RNZ-Interview

"Im Internet erreichen wir nur einen sehr kleinen Kreis"

ZdK-Präsident Sternberg über Ostern in Zeiten von Corona - Forderung nach mehr Solidarität

08.04.2020 UPDATE: 09.04.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 53 Sekunden
„Insgesamt bin ich erschrocken über die Rückkehr von nationalem Denken“, sagt Sternberg zum Umgang mit Corona. Foto: dpa

Von Andreas Herholz, RNZ Berlin

Berlin. Thomas Sternberg (67) ist Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).

Herr Sternberg, Ostern in Zeiten der Corona-Krise – wie begehen Christen das Fest in dieser schweren Zeit?

Es ist schon ein sehr harter Schlag, nicht nur für engagierte Christen, das höchste Fest der Christenheit erstmals seit fast 2000 Jahren in diesem Jahr nicht richtig feiern zu können. All das, was wir da im Internet tun, sind doch nur sehr unvollständige Desiderate, die das Osterfest nicht ersetzen können. Auch wenn es nicht anders geht – es ist schon bitter. Das Miteinander, die Gemeinschaft und das Erleben der Gottesdienste fehlen sehr. Liturgie ist eben keine Theaterveranstaltung, in der irgendwelche Kleriker etwas für unbeteiligte Zuschauer aufführen. Sie ist eine Gemeinschaftsfeier, mit der Christgläubige gemeinsam ein großes Fest begehen.

Selbst Baumärkte bleiben geöffnet. Warum kann es dann keine Gottesdienste geben?

Wir haben natürlich unter den Gottesdienstbesuchern sehr viele Risikogruppen. Da ist es schon verständlich, dass es Gottesdienste nicht in ihrer herkömmlichen Form geben kann. Zum Glück sind die Kirchen geöffnet. Sie müssen auch weiterhin ein Ort zum Beten, zum Nachdenken oder Kerzen anzünden bleiben. Wir müssen uns überlegen, wie die Kirchen als Bau und als Gemeinschaft in diesen Kar- und Ostertagen Orte sein können, an denen man von den Ängsten spricht, die Menschen jetzt haben, ganz gleich, ob sie religiös sind oder nicht. Es wird auch viel in vielen Gemeinden angeboten. Das geht über die im Netz übertragenen Einzelgottesdienste hinaus. Bei uns in Münster kann jeder am Ostermorgen in seine Kirche gehen, um Osterlicht von der Kerze abzunehmen. In Düsseldorf wird es einen Gottesdienst im Autokino geben. Insgesamt scheint mir das Einklinken in die Notfallpläne aber allzu glatt zu laufen. Das stört nicht nur Traditionalisten. In anderen Ländern erlebt man da mehr Phantasie und öffentliches Engagement.

Wo bleibt in dieser Krise die deutlich vernehmbare Stimme der Kirchen?

Wir sind zu wenig vernehmlich. Das erstaunt mich sehr. Wann, wenn nicht jetzt, sind wir gefordert und hätten als Gläubige viel zu sagen. Es ist der Papst, der sich nicht nur mit seinem eindrucksvollen Segen Urbi et Orbi zu Wort meldet. Ansonsten kommen die Kirchen in diesen Tagen bei uns erstaunlich wenig vor, obwohl sie in ähnlichen Krisen immer eine zentrale Rolle spielten. Vor Ort, in der Telefonseelsorge und in den Einrichtungen geschieht vieles ohne große Publizität. Es gibt auch sehr viel christlich motivierte soziale Hilfe. Die Kirchen sind systemrelevant! Aufgaben des Christentums sind aber auch das Zeugnis des Glaubens in einer zunehmend "gottvergessenen" Gesellschaft. Wie können wir von einem Gottvertrauen sprechen, das auch in einer solchen Krise hilft?

Gibt es jetzt mehr Zulauf in der Krise, oder kehren die Menschen der Kirche den Rücken zu?

Dazu gibt es noch keine Erhebungen. Die Internet-Übertragungen der Gottesdienste erreichen nur einen relativ kleinen Kreis. Da stellt sich schon die Frage, wie wird sich die Corona-Krise insgesamt auswirken. Können wir noch der richtige Ansprechpartner für Menschen sein, die jetzt in existenziellen Notsituationen zu der Einsicht kommen, dass ein fröhlicher Atheismus und die Selbstoptimierung doch nicht der Weisheit letzter Schluss sind? Wie können wir glaubwürdig von unserem Glauben sprechen, wenn wir so viele eigene Probleme haben? Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu gewinnen, das ist auch der Grund, weshalb wir den "Synodalen Weg" zu Erneuerung unserer Kirche gehen.

Ärzte auf den Intensivstationen müssen angesichts des Mangels an Gerät womöglich darüber entscheiden, wer Beatmung erhält und wer nicht. Ist jedes Leben nicht gleich viel wert?

Es muss um jedes Leben gekämpft werden. Aber wenn man nur eine begrenzte Zahl von Beatmungsgeräten hat, muss man die Frage nach den Aussichten einer Behandlung stellen. Das kann man aber nicht nach den Kriterien der Nützlichkeit oder des Alters machen. Gegen Selektionsregeln nach Alter oder Nützlichkeit müssen sich Kirchen und Gläubige klar äußern, und das tun wir auch.

Ostern ist vor allem auch das Fest des Lebens. Viele fürchten jetzt aber um ihre Gesundheit und den Tod…

Wichtig ist in diesen Tagen die Versenkung in die Passion unseres Bruders Jesus, die von totaler Verzweiflung, vom Scheitern, von Erniedrigung und dem erbärmlichen Tod am Pfahl spricht, und auf der anderen Seite steht die Gewissheit seiner Auferstehung und seiner Aufgehobenheit bei Gott. Das hat Menschen über Jahrhunderte und weltweit Trost und Halt gegeben.

Für viele Menschen sind die Feiertage ein Familienfest. Das wird angesichts der Kontaktsperren schwierig…

Natürlich fehlen die vielen Besuche. Aber diese Wochen werden einem Schub in der Digitalisierung bedeuten. Videokonferenzen und Telefonschalten probiert im Moment nahezu jede Familie aus. Auch wir werden uns Karfreitag und Ostersonntag zusammenschließen. Wir erinnern uns vor der Osternacht an das letzte Abendmahl. Wir essen Lamm und Brot, wie unsere jüdischen Geschwister beim Pessachfest, aber in diesem Jahr jeder für sich, verbunden über eine Videokonferenz.

Von großer Gemeinsamkeit und Solidarität ist in Europa kaum etwas zu erkennen.

Es hat durchaus Zeichen der Solidarität gegeben. Aber insgesamt bin ich erschrocken über die Rückkehr von nationalem Denken. Es gab kaum Proteste gegen die Schließungen der Grenzen zu Polen, Österreich, Frankreich und Tschechien. Die Schengen-Regelungen für die Freizügigkeit sind ein riesiger Gewinn für Europa und werden hoffentlich bald wieder gelten. Eine nationale Abschottung ist nicht gerechtfertigt. Wir sind in ganz Europa, in manchen Regionen stärker, in anderen schwächer betroffen – mit Nationalgrenzen hat das nichts zu tun. Europäische Solidarität ist notwendig, wie auch immer man sie realisiert. Wir brauchen eine solidarische Übernahme der Folgewirkung dieser globalen Epidemie. Das steht für mich außer Frage. Und wir brauchen endlich eine tatkräftige, gemeinsame Lösung für die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln. Vor allem die Kinder brauchen jetzt endlich die gerade angelaufene Hilfe.

Dort herrschen katastrophale und unmenschliche Bedingungen. Deutschland nimmt gerade einmal 50 Kinder auf. Wo bleibt da die Humanität?

Das ist beschämend und eine Folge rechtspopulistischen Gedankenguts in Europa. Wir müssen zeigen, dass Humanität in Europa keine Dekoration ist, sondern zu seinen Grundpfeilern gehört. Das gilt für alle Europäer. Es ist erschreckend, dass die Regierungen von Polen, Tschechien und Ungarn eine Haltung zeigen, die nicht nur unsolidarisch ist, sondern jedem christlichen Denken widerspricht.