Nouvelle Vague erfinden Songs neu
Nach dem Tod von Olivier Libaux kehrt Nouvelle Vague am Samstag in den Heidelberger Karlstorbahnhof zurück.

Von Marco Partner
Sie covern fürs Erinnern, nicht um zu kopieren. Die französische Band Nouvelle Vague verwandelt seit Anfang der 2000er rotzige Post-Punk-, New-Wave- und Synth-Pop-Hymnen von The Clash, New Order oder Depeche Mode in freche Bossa-Nova-Chansons. Im Interview verrät Gründer Marc Collin (56), wie das Pariser Kollektiv die Stücke der 80er-Jahre erobert, warum sich die Sängerinnen dabei ganz ungeniert an die Meisterwerke heranwagen dürfen und wie er nach dem Tod seines Kollegen Olivier Libaux neue Inspiration fand.
Marc, lass uns doch ein wenig in der Zeit zurückreisen, so wie ihr es mit Nouvelle Vague macht. Magst Du eigentlich die Musik zu Beginn der 2000er, hast du konkrete Erinnerungen daran?
Ja, das war eine gute Zeit, da man plötzlich viele neue Sounds ausprobieren konnte. Soft- und Hardware wurde erschwinglicher, es entstanden viele kreative elektro-experimentelle Bands. Da war es rückblickend natürlich etwas seltsam, dass wir 2003 mitten in dieser innovativen Phase stoppten – und zurückschauten. In unserem Fall auf die Musik der 80er-Jahre.
Wie entstand das Projekt, gab es da einen speziellen Auslöser, eine Idee oder Session? Was war der erste Song?
Ich erinnere mich, dass ich während einer Tour die Idee für ein Cover von Depeche Modes "I Just Can‘t Get Enough" hatte. Viele entdeckten in dieser Zeit die 80er neu: die Mode, die Musik. Mit ging es um ein Tribute der Post-Punk-Ära, die ich in meiner Jugend sehr liebte. Ich wollte beweisen, dass sie einfach gute Songs schrieben und mich losgelöst vom Sound auf die Texte fokussieren. Mein Mitgründer Olivier Libaux hatte dann die Idee einer Bossa-Nova-Version – und es funktionierte: Die alten Songs klangen irgendwie neu.
Stimmt es, dass Sängerinnen wie Mélanie Pain die Originalsongs gar nicht kennen sollten, um ihren eigenen Charme einzubringen?
Nicht ganz, es war keine Voraussetzung, es passierte einfach so. Camille, unsere Sängerin des ersten Albums, kam ins Studio, wir redeten über Bands wie The Clash oder The Cure und sie hatte absolut keine Ahnung, worüber wir sprachen. Sie wollte nur die Wörter und Melodie, hörte sich das Original gar nicht an, sang den Song auf ihre Weise, und genau das machte wohl den Zauber aus. Denn wenn du ein Cover machst, imitierst du nur. Sie kreierte etwas Neues. Also sagten wir unseren Sängerinnen ab da: Wenn ihr den Song nicht kennt, umso besser. Hört ihn euch vorher nicht an!
Magst Du den Begriff "covern"?
Im Französischen sage wir "reprise", was auch Weiterführung oder Zurückeroberung bedeutet. Daher sehe ich es nicht als kopieren, es steckt eine Menge Arbeit dahinter, die Songs neu zu erfinden. Etwas seltsam ist das ja schon: Im Jazz, in der Klassik oder im Theater spricht niemand von einem Cover, wenn du Miles Davis, Bach oder Shakespeare interpretierst. Es geht uns um unsere Version, wir wollen in Songs von Joy Division oder The Smiths möglichst viel von uns selbst hineinlegen.
Was macht für Dich eigentlich den Reiz der 80er aus?
Es ist meine Jugend! Ich habe die Musik für mich entdeckt, als ich 14 Jahre alt, so ab 1984. In dieser Zeit kam vieles zusammen: die Sampler und Synthesizer, die Musik mit dem Computer. Viele Bewegungen liefen parallel: New Wave, Post-Punk, aber auch Hip-Hop, Italo-Disco, House-Music. Da gab es einfach unheimlich viele große Künstler zu entdecken.
Wäre es auch möglich, moderne Vintage-Songs im 80er-Vibe, wie etwa "Real Hero" von Electric Youth (bekannt aus dem Neo-Noir-Thriller "Drive") zu interpretieren?
Darüber habe ich tatsächlich nachgedacht, aber es wäre nicht dasselbe. Bei einem Cover der 80er war ich ja meist ein Fans des Songs oder der Band. Es gibt also einen speziellen Link, der zurück zu meiner Jugend führt und so sonst fehlen würde. Ich habe dann einfach dieses Gefühl nicht.
Bekamt ihr auch schon ein Feedback der von Euch gecoverten oder neu interpretierten Bands?
Oh ja, zu einigen Konzerte haben wir die Originale eingeladen, wie etwa Martin Gore von Depeche Mode oder Terry Hall von der Ska-Band The Specials. Manche kamen dann auch auf die Bühne. Erst im Februar wurden wird in Los Angeles überrascht. David J., der Bassist von Bauhaus, kam hinter die Bühne und sagte, dass er ein großer Fan ist. Dabei kannte er unsere Version von "She’s in Parties" noch gar nicht.
Sie stammt aus Eurem ganz neuen Album "Should I Stay Or Should I Go?" Hattest du nach dem Tod Deines Kollegen Olivier Libaux im September 2021 darüber nachgedacht, das zur Band gewordene Projekt Nouvelle Vague zu beenden?
Ehrlich gesagt, dachte ich schon vor Oliviers traurigem Tod daran. Nach unserer "I Could Be Happy"-Tour im Jahr 2018 zum 15. Jubiläum hatten wir beide das Gefühl: Das ist ein guter Ausklang. Als nach seinem Tod im Jahr 2023 das 20. Jubiläum näher rückte, kamen viele Anfragen, für eine neue Tour oder ein neues Album. Ich dachte nicht daran, aber die junge Sängerin Alonya gab einen neuen Impuls. Sie blickt noch einmal ganz anders auf die 80er-Jahre. Das gab auch mir die Inspiration, eine weitere Songsammlung fortzuschreiben.
Info: Marc Collin ist ein französischer Musiker, Filmkomponist und leidenschaftlicher Vinyl-Sammler. Neben der Band Nouvelle Vague ist der 56-Jährige auch als Solokünstler und Produzent aktiv. Am Sonntag, 4. Mai, gastiert er mit Nouvelle Vague im Karlstorbahnhof in Heidelberg. Konzertbeginn ist um 20 Uhr.