Heidelberg

Wilke Weermann für Wettbewerb des Heidelberger Stückemarkts nominiert

Im RNZ-Interview spricht er über die Trends und den Druck des Theaterbetriebs

28.04.2021 UPDATE: 29.04.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 10 Sekunden
Wilke Weermann.Foto: Sven Serkis

Von Volker Oesterreich

Heidelberg. Im Gegensatz zu den Online-Gastspielen des Heidelberger Stückemarkts muss für die gestreamten Lesungen im Wettbewerb kein Cent bezahlt werden. Am Samstag und Sonntag kann man die vorproduzierten Beiträge ganz problemlos auf dem Portal Dringeblieben.de anklicken. 102 Stücke wurden zugeschickt, sechs schafften es in die Endrunde des Festivals, darunter auch "Hypnos" des 1992 in Emden geborenen Schriftstellers Wilke Weermann. 2016 erhielt er den Förderpreises für deutschsprachige Dramatik, 2019 das Hans-Gratzer-Stipendium.

Herr Weermann, haben Sie lange an "Hypnos" gearbeitet?

Ein Jahr lang, allerdings nicht durchgängig, sondern immer wieder.

Welche Themenfelder sprechen Sie an?

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Es ist vielleicht einfacher, zu benennen, was ich nicht meine Themen sind: "Hypnos" ist kein Text, in dem es um pathologische Zustände geht. Ich versuche nicht, das Locked-In-Syndrom zu beschreiben oder ein reales Koma abzubilden; ich will keine bipolare Störung zeigen, keine Schizophrenie. Vielmehr nähere ich mich über Elemente aus Horror und Science Fiction einem viel diffuseren Gefühl der Ablösung voneinander. Es geht mir um das seltsame Gefühl im Bauch, dass etwas mit den Menschen um mich herum nicht stimmt. Die Protagonistin arbeitet – wie sicherlich viele – permanent an der Narration ihres Lebens. Und permanent dringen Stimmen zu ihr durch, die Einfluss darauf nehmen wollen. Das ist der Grund, warum sich der gesamte Texte an ein DU richtet. Und außerdem die wohl größte Herausforderung für die Umsetzung auf einer Bühne. Sobald nämlich diesem DU beispielsweise eine Schauspielerin gegeben wird, der wir zusehen, sobald also eine Repräsentationsfigur zwischen uns und die Stimmen tritt, wird dieser Text ein anderer.

Diesmal findet beim Festival alles online statt. Ein Problem?

Für mich und sicher auch für meine Kolleg*innen ist die Begegnung wichtig: der kleine Plausch beim ersten Treffen, der unverhoffte Absacker in irgendeiner Hotellobby, obwohl wir doch am Folgetag so früh zu diesem Panel sollen.

Werden sich Formen und Inhalte des Theaters durch die Pandemie ändern?

Inhaltlich glaube ich, dass die Erfahrung der Pandemie kaum eine Facette unseres Zusammenlebens unbeeinflusst lassen wird, klar. Was die Formen angeht: Ich kenne viele Dramatiker*innen, die an neuen Formen arbeiten. Neue Formen sind aber immer Experimente. Und die meisten Theater betrachten Experimente als fakultativ. So oder so steigt der Druck. Er bringt die Verträge zum Platzen, er jagt die Mietendeckel in die Luft. Die Spielpläne, die verschobenen Premieren stauen sich. Es ist vor der Pandemie schwierig gewesen – für die meisten sogar unmöglich –, vom Stückeschreiben zu leben. Während der Pandemie und auch direkt danach wird diese Situation eher schlechter aussehen.

Also eher zurück zu traditionellem Dialog- und Erzähltheater?

Neue Formen sind wichtig und das, was sich alle wünschen. Aber sie sind Risiken in einer risikoscheuen Zeit. Und wenn man mit seinen neuen Formen die Miete nicht zahlen kann, weil man in die Verwertungslogik des Theaterbetriebs nicht passt - lohnt es sich finanziell nicht, sie zu entwickeln. Darum, ja, die Pandemie wird Formen der neuen Dramatik beeinflussen. Sie wird sie behindern.

Gibt es dominierende Trends?

Ich bin kein Theaterwissenschaftler und kann dazu wenig sagen. Ich versuche, weniger Dinge zu behaupten, die ich eigentlich gar nicht weiß. Fänd ich generell gut, wenn das mehr Menschen machen würden. Das wäre ein sinnvoller Trend, dass wir offener Fehler eingestehen und auch zugeben: "Du, das kann sein, das weiß ich einfach nicht." Nele Stuhler hat ein ganz tolles Buch darüber geschrieben, das "Keine Ahnung" heißt. Es wäre ein sinnvoller Trend, dass wir das alle lesen und danach offener über unser Unwissen sprechen. Was mein Trendsetter-Dasein angeht: Zentrale Bezugspunkte für mich kommen aus Videospielen, Mangas und Horrorfilmen. Ein Meme und der Flavourtext einer Magic-Karte geben mir oft einen besseren ersten Anstoß als irgendein Text von Freud. Es hat lange gedauert, bis ich das Selbstbewusstsein hatte, so etwas offen zuzugeben. Schließlich ist das Theater ein Haus der sogenannten Hochkultur. In diesem Haus dürfen manche am Tisch essen, andere nur im Keller und andere gar nicht. Wenn man sich also etwas abgucken möchte von mir: Jede Inspiration ist eine gute Inspiration.

Wie wichtig sind Stückemärkte überhaupt für junge Dramatiker?

Es ist extrem kompliziert, einen Text aus der Schublade irgendwie in das Intendanzbüro eines Theaters zu schmuggeln. Und ihn dann noch bis auf die Bühne zu mogeln, ist fast unmöglich. Festivals sind große Chancen für junge Dramatiker*innen, für die Entscheider*innen der Theater sichtbar zu werden. Leider allerdings sind viele Auszeichnungen daran geknüpft, dass Texte noch frei zur Uraufführung sein müssen. Sie sind damit Teil eines größeren Problems. Das besteht darin, dass für viele junge Dramatiker*innen nach der Uraufführung ein Text abgespielt und tot ist. Viele Theater wollen einen Text, der bereits uraufgeführt ist, nicht auf den Spielplan setzen. Beim Heidelberger Stückemarkt wird gegen diese Entwicklung gearbeitet, indem ein Nachspielpreis zu weiteren Inszenierungen bereits uraufgeführter Stoffe anregen soll. Davon wünsche ich mir mehr: Auch andere Festivals sollten sich Gedanken machen, wie nachhaltiger mit jungen dramatischen Texten umgegangen werden kann.

Info: Der deutschsprachige Autor*innenwettbewerb läuft am 1. und 2. Mai jeweils von 13.30-16.30 Uhr unter der Web-Adresse dringeblieben.de

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