"Mama, die Spielplätze machen wieder auf!"
RNZ-Redakteurin Barbara Klauß berichtet von ihrer Zeit im Homeoffice

Dienstag, 5. Mai 2020
"Mama, Mama, die Spielplätze machen wieder auf! Und der Zoo!", ruft mein Sohn aufgeregt. Mein Mann hat es ihm aus der Zeitung vorgelesen. Der Kleine strahlt. Endlich wieder schaukeln, endlich wieder klettern, endlich wieder rutschen, endlich wieder die Elefanten besuchen.
Nach sieben Wochen Ausnahmezustand wird unser Leben von Tag zu Tag normaler. Wir alle sind wieder mehr unterwegs, nach und nach öffnen die Geschäfte, Schritt für Schritt kehren die Kinder zurück in die Tagesstätten und Schulen, viele Eltern aus dem Homeoffice in die Unternehmen.
Bei manchen wird es länger dauern, bis sie ihren Alltag wieder haben – bis sie ihre Restaurants öffnen dürfen, bis die Kinder in den Kindergarten oder in die Schule gehen können. Menschen, die zur Risikogruppe zählen, werden sich weiterhin stark einschränken müssen, Einsame erst einmal einsam bleiben. Das Virus ist nicht gerecht. Auch die Maßnahmen dagegen können es kaum sein.
Und dennoch fühlt es sich – bei aller Belastung, bei aller wirtschaftlichen Sorge, die viele drückt – auf den Straßen, in den Parks und auf den Plätzen so an, als würde das Leben nach langer Zeit wieder erwachen. Auch auf der Neckarwiese, die die Menschen nun zurückerobern. Erwachsene werfen Frisbee-Scheiben, Kinder spielen Fangen und Ball. Die Absperrgitter sind verschwunden, das Rufen und Lachen zurückgekehrt.
Nun bleibt uns nur zu hoffen, dass das Virus die neue Freiheit nicht nutzt, um sich wieder unkontrolliert auszubreiten.
Samstag, 2. Mai 2020
Ich konnte es mir nicht vorstellen – aber ich habe mich tatsächlich daran gewöhnt, fast nur noch Menschen mit Maske zu begegnen, und selbst ein Stück Stoff über Mund und Nase zu haben. Es verschafft mir sogar ein sichereres Gefühl – jetzt, wo wir alle wieder mehr draußen unterwegs sind.
Inzwischen besitze ich auch ein paar sehr schöne Modelle – mit Blumen und Ornamenten. Vor allem aber die strahlend blaue. Eine Freundin, die Modedesignerin ist, hat sie für uns genäht – für alle Freundinnen, ihre Partner und Kinder. Zu schade, dass wir nicht alle zusammen bummeln gehen können, mit unseren blauen Masken.
Auch in Spanien, wo eine andere Freundin mit ihren Deutsch-Schülern dieses Tagebuch liest und sie selbst Einträge schreiben lässt, sind Masken ein großes Thema. "Liebes Tagebuch", schreibt Diana, "heute ist der lang erwartete Tag gekommen." Der Paketbote klingelt und die junge Frau springt glücklich auf. Endlich kann sie ihre neuen Luxus-Pumps tragen. Denn: Der Bote bringt die heiß ersehnten Masken. "Wie sonst kann eine Frau auf die Straße gehen?", fragt Diana. "Sie muss sich fertig machen. Besonders in diesen Tagen, wenn alle Schönheitssalons geschlossen sind."
Nun steht sie mit den neuen Schuhen im Badezimmer vor dem Spiegel, "mit einer schönen blauen Maske, die mein Gesicht bedeckt", und trägt ein paar gelbe Gummihandschuhe, "die zum Putzen nützlich sind." Allerdings fragt sie sich, wie sie ihre ungefärbten Haare verstecken kann. Ihr Blick fällt auf die rote Duschhaube. "Sicherlich dachten alle Leute, die ich heute auf der Straße getroffen habe, dass ich in dieser Corona-Krise ziemlich cool bin."
Dienstag, 28. April 2020
Wir haben beim Spazieren gehen einen Freund meines Sohnes getroffen. Können Sie sich vorstellen, wie zwei Dreijährige sich freuen, wenn sie sich wiedersehen, nachdem sie wochenlang fast nur mit Erwachsenen zusammen waren?
Die beiden Jungs sind quietschend umeinander herum gesprungen, lachend und schreiend mit ihren kleinen Fahrrädern um die Wette gefahren. Abstand – ich weiß. Aber wer hätte sie aufhalten wollen?
Ich verstehe die Regeln, die wegen des Virus gelten. Aber ich sehe auch, welche Opfer mein Sohn bringt: fünf Wochen fast nur Zuhause, ganz ohne andre Kinder. Dafür oft mit einer gestressten Mutter, die arbeiten musste.
Wenn wir Erwachsene Sehnsucht nach sozialen Kontakten haben, schicken wir Nachrichten, telefonieren oder machen Videokonferenzen. Bei Kindern, zumindest bei den Kleinen, funktioniert das nur bedingt. Freunde erzählen von Morgenkreisen, die sie anfangs noch als Videokonferenz mit anderen Kinder zusammen gemacht hätten – bis die Kinder allesamt das Interesse daran verloren.
Samstag, 25. April 2020
Geht man dieser Tage durch die Straßen, hört man eigentlich nur ein Thema. Eine junge Frau erklärt aus dem Fenster heraus einer älteren, die auf dem Gehweg steht, wie sie ihre Masken genäht hat. Ein paar Meter weiter diskutiert eine Familie mit einem Paar, ob kleine Kinder auch etwas über Mund und Nase ziehen sollten.
Sie müssen es – zumindest in Baden-Württemberg – nicht, auch wenn ab Montag die Maskenpflicht gilt. Ein Glück. Ich weiß nicht, ob ich es geschafft hätte, meinen dreijährigen Sohn davon zu überzeugen. Dabei haben uns so viele Menschen so nett ihre Unterstützung angeboten.
Vor ein paar Tagen hatte ich geschrieben, dass ich es mit einer Feuerwehrmaske versuchen wollte. Weil mein Sohn doch Feuerwehrmann werden will. Daraufhin rief eine Dame an. Ihre Tochter nähe Masken, sagte sie, und habe noch Stoff mit Feuerwehrautos. Sie wollte dem Kleinen eine Freude machen in dieser schwierigen Zeit. Auch, weil sie ihre eigenen Enkel so schmerzlich vermisst.
Außerdem meldete sich ein Ehepaar aus Mosbach mit dem Bild eines lustigen Masken-Emojis zum Ausmalen. Und mit einer großartigen Idee: Sie schickten den Link zu einem Spielzeug-Feuerwehrhelm – mit runterklappbarem Visier. Er wisse nicht, ob das Infektionen abhalte, schrieb der Mann. Aber eine solche Maske sei doch besser als nichts.
Recht hat er. Meinem Sohn jedenfalls haben sie alle eine große Freude gemacht. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie demnächst auf der Straße einen kleinen Jungen sehen mit Feuerwehrhelm und runtergeklapptem Visier.
Donnerstag, 23. April 2020
Es kehrt ein wenig Normalität zurück in unser Leben. Immer mehr Menschen tummeln sich bei strahlendem Frühlingswetter in den Straßen des Viertels. Die ersten Läden haben ihre Türen wieder geöffnet. Und auch mein Sohn und ich schlendern in der Mittagspause zu unserem Lieblingsbuchladen, kaufen ein Doktor-Brumm-Bilderbuch, holen uns bei der Eisdiele ein Schokoeis und setzen uns damit auf dem Marktplatz auf eine Bank.
Noch fehlen die Tische der Cafés auf dem sonnenbeschienenen Platz, noch sind Klettergerüst und Schaukel abgesperrt und verwaist. Doch auf dem Pflaster davor fahren wieder einzelne Kinder Fahrrad oder Roller, die Eltern sitzen oder stehen zusammen – in weiten Runden – und wahren Abstand.
Das Geplapper und das Gelächter sind zurück. Das beklemmende Gefühl der Menschenleere ist verschwunden. Auszeit vom Ausnahmezustand.
Doch bleibt ein mulmiges Gefühl. Natürlich haben wir in Woche sechs des Shutdowns Sehnsucht nach Normalität. Gleichzeitig aber höre ich die mahnende Stimme der Kanzlerin. Wir dürfen nicht leichtsinnig werden, wir müssen die Gefahr weiter ernst nehmen, um die Erfolge nicht zu gefährden. Auch wenn es sich ein bisschen so anfühlen mag: Noch sind wir aus diesem Albtraum nicht aufgewacht.
Den meisten Menschen auf dem Marktplatz scheint das bewusst zu sein. Sie bleiben für sich oder stehen weit auseinander. "Du weiß doch, Mama", sagt mein kleiner Sohn, "wir müssen Abstand halten."
Dienstag, 21. April 2020
Bei allem Stress und aller Sorge – es gibt auch schöne Seiten an dem Zustand, in dem wir gerade leben. Eine ist das gemeinsame Mittagessen.
In normalen Zeiten sind wir alle den ganzen Tag unterwegs. Mein Mann und ich bei der Arbeit, unser Sohn im Kindergarten. Mittags hole ich mir meist eine Suppe beim Imbiss gegenüber und löffle sie vor dem Bildschirm, auch mein Mann isst unterwegs. Mein Sohn bekommt vermutlich die ausgewogenste Kost. Auch wenn er jeden Abend behauptet, es habe Nudeln mit Soße gegeben.
Nun aber, wo der Kindergarten zu ist und ich zu Hause arbeite, sitzen wir mittags zusammen am Küchentisch, essen Pfannkuchen, Milchreis oder Spaghetti und sprechen über dies und das. Nach dem Essen kuscheln wir uns aufs Sofa und lesen ein Kinderbuch. Manchmal gehen wir ein bisschen raus. Eine Runde mit dem Fahrrad um den Block. Oder wir malen mit Kreide bunte Bilder auf den Gehweg. Je nachdem, wie viel Zeit bleibt bis zur nächsten Telefonkonferenz. Kostbare Momente, die wir sonst, so mitten am Tag, nicht haben.
Natürlich sind unsere Tage in diesem Ausnahmezustand nicht immer so entspannt. Es ist eine extreme Herausforderung, gleichzeitig seinen Job in normalem Umfang machen und nebenher einem Kleinkind gerecht werden zu sollen. Und ich bin froh, wenn mein Sohn wieder mit anderen Kindern spielen und spannende Dinge erleben kann, während ich arbeite. Aber diese Mittagspausen – die werde ich vermissen, wenn die Krise vorbei ist.
Samstag, 18. April 2020
"Ich will das nicht", ruft mein Sohn laut, als ich mit einer Schutzmaske in der Hand vor ihm stehe. "Ich will nicht, dass du das anziehst!" In seinem eigenen Gesicht will er das hellblaue Vliesding natürlich erst recht nicht haben.
Ich kann ihn verstehen. Schön finde ich es selbst nicht, mir dieses Stück Stoff über Mund und Nase zu ziehen. Auch kann ich mich nur schwer daran gewöhnen, auf der Straße immer mehr Menschen zu begegnen, deren Gesicht ich nur zur Hälfte sehe. Wieder etwas, was bis vor wenigen Wochen vollkommen abwegig erschien – woran wir uns jetzt aber gewöhnen müssen. Alle. Auch mein dreijähriger Sohn.
Wie immer in dieser Krisenzeit entwickeln viele Menschen gute, absurde oder witzige Ideen und teilen sie millionenfach im Internet. Da werden BH-Körbchen zu Masken umfunktioniert, Unterhosen oder Kaffeefiltertüten. Unzählige Menschen sitzen nun zu Hause, nähen und präsentieren ihre Ergebnisse stolz in den sozialen Medien: der Rocker den Mundschutz mit Totenköpfen, der Witzbold einen mit aufgemaltem Grinsegesicht.
Wahrscheinlich ist das die Lösung für meinen Sohn. Ich muss nur irgendwo Masken mit Feuerwehrautos finden. Vielleicht könnte ich ihn damit überzeugen. Mal sehen.
Freitag, 17. April 2020
Tag für Tag sitzen wir in unserer Wohnung. Der Radius unseres Lebens ist plötzlich auf wenige Kilometer beschränkt. Das macht es schwer zu begreifen, dass diese Krise uns alle trifft – weltweit. Und doch verbindet die gemeinsame Erfahrung in dieser irren Zeit. Auch über tausende Kilometer hinweg.
Eine Freundin, die im Süden Spaniens lebt und dort Deutsch unterrichtet, liest mit ihren Schülern dieses Tagebuch. Und Ana, eine junge Frau, die Deutsch studiert und wegen der strengen Beschränkungen in Spanien seit Wochen ihre Wohnung nur noch zum Einkaufen verlassen darf, antwortet mit ihren eigenen Einträgen.
"Guten Abend, Tagesbuch", schreibt sie in der Osterwoche. "Ich möchte sagen: Endlich habe ich Urlaub – aber ... Wohin kann ich gehen?" Sie hat viel zu tun, muss zwei literarische Texte übersetzen – aber sie kann sich nicht aufraffen. Sie freut sich auf die Deutsch-Stunden – übers Internet, versteht sich. "Endlich! ... Ein neues Gesicht!" Gruppenprojekte macht sie jetzt über Youtube. "Dann bin ich jetzt ein Youtuber. HAHAHA." Ana hasst diesen Ausnahmezustand. "Ich hoffe, dass schnell diese Lage endet", hat sie schon vor fast einem Monat geschrieben.
Seit Wochen nervt sie die Musik aus der Nachbarwohnung. "Meine Nachbarn haben um acht Uhr am Abend Musik gesungen, heute haben sie flamenquito gespielt. Sie machen mich verrückt." Außer lernen, kochen, Serien schauen und telefonieren bleibt ihr gerade nicht viel. Aber: Morgen wird ein neuer Tag sein, schreibt sie. Halte durch, Ana. Und bleib gesund!
Donnerstag, 16. April 2020
"Wenn das Virus vorbei ist, will ich mal wieder in den Zoo gehen", hat mein Sohn neulich gesagt. Die gute Nachricht ist: Mit den ersten Lockerungen, die es nun geben soll, könnte das tatsächlich bald Wirklichkeit werden. Auch unseren Lieblings-Buchladen an der Ecke können wir dann hoffentlich wieder besuchen.
Die schlechte Nachricht: Unser größtes Problem löst das leider nicht. Seit vier Wochen ist der Kindergarten zu. Seit vier Wochen versuchen mein Mann und ich, zu arbeiten und gleichzeitig ein dreijähriges Kind zu betreuen. Seit vier Wochen teilen wir die Tage fast stundenweise unter einander auf, damit jeder wenigstens das Nötigste schafft.
In meinem Bereich sind die Aufgaben in der Krise leider nicht weniger geworden – eher im Gegenteil. In der Wirtschaft überschlagen sich die Ereignisse. Hinzu kommt das bislang ungewohnte Arbeiten von zu Hause aus, wo man viel mehr auf sich allein gestellt ist als im Team in der Redaktion.
Über die Ostertage hatten mein Mann und ich ein paar Tage frei – abwechselnd, damit der andere in Ruhe arbeiten konnte. Das hat die Situation wesentlich leichter gemacht. Doch nun sind die Feiertage vorbei und der Krisen-Alltag hat uns wieder. Wer weiß für wie lange noch.
Aber immerhin: Bald kann ich hoffentlich wieder einen entspannten Nachmittag mit meinem kleinen Sohn im Zoo verbringen.
Mittwoch, 15. April 2020
"Guck mal, Mama: Die Frau arbeitet!" Aufgeregt zeigt mein kleiner Sohn im Buch auf das Bild einer Frau, die ein Handy ans Ohr hält. Stimmt, so erlebt er mich in letzter Zeit öfter. Und zum ersten Mal bekommt er nun, in Zeiten des dauernden Homeoffice, ein Gefühl dafür, was das heißt, wenn ich sage: "Ich muss jetzt arbeiten."
Bisher war das für den Dreijährigen ein abstrakter Begriff, der vor allem bedeutete: Du gehst in den Kindergarten/zu Oma und Opa/zur Babysitterin. Klar habe ich ihm erklärt, dass ich Texte schreibe, die dann in der Zeitung stehen. Natürlich war er in meinem Büro und hat gesehen, an welchem Schreibtisch ich sonst sitze, während er mit anderen spielt. Aber eine richtige Vorstellung davon, was ich da den ganzen Tag über mache, hatte er nicht.
Das ist jetzt anders: Wenn ich nun arbeiten muss, gehe ich nur in einen anderen Raum. Oft sitzt mein Sohn neben mir, blättert in einem Bilderbuch, hört ein Hörspiel. Oder er guckt mir zu. Inzwischen kennt er die Computer-Programme, in denen ich meine Texte schreibe. Er weiß, wie (Video-)Pressekonferenzen ablaufen und hört, wie ich mit den Kollegen am Telefon die Themen des nächsten Tages bespreche.
Natürlich wird ihm das alles schnell langweilig. Aber insgesamt scheint er es spannend zu finden, zu sehen, was ich den ganzen Tag mache. Wenn ich nun sage: "Ich muss jetzt arbeiten", kommt er manchmal hinter mir her und sagt: "Ich helfe dir, Mama."
Samstag, 11. April 2020
"Ist das Virus auch für Tiere gefährlich?", fragt mein kleiner Sohn. Klar, er sorgt sich um den Osterhasen – und gibt sich die Antwort gleich selbst: "Ich glaube nicht. Der kann ja schnell weghüpfen." Kindliche Logik. Und kindliche Hoffnung.
Das passt zu Ostern, dem Fest der Zuversicht – das in diesem Jahr so vollkommen anders sein wird als sonst. Mein Sohn wird allein seine Ostereier suchen müssen, ohne Cousinen und Cousins, ohne Omas und Opas, Onkel und Tanten. Was aber viel schwerer wiegt als die Tatsache, dass wir unsere Familien nicht sehen dürfen, ist die Sorge: Viele Menschen haben Angst um ihre Arbeitsplätze, gar um ihre Existenz. Viele sorgen sich um Freunde und Angehörige, die krank sind oder ohne Besuch in Pflegeeinrichtungen ausharren. Jetzt gemeinsam das Leben feiern zu sollen – für viele mag das wie Hohn klingen.
Doch ist gerade jetzt Hoffnung wichtig. Und ein Stück Normalität in einer verrückten Welt. Besonders für Kinder.
Also haben wir in den vergangenen Tagen Eier gefärbt, bemalt und beklebt, Büsche bunt geschmückt und Osterhasen gebastelt. Ich versuche, die Rouladen so hinzubekommen wie meine Schwiegermutter, und mein Sohn hat mir geholfen, den Möhrenkuchen mit viel Schokolade und Marzipan-Karotten zu verzieren. "Da freut sich der Osterhase bestimmt, wenn er kommt", meint er. Bestimmt, wenn er hoffentlich gesund bleibt.
Donnerstag, 9. April 2020
Wie sehr man sich über ein Päckchen Kressesamen freuen kann. Bislang haben sie in meinem Leben keine größere Rolle gespielt. Jetzt aber bin ich ihretwegen zwei Mal quer durch die Stadt geradelt. Es herrscht Ausnahmezustand selbst bei Nebensächlichkeiten.
Einer der vielen netten Botschaften, die zurzeit verschickt werden, um die Isolation für Kinder erträglicher zu machen, war eine Bastelanleitung für Kresse-Eier beigefügt. Mein Sohn war begeistert von den lustigen Gesichtern mit den buschigen grünen Haaren. Also aßen wir Rührei und bewahrten die ausgeblasenen Schalensorgsam auf.
Am nächsten Morgen gingen wir los, um Samen zu kaufen. Ohne Erfolg. Nach zwei Supermärkten und einem Hofladen wollte ich aufgeben. Schließlich ist jetzt nicht die Zeit, um wegen Kressesamen von Geschäft zu Geschäft zu laufen. Doch die Enttäuschung war riesig. Also fuhren wir zum Blumenhändler. "Nichts mehr da", sagte er. "Sie sind nicht die Erste, die danach fragt."
Schließlich landeten wir im Baumarkt vor den Samen-Regalen. Gurken, Kopfsalat, Radieschen. Aber keine Kresse. "Gestern war noch ein Rest da", sagte ein Mitarbeiter, verschwand hinter einem Regal – und tauchte mit vier Tütchen in der Hand wieder auf. Mein Sohn hüpfte vor Freude. "Wir haben Kressesamen gefunden", rief er.
In der Anleitung war übrigens auch ein Rezept zum Brot backen. Die Zutaten versuche ich aber gar nicht erst zu bekommen.
Dienstag, 7. April 2020
Ich habe meine Freundinnen wieder gesehen. Frauen, die ich fast kenne, seit ich denken kann. Wir haben zusammen was getrunken, miteinander geredet und auch mal gelacht. Schön war das – nach der langen Zeit zu Hause. Wenn auch anders als sonst.
Normalerweise sitzen wir meist in einer Kneipe in der Heidelberger Altstadt, wenn wir uns sehen. Nicht mehr so oft wie früher. Alle haben viel zu tun, manche wohnen weit weg. Aber früher oder später landen wir immer wieder in dieser Bar und besprechen, was in der Zwischenzeit geschehen ist.
Im Moment geht das nicht – obwohl gerade jetzt die Menschen besonders fehlen, die einem so vertraut sind. Aber die Kneipe ist zu. Wir sollen – und wollen – zu Hause bleiben. Also haben wir uns in einer Videokonferenz zusammengeschaltet. Jede in ihrer Wohnung vor dem Computer. Sieben Bilder auf dem Bildschirm.
Natürlich ist das etwas anderes als in der Kneipe. Natürlich ist da eine größere Distanz, kann man sich nicht in den Arm nehmen. Aber: Wir haben uns gesehen. Alle zusammen. Und immerhin waren so auch die dabei, die sonst oft fehlen, weil sie so weit weg leben.
Am Ende des Abends habe ich übrigens unter www.kiez-retter.de in der Bar die Biere bezahlt, die ich getrunken habe. Damit wir auch in Zukunft einen Ort haben, an dem wir uns immer wieder treffen können.
Montag, 6. April 2020
Fast könnte man vergessen, dass die Welt aus den Fugen geraten ist. Wir sind mit den Fahrrädern in die Felder gefahren. Die Sonne strahlt vom blauen Himmel, die knorzigen Apfelbäume hängen voller weißer Blüten, die Vögel zwitschern. Auf den Wegen radeln Paare und Familien an uns vorbei wie an jedem normalen Frühlings-Wochenende.
Dabei ist es gerade nicht leicht, ein bisschen an die frische Luft zu kommen. Vor jedem Ausflug überlegen wir eine Weile, wo wir eigentlich noch hingehen können. Die neue Verordnung der Stadt, die seit Samstag gilt, macht es uns noch schwieriger. In den Parks dürfen wir uns quasi gar nicht mehr aufhalten. Also radeln wir durchs Feld auf der Suche nach einem Ort, an dem wir ein bisschen die Sonne und die Wärme genießen können.
Wir finden einen Rasenstreifen, auf dem – immer mit ein paar Metern Abstand – Bänke aufgestellt sind. Dort lassen wir uns nieder, essen unsere Brote, machen Seifenblasen und versuchen sie wieder einzufangen. Wir sind nicht allein. Auf einer Bank sitzt ein einzelner Mann, auf der nächsten eine Familie, dann ein Paar.
Fast könnte man vergessen, dass die Welt aus den Fugen geraten ist. Wären da nicht die unsichtbaren Mauern, die zwischen den Bänken zu stehen scheinen. Jede Gruppe bleibt für sich. So ganz vergessen kann man es leider nicht.
Samstag, 4. April 2020
Wir gewähren gerade ungewohnte Einblicke in unser Privatleben. Bei jeder Videokonferenz sehen Menschen, mit denen wir sonst nur beruflich zu tun haben, unsere Bücherregale, die Familienfotos an der Wand oder wenigstens, wenn wir alles beiseite geräumt haben, die Raufasertapete. Aber wissen Sie, was noch viel spannender wäre? Zu sehen, was abseits dieses Ausschnittes geschieht.
Wenn ich jetzt – in Zeiten von geschlossenen Kindergärten – vor dem Bildschirm sitze und versuche, professionell zu wirken, hockt neben mir ein drei Jahre alter Junge. Eine Weile hört er friedlich seinem Hörbuch zu. Nach einer halben Stunde aber wird es ihm, zu Recht, langweilig. Jetzt möchte er gucken, was da auf dem Bildschirm eigentlich passiert und wer die Menschen sind, die man da sieht. So leise ich kann vertröste ich ihn auf später.
Schließlich fügt er sich – und sucht sich eine andere Beschäftigung. Er findet sie beim Sofa, auf dem man großartig springen kann. "Mama, guck mal, wie hoch ich hüpfen kann", ruft er. Da liegt er auch schon auf den Kissen, die er vors Sofa auf den Boden geschmissen hat. Ich schleiche mich aus meinem Video-Bildausschnitt und tröste.
Als ich wieder auf meinem Platz sitze, angelt er sich den Klebstoff vom Schreibtisch, schraubt ihn auf und sagt: "Ich will was kleben." "Nachher", flüstere ich. Dann fällt ihm ein, dass er Hunger hat. Jetzt. Entnervt greife ich – entgegen allen Vorsätzen – zum Tablet und mache ein Kindervideo an. Für den Rest der Konferenz ist Ruhe. Und wenn Corona vorbei ist, können wir das mit den Videos ja wieder sein lassen.
Donnerstag, 2. April 2020
Wir haben ein Corona-Bild gebastelt. Und es ist tatsächlich ganz schön geworden.
Plötzlich stand mein Sohn vor mir, seine Kinderschere und die Zeitung in der Hand, und wollte die kleinen Bildchen ausschneiden, die wir in der RNZ verwenden, um die vielen Texte zu kennzeichnen, in denen es um das Virus geht. Ein grüner Ball mit keulenförmigen Ausstülpungen, die an einen Kranz erinnern und so den Coronaviren ihren Namen eingebracht haben. Eigentlich sähen die blöden Viren doch ganz lustig aus, fand mein Sohn. Also schnitten wir aus, klebten all die kleinen Schnipsel auf ein Blatt Papier und malten andere bunte Viren dazu.
In den diversen Freundesgruppen werden immer wieder Fotos von Kindern geteilt, die stolz ihre Corona-Bilder in die Kamera halten. Und tatsächlich rät das Kinderhilfswerk Unicef Eltern, offen über das Thema zu sprechen. Malen, Geschichten erzählen und ein spielerischer Umgang können dabei helfen. Die Flut an Nachrichten, die ständigen Gespräche über Krankheit und Gefahren sind auch für die Kleinen beunruhigend und verwirrend, sie können Angst und Stress auslösen. Man solle das Kind mit seinen Gefühlen ernst nehmen, rät Unicef, ehrlich sein und auf kindgerechte Weise erklären.
Und ein bisschen Spaß schadet sicher auch nicht. "In der Zeitung war ein Bild von Asterix und Obelix, wie sie das Virus einfach in den Himmel hauen", sagt mein Sohn und meint eine Karikatur, die vergangene Woche erschienen ist. Er lacht. "Da hat das Virus aber komisch geguckt!
Mittwoch, 1. April 2020
"So weit Abstand muss man halten", sagt mein Sohn und streckt seine Arme weit aus. "Dann kann das Virus nicht zu uns rüber springen und fällt einfach auf den Boden."
Seit Wochen bläuen wir ihm nun ein, einen großen Bogen um alle Menschen zu machen, denen wir begegnen. Langsamen haben wir uns daran gewöhnt, dass fast alle die Straßenseite wechseln, wenn wir ihnen auf dem engen Gehweg entgegen kommen. Treffen wir zufällig Freunde, bleiben wir meterweit voneinander entfernt stehen und rufen uns ein paar Sätze zu.
Kommen Oma und Opa oder die Tante und die Cousins zu Besuch, stellen sie sich vors Haus und wir unterhalten uns von Fenster zu Gehweg miteinander. Immerhin können wir sie so mal wieder sehen. Aber viel lieber würden wir sie in den Arm nehmen – und mein Sohn ihnen das Hasenhaus zeigen, das er gerade gebastelt hat.
Neulich, als mein Sohn und ich auf einer Parkbank saßen, sprach uns eine ältere Frau aus einiger Entfernung an. Sie trug Mundschutz und war offensichtlich in Sorge. Doch freute sie sich über den kleinen Jungen, der seine Beine baumeln ließ, die Gänse beobachtete und an einer Brezel kaute. Sie vermisse ihre Enkel so sehr, sagte sie. "Aber ich bin alt. Für mich wäre das Virus gefährlich." Eine Weile sprachen wir miteinander. "Dass ich so etwas mal erleben würde, hätte ich nie gedacht", sagte sie. Dann ging sie weiter.
Es ist richtig, dass wir Abstand halten – um uns und andere zu schützen. Aber es tut weh.
Dienstag, 31. März, 2020
Langsam kommt die Ungeduld. Zwei Wochen Ausnahmezustand liegen nun hinter uns und die ersten denken bereits laut darüber nach, wann wir wieder zur Normalität zurückkehren können.
Auch mein Sohn hat einen Exit-Plan: Immer häufiger fallen Sätze wie: "Wenn das Problem mit dem Virus vorbei ist, dann können wir wieder Oma und Opa besuchen", sagt er. Oder: "... dann können wir wieder auf den Spielplatz gehen", "... dann können wir uns wieder mit Freunden treffen", "... dann können wir wieder Eis essen gehen". Und: "... dann will ich eine neue Eisenbahn." Was genau ein neues Spielzeug mit dem Virus zu tun hat, weiß ich allerdings nicht so recht. Vielleicht betrachtet er es als Entschädigung für all die Zeit, die er nun allein spielen muss, obwohl Mama doch zu Hause ist.
Das "blöde Virus", wie mein Sohn es inzwischen nennt, verlangt uns allen viel Geduld ab. Und ich fürchte, das wird noch eine Weile so sein. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als diese Geduld aufzubringen, uns so zu verhalten, dass möglichst wenige Menschen schwer erkranken – und uns auf das Leben danach zu freuen.
Der Rektor der Uni im italienischen Perugia, Maurizio Oliviero, hat neulich in einer Videobotschaft an seine Studenten gesagt: "Wenn das alles überstanden ist, machen wir eine große Party. Und dann will ich, dass ihr euch besauft, tanzt und auf den Wiesen knutscht." Recht hat er.
Samstag, 28. März 2020
"Mama! Du sollst mit mir spielen!" Fast eine Stunde ist es gut gegangen. Fast eine Stunde hat mein dreijähriger Sohn allein mit seiner Eisenbahn gespielt. Fast eine Stunde konnte ich Emails abarbeiten und mit Kollegen telefonieren.
Einen einzigen wichtigen Anruf müsste ich jetzt noch machen. Ein Blick um die Ecke. Alles ruhig. Ich nehme das Telefon und wähle. In dem Moment, in dem sich jemand meldet, kommt mein Sohn angestürmt und schreit in den Hörer: "Du sollst nicht telefonieren!"
Solche Situationen kennt jeder, der versucht, gleichzeitig Kinder zu betreuen und zu arbeiten. Freunde schreiben von Stress und Überforderung, eine vom Home-Nervenzusammenbruch. In unzähligen Varianten werden gerade Bilder verschickt von Eltern, die am Computer sitzen, während die Kinder gefesselt auf dem Boden liegen.
Dabei haben wir es noch gut. Wir können unsere Jobs zu Hause erledigen. Was machen bloß all die anderen?
Wir müssen einfach nur lernen, konzentriert zu arbeiten – auch wenn im Hintergrund zum fünften Mal "Oh, wie schön ist Panama" läuft, wenn aus den Notizen auf dem Schreibtisch Schiffe gebastelt werden oder wenn jemand auf dem Schoß sitzt und versucht, auf der Tastatur seinen Namen zu tippen.
Oder wir machen das Beste aus der Situation, gehen zwischendurch zusammen ein bisschen raus in die Sonne – und verschieben alles, was sich verschieben lässt, auf den späten Abend, wenn das Kind schläft. In Ruhe arbeiten – was für ein Traum.
Freitag, 27. März 2020
Wir waren mal wieder draußen. Früher, vor zwei Wochen, wäre das keine Erwähnung wert gewesen. Nun ist es der Höhepunkt unseres Tages.
Wir drehen eine kleine Runde durch Neuenheim, mein dreijähriger Sohn und ich. Eineinhalb Wochen ist es her, dass wir zuletzt auf der Neckarwiese waren – bei blühenden Bäumen und Kinderlachen. Es fühlt sich an, als sei seither eine Ewigkeit vergangen.
Zur Neckarwiese, da möchte mein Sohn nun wieder hin. Er kann mir nicht glauben, dass wir auch das nicht dürfen, dass die ganze große Wiese Sperrzone ist. Bis er mit seinem kleinen Fahrrad von einem Zugang zum anderen fährt – und immer wieder vor Absperrgittern steht. Er lässt seinen Blick über die menschenleere Wiese schweifen und sagt: "Wirklich – alles abgesperrt."
Wir gehen weiter, die Schulzengasse hinauf zum Marktplatz. Hier wird die Leere richtig greifbar. Keine Tische und Stühle, keine Menschen mit Kaffeebechern in der Hand, keine fußballspielenden Kinder. Kein Gebrabbel, kein Rufen und Lachen. Mein Sohn fährt schnurstracks zum verwaisten Spielplatz und bleibt vor einem der Verbotsschilder stehen. "Darf ich nicht schaukeln?", fragt er. Nein. "Und auch nicht klettern?" Leider auch das nicht.
Ein paar Runden fährt er mit seinem Fahrrad um die Kirche herum. Sehnsüchtig schaut er zum einzigen Kind hinüber, das auf der anderen Seite des Marktplatzes mit seiner Mutter spielt. Das erste Kind, das er seit Tagen sieht. Dann gehen wir wieder nach Hause.
Dienstag, 24. März 2020
"Wann geht das Virus wieder weg?", fragt mein Sohn am Morgen, als er versteht, dass er auch heute und morgen und den Rest der Woche nicht in den Kindergarten gehen wird. Wir befinden uns in Woche zwei des Ausnahmezustandes – und müssen uns eingestehen, dass wir nicht wissen, wie lange das so bleiben wird.
Es sind Kleinigkeiten, die diese verrückte und beängstigende Zeit erträglicher machen. Eine Mutter schreibt mit ihrer Tochter Briefe, die sie bei Freunden in den Briefkasten werfen. Viele Kinder malen Regenbögen und kleben die Bilder in ihre Fenster – damit andere sie zählen können und sehen: So wie mir geht es gerade vielen. Andere verabreden sich, um gemeinsam Musik zu machen. Jeden Abend um 19 Uhr singen überall in Deutschland Menschen "Der Mond ist aufgegangen". Zusammenhalt wird erlebbar.
Menschen sind erfinderisch. Ein Franzose ist gerade einen Marathon gelaufen – auf seinem eigenen Balkon. Es gibt Lesungen, Ausstellungen und Konzerte, die über das Internet direkt in die Wohnungen der Menschen übertragen werden. Ein Museumsbesuch oder ein Clubabend in den eigenen vier Wänden. Und auch wir tanzen in unserem Wohnzimmer, machen hier Morgenkreis, singen Aramsamsam und "Die Räder vom Bus" und machen Kinder-Yoga. Dem Internet sei Dank.
So lassen sich die lange Zeit zu Hause und die Sorge leichter ertragen. Mit einem Wermutstropfen: "Im Kindergarten machen mehr Kinder mit", sagt mein Sohn. Wohl wahr.
Samstag, 21. März 2020
Die erste Woche zu Hause ist geschafft. Bisher läuft es – bei aller Doppel- und Dreifachbelastung – ganz gut. Wir haben in den Arbeitspausen mit unserem Sohn gespielt, viel vorgelesen. Einer von uns war jeden Tag wenigstens ein bisschen mit ihm draußen – im Wald oder im Feld, weit genug entfernt von anderen Menschen. Wir haben uns die Sonne ins Gesicht scheinen lassen und Gänseblümchen angeguckt. Nun warte ich voller Sorge auf den Moment, in dem die Ausgangssperre kommt. Die nächste Einschränkung, die ich meinem Sohn erklären muss.

Inzwischen fragt er immer häufiger nach anderen Kindern. Und auch ich merke, wie sehr mir Kontakte fehlen. In normalen Zeiten treffen wir uns am Wochenende oft mit Freunden oder mit der Familie. Wir reden über die Dinge, die uns bewegen, die uns Freude oder Sorgen bereiten. Gerade jetzt gäbe es viel zu besprechen.
Natürlich schreiben wir uns Nachrichten und telefonieren. Ein Gespräch auf dem Spielplatz oder abends in der Kneipe ersetzt das aber nicht. Im Job ist es ähnlich. Klar redet man im Homeoffice mit Kollegen über die Dinge, die anstehen. Was aber fehlt, ist der kurze Plausch im Flur, die nette Bemerkung oder der Scherz im Vorbeigehen.
Immerhin: Wir haben uns. Wir können dank moderner Kommunikation mit denen in Kontakt bleiben, die uns wichtig sind. Und uns schon jetzt auf den nächsten Nachmittag auf dem Spielplatz und den nächsten Abend mit lieben Menschen freuen. Sie kommen ganz bestimmt.
Donnerstag, 19. März 2020
Zwei Tage Homeoffice habe ich nun hinter mir. Und langsam kriege ich eine Vorstellung davon, was es wirklich bedeutet, dauerhaft von zu Hause aus zu arbeiten. Zumal wenn man nicht allein in der Wohnung ist, sondern nebenbei ein Kleinkind unterhalten werden will.
Entgrenzung trifft es wohl ganz gut. Die Grenzen zwischen Privatleben und Job verschwinden vollständig. Während ich meinem Sohn Pettersson und Findus vorlese, laufen auf dem Computer auf unserem Küchentisch die Schreckensmeldungen aus aller Welt ein. Während ich Blumenkohl für unser Mittagessen koche, ruft ein Kollege an, der etwas besprechen möchte. Klingelt mein Handy, weiß ich nicht, ist es ein weitergeleiteter Anruf aus dem Büro – oder eine Freundin, die wissen will, wie es uns geht. In den Pressekonferenzen, die inzwischen fast alle am Telefon stattfinden, traue ich mich nicht, eine Frage zu stellen – aus Angst, mein Sohn könnte etwas dazwischenrufen.
Als arbeitende Mutter war ich immer gegen allzu starre Arbeitszeiten. Das bin ich auch nach wie vor. Anders haben berufstätige Eltern keine Chance, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Doch nun, nach wenigen Tagen Ausnahmezustand, wünsche ich mir eine klare Abgrenzung, klar definierte Arbeitszeiten. Und ich sehne mich nach meinem Büro – aus dem ich abends zu meiner Familie nach Hause gehen kann.
Mittwoch, 18. März 2020
Der erste Tag zu Hause ist ein Tag voller Fragen. "Gehe ich heute in den Kindergarten?", will mein Sohn nach dem Aufstehen wissen. Nein. "Ist heute Wochenende?" Bisher war das für ihn die einzige Erklärung dafür, dass er morgens zu Hause blieb. "Können wir in den Zoo gehen?", fragt er. Leider nein. "Können wir mit dem Schiff auf dem Neckar fahren?" Auch das nicht.
Wie erklärt man einem Dreijährigen, dass plötzlich nichts mehr so ist, wie er es kannte?
Am Montagabend waren wir wenigstens kurz noch mal auf der Neckarwiese. Natürlich haben wir uns von den anderen Eltern und Kindern fern gehalten. Es war leerer als sonst an einem der ersten schönen Tage des Jahres. Viele Kinder spielten, dass sie Kranke in die Klinik bringen müssten.
Dennoch war das ein wohltuendes Stück Normalität. Die Sonnenstrahlen, die blühenden Bäume, das Kinderlachen, die entspannte Stimmung.
Doch heute ist schon wieder alles anders. Ich erkläre meinem Sohn, dass wir wegen des Virus auf keinen der Spielplätze mehr können, auf denen wir seit Jahren jeden Tag waren.
Wir bleiben jetzt zu Hause. Und ich bin vorbereitet: Ich habe Puzzle und Spiele besorgt, Farben und Hörspiele, Knete und Bastelkram. Außerdem verarzten wir die gesammelten Kuscheltiere. Das erste, hat mein Sohn mir gerade erklärt, hat das Virus nämlich schon.
Dienstag, 17. März 2020
Eben habe ich meinen Sohn vom Kindergarten abgeholt – zum letzten Mal für lange Zeit. Ein bisschen wehmütig hat sich die Erzieherin von ihm verabschiedet, "Mach’s gut, Großer", gesagt und, an mich gewandt, gefragt: "Schaffen Sie das denn, die nächsten Wochen?"
Was soll ich sagen? Es muss ja gehen – irgendwie.
Mein Mann und ich – wir arbeiten beide. Zu den Großeltern kann unser Sohn nicht. Das Risiko ist uns zu hoch. Auch wenn es Oma und Opa selbst schwerfällt, sich von den Enkeln fernzuhalten. Gerade jetzt. Sie würden so gerne helfen.
Vielen unserer Freunde geht es wie uns. Wir alle müssen unsere sorgsam durchstrukturierten Tage neu organisieren – und können uns dabei gegenseitig kaum helfen, weil wir uns voneinander fernhalten sollen.
Nun sitze ich in unserer Küche am Computer und drucke meinem Sohn aus dem Internet ein Dampflok-Foto nach dem anderen aus, während ich schreibe. Das ist natürlich keine Dauerlösung. Aber fürs Erste ist er zufrieden und ich kann arbeiten. Und morgen sehen wir weiter.



