Konjunktur

Zölle bremsen - Wirtschaft hofft auf Infrastrukturmilliarden

Europas größter Volkswirtschaft fehlt schon vor Inkrafttreten der meisten US-Zölle der Schwung. Ein Ausgleich der drohenden Exporteinbußen muss von innen kommen, mahnen Experten.

30.07.2025 UPDATE: 30.07.2025 10:07 Uhr 2 Minuten, 38 Sekunden
Halbzeit der Bauphase der Bahnstrecke Oberhausen-Emmerich
Hoffnungsträger Infrastruktur: Öffentliche Aufträge sollen Exporteinbußen ausgleichen.

Wiesbaden (dpa) - Die deutsche Wirtschaft geht kraftlos in das neue Zoll-Zeitalter mit den USA. Nach dem unerwarteten Mini-Wachstum zum Jahresauftakt ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal geschrumpft: Es fiel 0,1 Prozent niedriger aus als im Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt mitteilt.

Mahnung zur Selbsthilfe

Beides geht nach Einschätzung von Ökonomen auf den Zollstreit mit den USA zurück: "Zuerst gab es Vorzieheffekte bei der Produktion. Im zweiten Quartal wurde dann hauptsächlich abgewartet, wie sich die außenwirtschaftlichen Bedingungen entwickeln", sagt etwa Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Er mahnt zur Selbsthilfe: "In dem Maß, in dem sich die Weltmärkte verschließen, muss sich die wirtschaftliche Dynamik auf den eigenen Wirtschaftsraum in Deutschland und Europa konzentrieren. Das geht nur, wenn Hindernisse wie Regulierung, Bürokratie und hohe Abgaben verringert werden."

Andere europäische Volkswirtschaften wachsen

Im europäischen Vergleich hängt Deutschland im Frühsommer zurück: Weil andere Länder wie Frankreich oder Spanien besser abschnitten, ist die Wirtschaftsleistung im Euro-Raum im zweiten Quartal um 0,1 Prozent gestiegen, wie parallel die europäische Behörde Eurostat berichtet.

Seit dem Wochenende ist zumindest in groben Zügen geklärt, unter welch erschwerten Bedingungen die exportorientierte deutsche Wirtschaft noch Waren in den USA absetzen kann. In den Verhandlungen mit der EU-Kommission hat US-Präsident Donald Trump "asymmetrische", also einseitige Zölle von 15 Prozent auf Importe aus der EU durchgesetzt. Zuvor hatte die US-Regierung mit 30 Prozent Zoll gedroht und auf bestimmte Waren schon vorab höhere Sätze verlangt, die teils fortbestehen. Für Autos sollen die Zölle hingegen von 27,5 auf 15 Prozent sinken. 

Trumps Zölle belasten

Unter dem Strich werde der Außenhandel mit den neuen Zöllen belastet, meint Geraldine Dany-Knedlik, Konjunkturchefin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Entscheidend für einen stärkeren Aufschwung seien daher die geplanten Milliarden-Investitionen aus dem Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz. Spürbare Impulse erwarte sie aber erst im kommenden Jahr. 

Auch bei der genossenschaftlichen Union Invest zeigt sich Volkswirt Michael Herzum optimistisch, dass der Aufschwung schuldenfinanziert von innen kommen kann: "Mit dem Infrastrukturpaket in Deutschland und der Steuerentlastung gibt es mittelfristig auch Impulse für mehr Wachstum. Die höheren Investitionen in die Verteidigung sollten das Wachstumspotenzial in Deutschland und Europa ebenfalls erhöhen. Wir erwarten, dass dies die Zoll-Belastungen mehr als kompensiert."

Zölle belasten exportorientierte Branchen

Grundsätzlich verteuern Zölle europäische Waren in den USA, was zu einer verringerten Nachfrage führen dürfte. Nach Berechnungen der Unternehmensberatung Deloitte könnte das für die deutsche Wirtschaft mittelfristig Exporteinbußen von bis zu 31 Milliarden Euro bedeuten. Die deutschen Ausfuhren in die Vereinigten Staaten könnten demnach um ein Fünftel zurückgehen. Am härtesten getroffen würde den Angaben nach der Maschinenbau, aber auch Pharma-, Chemie- und Auto-Industrie. 

"Ein Deal mag die Unsicherheit für Unternehmen leicht senken – doch US-Zölle von 15 Prozent schaden der deutschen Wirtschaft", sagt auch die Leiterin des Ifo Zentrums für Außenwirtschaft in München, Lisandra Flach. Sie rechnet mit einem negativen Effekt von minus 0,2 Prozent auf das deutsche Bruttoinlandsprodukt.

Weniger Investitionen

Die deutsche Wirtschaftsleistung war bereits in den vergangenen beiden Jahren leicht geschrumpft, im ersten Vierteljahr 2025 legte das Bruttoinlandsprodukt hingegen überraschend zu. Mit dem Zollabkommen droht nun der deutschen Volkswirtschaft erstmals ein drittes Rezessionsjahr in Folge. Zum Jahresauftakt hatte noch ein unerwartetes Mini-Wachstum gegeben, das vom Amt auf 0,3 Prozent (zuvor: 0,4 Prozent) revidiert wurde. Von April bis Juni sind dann vor allem Investitionen in Ausrüstungen und Bauten geringer ausgefallen als im Vorquartal, wie das Amt berichtet. Die privaten und staatlichen Konsumausgaben stiegen dagegen an.

Warten auf öffentliche Aufträge im Inland

Die konjunkturelle Grundtendenz in Deutschland hat die Bundesbank schon vor dem Zollabkommen als schwach eingeschätzt, weil auch die Binnennachfrage nicht anspringt. Zwar habe sich die Stimmung in der Wirtschaft aufgehellt mit der Aussicht auf milliardenschwere Investitionen der Bundesregierung. Ein Schub für die Wirtschaft werde aber erst verzögert kommen. 

Konkrete Aufträge etwa an die Bauindustrie lassen auf sich warten. Zugleich blieben die Industriebetriebe schwach ausgelastet, und Verbraucher halten ihr Geld zusammen. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer fasst die Aussichten für das kommende Jahr zusammen: "Für 2026 erwarten wir weiter ein recht starkes Wachstum von 1,4 Prozent, weil die Bundesregierung in großem Umfang Ausgaben aus dem Kernhaushalt in das Sondervermögen verschiebt und die freigewordenen Mittel rasch ausgibt und die Konjunktur so anfacht."

© dpa-infocom, dpa:250730-930-855621/3

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.