"Salon Diplomatique" Mannheim

Brennt nach der Ukraine der Balkan?

Der frühere UN-Vertreter in Bosnien, Valentin Inzko, warnt: Die Serben suchen Russlands Nähe.

04.05.2022 UPDATE: 07.05.2022 06:00 Uhr 2 Minuten
Valentin Inzko. ⋌Foto: hol

Von Daniel Bräuer

Mannheim. Die Europäische Union sollte so schnell wie möglich ihre Bemühungen verstärken, den Ländern auf dem Westbalkan einen Beitritt zu ermöglichen. Der Meinung ist der österreichische Diplomat Valentin Inzko, von 2009 bis 2021 Hoher Repräsentant in Bosnien-Herzegowina, der über die Einhaltung des Friedensabkommens von Dayton wacht. "Ich bin von der EU enttäuscht", bekannte Inzko am Mittwoch in einem Vortrag beim Salon Diplomatique, einem außenpolitischen Debattierclub in Mannheim.

Schon 2003 habe die EU Albanien, Kosovo, Serbien und Co. eine künftige Mitgliedschaft versprochen, erinnerte Inzko. Aber noch immer haben nicht alle Staaten den offiziellen Kandidatenstatus. Mit Montenegro sind zwar Verhandlungen eröffnet, aber erst drei von 33 Kapiteln abgeschlossen. Auch mit Nordmazedonien stockt der Prozess – obwohl das Land sogar den langwierigen Streit um seinen Namen beigelegt hat. "Versprechen muss man halten", betonte Inzko. Bei dem Tempo dürften bald 30 Jahre ins Land gegangen sein. "Dann suchen sich die Leute anderswo Freunde."

Und diese Aussicht ist vor dem Hintergrund der neuen russischen Großmachtpolitik besonders für Bosnien und Herzegowina brisant. Denn der starke Mann der bosnischen Serben, Milorad Dodik, arbeitet offen daran, seine Teilrepublik Republika Srpska (RS) aus dem fragilen Staatsgebilde herauszulösen, das in Dayton ersonnen wurde. Dodik will eine eigene Justiz, eine Armee. Im April hat Inzkos Nachfolger, der frühere CSU-Agrarminister Christian Schmidt, erstmals ein Gesetz annulliert, laut dem die RS über Staatseigentum von Bosnien-Herzegowina selbst verfügen dürfte.

Zugleich liebäugelt Dodik ganz unverhohlen mit Russland. Allein zwölfmal sei dieser "Regionalpolitiker" von Wladimir Putin empfangen worden, hat Inzko gezählt. Wie Putin von einer "russischen Welt" spricht, spricht Dodik von einer serbischen, zu der er Regionen in anderen Staaten zählt. Die Nähe zu Moskau hat auch damit zu tun, dass die Serben auf das russische Veto angewiesen sind, um eine Anerkennung des Kosovo zu verhindern, wie der frühere CDU-Abgeordnete Karl A. Lamers einwarf.

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Nun macht die Befürchtung die Runde, Putin könnte die RS als eigenen Staat anerkennen – wie in Luhansk und Donezk, in Südossetien und Abchasien. Inzko ist sicher: "Dann wird Bosnien-Herzegowina auseinanderfliegen." Neben der Ukraine würde es dann auch auf dem Westbalkan brennen. "Und das ist nicht unser Hinterhof – das ist der Innenhof!" Auch deshalb lobt Inzko, dass die neue Außenministerin Annalena Baerbock früh im Amt Bosnien-Herzegowina besucht hat. Ihre Vorgänger Sigmar Gabriel und Heiko Maas (SPD) hätten dies nie getan. Lamers bittet gar die Mannheimer Grünen-Abgeordnete Melis Sekmen, Baerbock seinen Respekt zu überbringen.

Um die Region zu stabilisieren, müsse die EU sie, so gut es geht, an sich binden, fordert Inzko. Und sei es durch symbolische Schritte wie die Teilnahme an Sitzungen ohne Stimmrecht oder die Einführung des Euro in Bosnien – in Montenegro und Kosovo ist er bereits Zahlungsmittel. Mittel- und langfristig müssten die Länder Vollmitglieder werden: Dann könnte durch Zusammenarbeit der Regionen "jeder sein Großserbien" schaffen, so Inzko – ohne Grenzen zu ändern.

Und was ist mit der Sorge, dass sich die EU durch übereilte Erweiterung noch weiter lähmt? Inzko will auf das Positive hoffen: "Die EU ist durch Erweiterungen immer stärker geworden", sagt er.

Ranko Vujacic, ehemaliger Botschafter Montenegros in Berlin, sagt es so: "Man muss das geringere Übel wählen. Und das ist die Mitgliedschaft."