Angeklagter sitzt zum Prozessauftakt im Rollstuhl und hat keine Erinnerung mehr
30-Jähriger soll seine damalige Freundin im August 2019 getötet haben. Auf der Flucht vor der Polizei sprang er aus dem fünften Stock.
Von Olivia Kaiser
Weil er seine 22-jährige Ex-Freundin Gema R. am Abend des 15. August 2019 mit mehreren Messerstichen getötet haben soll, muss sich Florian R. seit Freitag vor dem Mannheimer Landgericht wegen Totschlags verantworten. An die Tat hat der Angeklagte nach eigener Aussage ebenso wenig Erinnerungen wie an seinen Sprung aus dem fünften Stock, als die Polizei am Tag darauf bei ihm klingelte. Durch den Sprung zog er sich lebensgefährliche Verletzungen zu – mehr als ein Jahr nach der Bluttat sitzt er im Rollstuhl. Der 30-Jährige ist verhandlungsfähig, doch aufgrund seines Gesundheitszustands muss er im Lauf der Verhandlung in ein Pflegebett umgelagert werden.
Oberstaatsanwalt Peter Linz schildert in der Anklageschrift, was sich an den beiden Tagen im August zugetragen haben soll: Die 22-Jährige kam am Abend in die frühere gemeinsame Wohnung im Stadtteil Rheinau. Der Angeklagte hatte sie kontaktiert, damit sie noch ein paar Sachen abholt. Kurz nachdem die Frau die Wohnung betrat, warf der Angeklagte sie aufs Bett, setzte sich auf sie und stach ihr dann mit einem Messer mehrfach in Hals- und Oberkörper. Die Frau verblutete.
Am Abend des 16. August rief eine Freundin bei der Polizei in Sandhofen an, weil sie sich Sorgen um die Getötete machte, da sie seit dem Besuch nichts mehr von ihr gehört hatte und ihr Handy ausgeschaltet war. Eine Streifenwagenbesatzung fuhr zu dem Haus und klingelte mehrfach. Daraufhin sprang der 30-Jährige gut 15 Meter in die Tiefe. In seiner Wohnung fand die Polizei dann die Leiche der Frau.
Die Eltern der Getöteten treten als Nebenkläger auf, können aber aufgrund der Corona-Pandemie nicht aus Spanien anreisen. Sie werden von ihrer Anwältin Sabrina Hausen über den Prozessverlauf informiert. Auch ein psychiatrischer Gutachter verfolgt die Verhandlung.
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Der Angeklagte macht umfassende Angaben über sich und sein Leben. Er wuchs in Herrenberg mit mehreren Halbgeschwistern auf. Eine Beziehung zu seinem leiblichen Vater hatte er nicht, wohl aber zu seinem Stiefvater. "Als ich neun oder zehn Jahre alt war, kam er ins Gefängnis, da fehlte mir die Bezugsperson", erzählt der Mann. Dann sei er immer "mehr abgerutscht". Im Alter von zwölf Jahren rauchte er zum ersten Mal Marihuana. Zeitweise wohnte er im Jugendheim. "Mit 20 war ich drogensüchtig." Er gibt auch zu, Drogen von Rotterdam nach Deutschland geschmuggelt zu haben. Über Umwege kam er schließlich nach Heidelberg und wohnte bei seinen Schwestern, dann zog er in die Mannheimer Innenstadt.
Die Getötete lernte er Ende 2017 über das Internet kennen, schnell wurde daraus eine "intensive" Beziehung. Die Frau zog von Frankfurt zu ihm. "Zuerst lief alles gut", erzählt der 30-Jährige. Er habe damals keine Drogen genommen. Weil die Wohnung in der Innenstadt zu klein war, zog das Paar in eine Wohnung im Stadtteil Rheinau. Dort habe er sich dann aber immer öfter in Bars rumgetrieben und wieder angefangen, exzessiv zu trinken. Daraufhin kam es zu heftigen Streitigkeiten. Das Paar trennte sich, versöhnte sich wieder und stritt dann weiter. "Wir hatten eine toxische Beziehung." Als Gema R. ihn endgültig verließ, sei er "immer mehr abgedriftet", erzählt gar von paranoiden Wahnvorstellungen – beispielsweise, dass sie ihn abhöre oder seinen Computer habe hacken lassen.
Dass seine Ex-Freundin an dem Abend zu ihm kam, weiß der Mann noch. "Meine nächste Erinnerung ist, dass ich im Krankenhaus lag." Eine "ausgestanzte Erinnerungslücke" nennt es der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz. Ihm sei bewusst, dass man ihm nicht glaube, so der Angeklagte. Seine Lebenssituation beschreibt er jedoch drastisch und sagt deshalb: "Ich habe keinen Grund, Ihnen hier irgendetwas vorzulügen."
Der Polizeibeamte, der zuerst am Tatort war, sagt aus, dass er mehrfach geklingelt habe, während seine Kollegin im Haus hören wollte, um welche Wohnung es sich handelt. Plötzlich habe es draußen einen lauten Knall gegeben, dann hörte er Schreie. Auf der Straße lag der schwer verletzte Angeklagte.
Auch die Freundin, die die Polizei verständigt hat, tritt in den Zeugenstand. Sie sagt aus, dass der Angeklagte schon zu Beginn der Beziehung in einer Whats-App-Nachricht geschrieben habe, er werde Gema umbringen, wenn sie sich mit anderen Männern trifft. Streit habe es gegeben, weil er eifersüchtig gewesen sei und ihr in seinen Augen aufreizende Kleidung verboten habe. Auch sein übermäßiger Alkoholkonsum sei oft ein Thema gewesen. Sie habe ihrer Freundin mehrfach geraten, sich von dem Mann zu trennen. Doch diese sagte, dass sie Florian liebe und er eigentlich ein guter Mensch sei, der sich ändern will. Und dabei wolle sie ihm helfen.
Die Verhandlung wird am Montag, 26. Oktober, fortgesetzt. Das Urteil soll am 24. November fallen.