht nur klassische Musik vorspiele, sondern auch Musicals und Pop. Wir mischen es ganz locker, und sie zeigt genauso Interesse an klassischen Melodien wie an Popmusik. Das liegt daran, wie ich es an sie heranführe. Ich finde es schade, wenn Kinder keinen Kontakt mit Klassik haben, weil es so eine reiche Welt ist. Man kann dabei sehr viel erfahren. Ich habe auch festgestellt, dass Kinder sehr tief fühlen können.
Wie ist es Ihren Eltern gelungen, dass Sie als Kind am Ball geblieben sind?
Ich habe klassische Musik von Anfang an geliebt. Es war meine große Leidenschaft, meine Welt. Ich weiß nicht, wie meine Mutter das geschafft hat. Ich war sieben, als ich Mozarts "Requiem" das erste Mal hörte. Ich war sofort verliebt in diese Musik und wollte sie immer wieder hören. Keine Ahnung, ob jedes Kind so reagieren würde, wenn man es mit Mozart in Kontakt bringt. Ich jedenfalls wollte jeden Abend die Kassette mit Mozarts "Requiem" hören, aber auch ein bisschen Schumann und ein bisschen Zeitgenössisches. Und Literatur. Meine Bücher habe ich immer hinter den Noten versteckt. Meine Mutter hat das nie herausgefunden. Das alles hat meine Fantasie ungemein stimuliert.
Info: Beim Pro Arte-Konzert stehen Werke von Chopin, Bach, Tschaikowski, Mozart und Liszt auf dem Programm. Karten ab 69 Euro: www.pro-arte-konzerte-mannheim.de



