Wolfgang Rihm.Foto: Matthias Roth
Von Matthias Roth
Heidelberg. Christian Gerhaher und Gerold Huber, das ist das derzeitige Dream-Team des deutschen Liedgesangs. Der Bariton und sein Begleiter am Flügel setzen neue Maßstäbe. Nach Weimar und Berlin kamen die beiden Künstler nun nach Heidelberg in die Neue Aula der Universität, eingeladen vom Heidelberger Frühling.
Die Lieder, die sie im Gepäck hatten, lagen allesamt etwas abseits vom Mainstream. Schuberts Gesänge nach Gedichten von Friedrich Rückert oder Johann Peter Silbert etwa sind eher philosophische Betrachtungen als Miniaturgeschichten und fordern Interpreten, die über das Geschichtenerzählen hinaus die Metaphorik zum Klingen bringen.
Gerhahers klare Diktion und nuancenreiche Stimme gaben den eher undurchsichtigen Texten (die, auch wenn man sie mitliest, in ihrer Vieldeutigkeit nicht gleich zu verstehen sind) eine ganz eigene sinnliche Klangqualität. Auch die Goethe-Texte, die Hugo Wolf vertonte, scheinen mehr vom Silbenklang zu leben als vom Wortsinn und werden durch die Musik zu einer Art Über-Poesie ("Wer sich der Einsamkeit ergibt", "Grenzen der Menschheit"). Christian Gerhaher schleift sie mit reinen Vokalen und höchst differenzierten Konsonanten zu wahren Edelsteinen der Lied-Kunst, ohne dabei die Überdeutlichkeit etwa seines Lehrers Dietrich Fischer-Dieskau allzu sehr zu strapazieren.
Besonders Wolfs Mörike-Lieder erhielten in ihrer scheinbaren Schlichtheit einen Glanz des Ungreifbaren. Bei Gerhaher wird die Stimme dennoch nie exaltiert, auch wenn sie sich emphatisch aufschwingt, sie bleibt natürlich, unangestrengt, kontrolliert. Gerold Huber ist dabei kein devoter Diener seines Herrn, sondern gleichberechtigter Partner am Klavier. Alban Bergs Vier Gesänge op.2 (nach Hebbel und Mombert) interpretierte Gerhaher tief romantisch verwurzelt, wobei sein Legato der Wortverständlichkeit keinen Abbruch tat und die Deutlichkeit des Worts auch bei starkem Ausdruck stets gewahrt blieb.
Besonders kam dieses enorme Potenzial des Sängers und seines Begleiters den vier neuen Liedern von Wolfgang Rihm zugute, die Gerhaher/Huber erst vor wenigen Tagen in Weimar uraufgeführt hatten. Der Komponist, nach schwerer Krankheit genesen, ließ es sich nicht nehmen, die Aufführung seiner Lieder in Heidelberg zu besuchen: Nach dem "Requiem" vom März letzten Jahres waren es die ersten Lebenszeichen Rihms und der erste öffentliche Auftritt des Komponisten, der sich immer noch in Rekonvaleszenz befindet.
Seine "Tasso-Gedanken", Monolog-Stücke aus Goethes Drama "Torquato Tasso", sind frei durchkomponierte Lieder von relativ schwermütigem, aber auch trotzigem Charakter, die Tod und Traum, Leben und Schmerz, die Krankheit der Seele und des Leibes reflektieren: "Wenn ich mich meinem Fleiß ergeben kann / Und so macht wieder mich mein Fleiß gesund", heißt es da oder: "Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll, so ist das Leben mir kein Leben mehr."
Rihms Tonsprache ist dabei nah bei Alban Berg, und die Auftragsgeber Gerhaher und Huber sind ganz verschmolzen mit dem tiefen Ausdrucksgehalt dieser vier Stücke. Rihm soll bereits wieder an größer dimensionierten Werken arbeiten, doch diese vier Tasso-Lieder zeigen ihn mit ergreifender Intimität: ein großer Moment neuerer Liedkunst.