Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Einst galt er als Rebell, doch seit etlichen Jahren präsentiert sich der Heidelberger Schriftsteller Michael Buselmeier durch und durch bildungsbürgerlich. Seine künstlerischen Koordinaten sucht und findet er im Resonanzraum unserer Geistes- und Kulturgeschichte. Zu seinem Werk gehören Lyrik, Romane, Interview-Bände und die Literarischen Führungen.
Am Donnerstag feiert der gebürtige Berliner, der seit seiner frühesten Kindheit in Heidelberg lebt, seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass sind nicht nur ein neuer Gedichtband und eine Festschrift erschienen, sondern die Stadt würdigt ihn heute auch mit einem Festakt im Großen Rathaussaal.
Herr Buselmeier, Heidelberg hebt Sie heute zum wiederholten Male auf den Schild, diesmal anlässlich Ihres runden Geburtstags. Wie fühlt man sich als poeta laureatus?
Nicht anders als sonst. Ich habe keinerlei Beziehungen zu Ehrungen und Festen, meide sie eher. Diese 80 ist natürlich eine besondere Zahl. Früher habe ich nie darüber nachgedacht, ob ich überhaupt so alt werde, aber eigentlich ist es nichts Besonderes. Da um mich herum aber meine Freunde sterben, hat es mich doch stark betroffen, dass ich nun dieses Alter erreiche.
Und der Festakt am Donnerstag?
Ich habe eine gewisse Angst vor der Veranstaltung, ich vertrage es eigentlich schwer, dass die Leute auf mich zukommen und mich umarmen wollen mit Küsschen rechts und links, das muss ich irgendwie verhindern, denn das ist nicht so meine Art. Mit Ritualen konnte ich nie umgehen, selbst bei meiner eigenen Hochzeit nicht, das war eine schrecklich missglückte Zeremonie. Aber ich versuche, mich heute zu disziplinieren.
Warum bevorzugen Sie Lyrik, Romane, Essays und Publizistik? Sie waren doch in jungen Jahren Schauspieler, haben aber nie ein Stück geschrieben?
Geht nicht, kann ich nicht, hab’ ich versucht, aber das war nichts. Ich bin Lyriker, auch meine Prosa ist lyrisch intendiert. Romane mit vielen Personen liegen mir nicht, mehr das Monologische, und dazu passt das Theater nicht.
"Nichts soll sich ändern", so lautet der Titel der Festschrift, der von der Stadt Heidelberg gewählt wurde. Brechts Herr Keuner würde erbleichen angesichts der Unveränderlichkeit.
Brecht vertritt genau die Gegenposition zu dem, was das bedeutet. 1978 hieß mein erster Gedichtband so: "Nichts soll sich ändern". Dieser Titel hat schon eine gewisse Merkwürdigkeit. Damals war ich eine extrem politische Figur, ich suchte den Streit mit dem Oberbürgermeister Reinhold Zundel. Er war mein Lieblingsgegner. Wir brauchten einander, ich vor allem ihn. Mit dem Buchtitel wollte ich die linke Szene provozieren, denn die wollte - so wie Brecht - alles verändern. Diese Szene hat die Provokation gar nicht gespürt, der Gedichtband wurde prima verkauft, man hat mich dauernd zu Lesungen in Wohngemeinschaften eingeladen.
Soll sich wirklich nichts ändern?
In gewisser Weise ja. Ich möchte, dass alles so ist wie immer. Ich möchte wieder mit meiner Mutter am Küchentisch sitzen können, mit meiner ganzen Familie, den Kindern, den Enkeln, möchte meinen Lieblingshund bei mir haben, meine toten Freunde, natürlich auch die lebenden. Das ist meine Utopie gegen alle revolutionären Gedanken: Alles bleibt immer gleich. Das darf man eigentlich nicht sagen, aber ich habe immer gerne das gesagt, was man nicht darf.
Wir erleben gerade dramatische Wandlungen: Digitalisierung, Globalisierung, Rechtspopulismus. Wie reagieren Sie als Schriftsteller darauf?
Damit will ich nichts zu tun haben. Als Schriftsteller bin ich sowieso weit weg von diesen Dingen und etwas rückständig. Ich bemerke natürlich die Globalisierung, die Digitalisierung, die empfinde ich als negativ. Als sich die Grünen anfangs, um 1980, noch für die Regionen starkmachten - gegen die Metropolen -, war mir das sehr sympathisch. Die Region, unsere Heimat, die Landschaft, die Farben, die einzelnen Dialekte, die Natur - all das hat eine große Bedeutung, nicht die Globalisierung. Die ist fürchterlich, da wird alles eingeebnet.
Wie erklären Sie sich den Rechtsruck und den Populismus?
Mir gefällt die AfD nicht, ich bin kein Anhänger, aber ihr Auftreten war unvermeidlich, weil die anderen Parteien nichts gegen den Euro unternahmen, gegen die Globalisierung, gegen die Eurorettung, gegen die globale Zuwanderung, die noch ganz andere Dimensionen annehmen wird. Die AfD haben sich die anderen Parteien selbst eingebrockt, weil sie alles durchgewunken haben. Aber ich bin nicht politisch, bin nirgendwo Mitglied und will es auch nicht zu weit treiben, sonst krieg’ ich gleich wieder eins auf den Deckel.
Wenn man Ihre gerade erschienenen späten Gedichte liest, gewinnt man den Eindruck, dass mythische Fernen und große kulturgeschichtliche Phasen so etwas wie ein Rückzugsort für Sie geworden sind. Ist das eine Flucht in die Vergangenheit, eine Art Eskapismus?
Ich beziehe mich gerne auf Goethe oder Baudelaire, auf Trakl oder Hölderlin. Das ist meine Familie, die toten Dichter sind mir oft näher als die lebenden. Hinzu kommt noch die prähistorische Schiene, der etwa 600.000 Jahre alte Homo heidelbergensis oder der 40.000 Jahre alte Löwenmensch. Wenn ich heute studieren könnte, würde ich Anthropologie oder Paläontologie studieren.
"Dies fiese Alter, das dich nunmehr anbeißt" - so beginnt ein ganz neues Sonett im barocken Ton, das Sie aus Anlass Ihres Geburtstags geschrieben haben. Auf dieser Seite wird es zum ersten Mal gedruckt. Welche Gemütsverfassung wirkt literarisch produktiver: die Melancholie oder der unbeschwerte, heitere Optimismus?
Beides wahrscheinlich. Bei mir ist es das erstaunliche Phänomen, dass ich im Alter noch Gedichte schreiben kann und dass sie nicht schlechter geworden sind, eher besser. In den beiden letzten Jahren sind sehr viele entstanden - und das schafft man nur mit einem gewissen Optimismus. Ohne Optimismus kann man im Alter und mit den Krankheiten, die man hat, eigentlich nur abdanken und denken: Hoffentlich ist es bald vorbei. Aber so denke ich nicht. Mit den Gedichten bleibe ich am Leben, gleichzeitig bin ich in Kontakt mit den toten Dichtern.
Formal wirkt vieles traditionsverbunden: Ihre Reime, Ihre Rhythmen, die barocke Wortwahl, auch die Form des Sonetts, die kaum noch jemand beherrscht.
Es ist überhaupt nicht schwierig, ein Sonett zu schreiben oder Reime zu finden. "Achtzig verweht" habe ich während eine Bahnfahrt von Oldenburg nach Heidelberg geschrieben.
Reizt es Sie hin und wieder, diesem oder jenem produktiv in die Suppe zu spucken?
Ich habe schon so eine Neigung, versuche aber dagegen anzugehen. Manchmal ist es unvermeidlich, aber viel lieber lebe ich ganz friedlich mit allen. Seit 33 Jahren wohne ich oben am Kühlen Grund, mit meinen Nachbarn rechts wie links habe ich die besten Verhältnisse. Wir haben uns noch nie in die Haare gekriegt oder um einen Zentimeter Grundstück gestritten.
Was gefällt Ihnen an Heidelberg?
Die Stadt gefällt mir unglaublich. Neulich stand ich wieder mit Hans-Martin Mumm, dem ehemaligen Kulturamtsleiter, oben am Schloss an einem phantastisch schönen Tag. Das war während einer der Führungen auf den Spuren Stefan Georges. Da schien die Sonne auf das Sandsteinschloss, dann der Blick auf die Stadt und rüber bis zur Haardt - einfach toll. Ich habe das schon tausend Mal gesehen und bin jedes Mal wieder so fasziniert wie beim ersten Mal. Es gibt wenig Schöneres.
Und was stört Sie an der Stadt?
Dass man es zum Beispiel zugelassen hat, dass das Neuenheimer Ufer mit all diesen scheußlichen Klötzen neben den fürchterlichen Terrassenhäusern verschandelt werden durfte.
Ihre Prosa, auch die Gedichte sind stark autobiografisch geprägt. Denken Sie trotzdem daran, eine Autobiografie zu schreiben?
Nein.
Am Freitag ist Ihr Geburtstag vorbei, was machen Sie dann?
Schreiben. Und mit den Enkeln spielen und wandern. Was soll ich sonst machen? Reisen kann ich nicht mehr wegen der Krankheit meiner Frau. Ich habe immer geschrieben, auch in den schwierigsten Momenten nach dem Tod meiner Mutter. Ich kann nicht anders.