Nationaltheater Mannheim

"Die Wand" - allein auf sich gestellt

Die Monologfassung von Marlen Haushofers Kultroman "Die Wand" im Nationaltheater Mannheim.

19.07.2021 UPDATE: 20.07.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 8 Sekunden
Sarah Zastrau als Frau in „Die Wand“. Foto: Christian Kleiner

Von Monika Frank

Mannheim. Bei der Ankunft im Jagdhaus ist die Welt noch in Ordnung. Es gehört einem befreundeten Ehepaar, und die Frau hat gern dessen Einladung angenommen, gemeinsam im Hochwald das Wochenende zu verbringen. Während die Freunde nochmal kurz hinunter ins Dorf wollen, richtet sich die Frau schon im Haus ein, bewacht vom Jagdhund der Besitzer, die wider Erwarten nicht zurückkehren. Der Schock kommt am nächsten Morgen, als die Frau mit dem Hund auf die Suche nach den Beiden geht. Eine ganz und gar unsichtbare, aber unüberwindliche Wand wie aus Glas versperrt den Gang ins Tal.

Die kommenden Tage zeigen, es gibt tatsächlich keinen Weg mehr aus dem Wald, der nicht an der Sperre dieser gläsernen Wand abrupt endet. Schlimmer noch, dass der Blick auf die Wohngebiete jenseits der Wand nur leere Straßen und Menschen erkennen lässt, die mitten in ihrer Tätigkeit zu Tode erstarrt sind. Die Hoffnung der Frau, von Anderen gefunden, gerettet, erlöst zu werden, weicht der Gewissheit, ganz auf sich selbst gestellt zu sein, wenn sie das eigene Überleben und das des Hundes sichern will.

Wenigstens ist das Jagdhaus gut gefüllt mit Vorräten aller Art. Auch taucht im Waldreservat der Frau schon bald eine Kuh auf, die in der Not ihres überfüllten Euters menschliche Nähe sucht. Später gesellt sich noch eine Katze mit ihrem Nachwuchs zur Hausgemeinschaft von Mensch, Hund und Kuh, deren Versorgung nun ganz der Frau obliegt, die mühevoll lernen muss, Heu zu machen, Holz zu hacken, Kartoffeln anzubauen, Wild zu jagen und Helferin bei der Geburt eines Stierkalbes zu sein.

Soweit die alptraumhafte Ausgangsposition und der schmerzensreiche Selbstfindungsprozess der Protagonistin im 1963 geschriebenen Roman "Die Wand" von Marlen Haushofer, einer österreichischen Schriftstellerin, deren Werk erst im Zuge der frauenbewegten 80er Jahre stärkere Beachtung fand. Die Autorin selbst, die ihrem traditionellen Hausfrauenleben nur knapp bemessene Stunden für das Schreiben in der Küche abtrotzen konnte, wurde zur feministischen Vorkämpferin, "Die Wand" wurde Kultbuch.

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Eine Monologfassung des Romans, erarbeitet von der Dramaturgin Annabelle Leschke, in Szene gesetzt von Patrick Schnicke und gespielt von Sarah Zastrau hatte jetzt im Schauspielhaus des Nationaltheaters Mannheim Premiere.

Ein schräg gestelltes schwarzes Spielpodest inmitten der sonst leeren Bühne, eine Trinkflasche, eine Taschenlampe, ein Stück Kreide und ein Tonbandgerät – mehr Ausstattung gibt es nicht in dieser wahrhaft minimalistischen ersten Mannheimer Regiearbeit Patrick Schnickes, der seit der Spielzeit 2018/19 dem NTM-Ensemble angehört.

Für Sarah Zastrau bedeutet das vollen körperlichen Einsatz auf höchst beengtem Raum und die immense Anstrengung, einen überwiegend erzählten oder als Bericht ins Tonband gesprochenen Text möglichst anschaulich zu gestalten. Es gelingt ihr auch mit bewundernswerter Intensität, den 80-minütigen Redemarathon weitgehend ohne Spannungsverlust über die Runden zu bringen. Wobei Regieeinfälle wie das Nachzeichnen des gerade Angesagten mit schnellen Kreidestrichen auf dem Boden oder unangemessen alberne Einspielungen aus der Schlager- und Werbemottenkiste der 50er Jahre durchaus entbehrlich gewesen wären.

Dass in der verkürzten Spielfassung die immense gedankliche Fülle der Romanvorlage nur zu ahnen ist, kann der Inszenierung, die bei der Premiere viel Beifall erhielt, nicht angelastet werden. Es wäre zu wünschen, dass sie als Anregung dient, auch das Buch zu lesen. Denn "Die Wand" ist weit mehr als nur eine Geschichte über und für die Frau, sie zielt auf den Kern des Menschseins, im Inneren aller Umhüllungen durch Zivilisation und Konvention.

Info: Aufführungen: am 22. und 23. Juli, jeweils 19:30 Uhr, 25.Juli, 20 Uhr.

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