Von Steffen Rüth
Jared, Deine Tochter Adeline ist im Januar ein Jahr alt geworden. Ihr vier seid jetzt allesamt Väter. Wann gründen Eure Kids ihre eigene Band?
Jared Followill: Oh Gott, ich hoffe gar nicht. Wir werden bestimmt nicht versuchen, denen das schmackhaft zu machen. Die Erfolgsquote ist nicht sehr überwältigend. Vielleicht sollten die Kinder lieber Ärzte werden oder irgendetwas anderes mit Zukunft.
Aber bei Euch ist es doch gut gelaufen. Du, Deine zwei älteren Brüder und Euer Cousin, Ihr habt die Kings Of Leon gestartet, als Du zwölf warst. Vier Jahre später habt ihr Euer erstes Album veröffentlicht und konntet um die Welt touren. Denkst Du etwa im Nachhinein: Mist, wäre ich besser Arzt geworden?
Nee, wir hatten aber auch ein Mordsglück. Für uns ist es unfassbar gut gelaufen. Aber nicht jeder hat so viel Schwein, so viel Entschlossenheit und so viel Widerstandskraft wie wir. In unserer Jugend waren wir nicht zu stoppen. Wir haben einfach alle Hindernisse überwunden.
Welche Qualitäten braucht man wiederum als erfahrene Band, die seit zwei Jahrzehnten dabei ist und jetzt ihr achtes Album veröffentlicht?
Stehvermögen, Ausdauer und Zähigkeit. Du musst einfach immer durchhalten. Lange als Band aktiv zu sein, ähnelt einem Marathonlauf. Besonders knifflig ist es, dass du dir die Erschöpfung nie anmerken lassen darfst. Du musst frisch und im Prinzip jung bleiben und nichts einfach immer weiter deshalb so machen, weil du es schon immer so gemacht hast. Wir haben es immer geschafft, neue Quellen zu finden, aus denen wir uns kreativ versorgen konnten. Das gemeinsame Musikentwickeln und Musikmachen, das ist für uns immer noch ein immens großer Spaß.
Man hört auf "When You See Yourself", wie sehr Ihr Euch um starke Melodien bemüht habt.
Wir haben extrem hart an dieser Platte gearbeitet. Und länger als an jeder anderen zuvor. Ich will nicht sagen, dass unser Zeug jetzt das tollste der Welt ist. Aber wir haben echt getan, was wir konnten. Ich mit meinem Bass habe konkret alles reingelegt, Melodien und schöne Harmonien in die Lieder zu injizieren. Weil meine Frau schwanger war und ich weniger Zeit hatte, neue tolle Musik zu recherchieren, habe ich meine Inspirationen vor allem bei meinen alten Lieblingsbands aus den Achtzigern geholt, bei New Order, den Pixies, den Go-Betweens oder Echo & The Bunneyman.
Wie schon beim letzten Album "WALLS" (2016) hat Markus Dravs (Arcade Fire, Mumford & Sons) produziert. Was kann der Mann besonders gut?
Uns hart rannehmen (lacht). Markus ist ein lieber Kerl, aber wir brauchen seine Fähigkeiten als Zuchtmeister. Wir neigen ein bisschen zur Bräsigkeit, aber er hat wirklich jeden einzelnen Tropfen unserer kreativen Säfte aus uns herausgeholt.
Ist da nicht mehr so viel übrig?
Man muss tiefer bohren. Es ist wie beim Erdöl. Die einfachen Quellen sind erschöpft. Weil wir einfach schon sehr viele Songs geschrieben haben, aber auch, weil uns das Drama abhandengekommen ist. Wir sind alle glücklich in unseren Beziehungen, der letzte Liebeskummer liegt schon ewig lange zurück. Songs zu schreiben, wenn du am Boden zerstört bist, ist einfach. Traurigkeit bringt tolle Musik mit sich. Aber verheiratet sein, Vater werden, das ist super, allerdings für deine Kunst ziemlich öde. Daher mussten wir besonders tiefe Löcher buddeln.
Und zum Beispiel "100.000 People", einen herzzerreißend schönen Song über eine Liebe im Altersheim, schreiben.
Der Text handelt von einem Mann, der an Alzheimer leidet. Er verliert langsam sein Gedächtnis und seine Erinnerungen. Sein gesamtes Leben verblasst allmählich. Nur seine Frau erkennt er noch. Die beiden verbringen nun jede Minute zusammen im Altersheim, bevor er auch sie vergessen wird. Das Leben bietet dir so viele Ideen und Geschichten. Wir fanden es einfach schön, so ein ungewöhnliches Thema in einen Rocksong zu stecken.
Das forsche, pulsierende "The Bandit" handelt aber einfach von zwei Ausreißern, oder?
Da hast du recht. Dafür hat der Song eine spannende Entstehungsgeschichte. Caleb und ich schrieben den Text zusammen im Flugzeug auf einem Zehn-Stunden-Flug von London nach Nashville. Normalerweise textet Caleb sehr ungern mit anderen, aber nun saß ich halt neben ihm. Wir haben dabei, glaube ich, drei oder vier Flaschen Wein getrunken.
Jeder von Euch?
Sorry, so wild sind wir nicht. Zusammen. Unsere Frauen waren auch dabei, die haben auch noch ein bisschen was abbekommen.
Du bist ein paar Jahre jünger als die anderen. Mit 16,17 warst Du plötzlich mittendrin in so einer Erwachsenenwelt damals. War das cool oder eher irritierend für Dich?
Es war wundervoll. Ich war 15 und machte die ganzen Sachen, von denen alle Jugendlichen träumen. Ich habe vieles ausprobiert, was die meisten erst im College erleben. Und lange bevor die meisten Kids etwas zum ersten Mal tun, war ich schon wieder darüber hinweg. Aber es ist schon fantastisch, alles zu dürfen und so herauszufinden, was man überhaupt will. Ich merkte zum Beispiel: Drogen sind nicht mein Ding. Und sich zu besaufen, konnte ganz nett und lustig sein, aber es war auch nichts, was ich unverzichtbar fand. Eine Flasche Wein ist für mich jedenfalls verdammt viel (lacht),
Ihr Jungs hattet über die Jahre auch Eure Auseinandersetzungen und Kämpfe. Wie sieht es heute aus?
Wir sind viel gelassener geworden und gehen entspannt miteinander um. Was jedoch nie aufgehört hat, ist das Konkurrenzdenken zwischen uns. Das finde ich aber ganz gesund. Wenn wir erst mal unsere anfängliche Faulheit überwunden haben, hat jeder das Ziel, die anderen mit musikalischen Ideen zu beeindrucken. Aber es gibt keinen Streit mehr. Wenn wir diskutieren, dann konstruktiv. Man beendet einfach keine Auseinandersetzung mit seinem Bruder oder wem auch immer, und denkt: Mensch, was habe ich toll ausgesehen in diesem Streit, ich habe ihn gewonnen.
Info: Album "When You See Yourself" ab 5. März. Live 18.-20. Juni 21, Southside-Festival Neuhausen ob Eck.