Zu viele Kliniken

Bertelsmann-Studie sorgt für Aufregung

Eine bessere Versorgung durch weniger Krankenhäuser?  - Jede zweite Klinik soll geschlossen werden

15.07.2019 UPDATE: 16.07.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 31 Sekunden
Symbolfoto: dpa

Von Gernot Heller, RNZ Berlin

Berlin. In Deutschland gibt es nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung viel zu viele Krankenhäuser, ohne dass die Patienten damit medizinisch besser versorgt seien. Mit dieser Kernthese hat die Bertelsmann-Stiftung eine heftige Debatte über Reformen im deutschen Krankenhauswesen losgetreten.

"Eine starke Verringerung der Klinikanzahl von aktuell knapp 1400 auf deutlich unter 600 Häuser würde die Qualität der Versorgung verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern", lautet der zentrale Befund der Bertelsmann-Stiftung. Die aktuelle Lage beschreiben die Experten düster: viele Kliniken seien defizitär, es fehle an Pflegepersonal und zudem stellten die Bundesländer zu wenig Geld für die notwendigen Investitionen bereit. Das mache ein Handeln nötig.

Hintergrund

"Wichtig ist, welche Kliniken man schließt"

Karl Lauterbach ist SPD-Gesundheitsexperte und stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion im RNZ-Interview

Was halten Sie von dem Befund der Bertelsmann-Studie, dass die Zahl der

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"Wichtig ist, welche Kliniken man schließt"

Karl Lauterbach ist SPD-Gesundheitsexperte und stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion im RNZ-Interview

Was halten Sie von dem Befund der Bertelsmann-Studie, dass die Zahl der Krankenhäuser hierzulande von 1400 auf deutlich unter 600 sinken sollte?

Der Grundtenor der Studie ist zwar richtig. Aber die Berechnung, dass man bis zu zwei Drittel der Krankenhäuser abbauen könnte, die halte ich für falsch und überzogen. Tatsächlich ist es so, dass mit weniger Kliniken, wenn die richtigen Krankenhäuser geschlossen, fusioniert oder in ambulante Einrichtungen umgewandelt würden, die Qualität wahrscheinlich steigen würde. Wir haben sehr viele Krankenhäuser gemessen an vergleichbaren Ländern. Bei weniger Krankenhäusern hätten wir mehr Pflegekräfte, Ärzte und Erfahrung pro Bett und Patient und könnten auf überflüssige Eingriffe verzichten.

Welche Größenordnung an Klinik-Stilllegungen wäre denn realistisch?

Es kommt sehr darauf an, welche Krankenhäuser man schließt. Wenn man die falschen schließt, könnte man mit den Verringerungen großen Schaden anrichten. Klar ist: Es darf keine Gewinnmaximierung durch Krankenhausschließungen geben. Es wird aber nicht möglich sein, mittelfristig die Ärzte und Pflegekräfte vorzuhalten, um in allen bestehenden Häusern die Versorgung abzudecken.

Heißt das nicht, dass dann im flachen Land Kliniken schließen sollten?

Die Förderung und die Unterstützung von Krankenhäusern in dünn besiedelten Regionen und auf dem Land ist dringend notwendig. Das hat die SPD auch beschlossen. Wir haben tatsächlich auf dem Land und in den sozialen Brennpunkten der Städte eher eine Unterversorgung. Wir haben dagegen eine Überversorgung in vielen Metropolen besonders dort, wo lukrative Krankenhausmärkte sind, wo viele Einkommens- und Bildungsstärkere leben. Dort wird oft Überversorgung angeboten, auch mit Eingriffen, die medizinisch fragwürdig sind und bei denen wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund stehen. Das bindet Fach-Personal, das gerade auf dem Land ganz dringend benötigt wird.

Bedarf es da neuer Gesetze?

Wir arbeiten in einer Bund-Länder-Kommission daran, dass Krankenhäuser besser zusammenarbeiten mit dem ambulanten Sektor. Es geht um die sektorenübergreifende Versorgung. Wenn diese besser funktioniert, kann man präzisere Pläne machen, wie man die Zahl der Krankenhäuser sinnvoll verringert. Das Kriterium dabei kann aber immer nur die Verbesserung der Qualität sein. Geld lässt sich damit nicht sparen. Es ist aus meiner Sicht unmöglich und auch nicht sinnvoll, über eine Senkung der Zahl der Krankenhäuser das System billiger zu machen. Wir müssen das Personal da einsetzen, wo es am dringendsten benötigt wird.

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Bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), der Spitzenorganisation der Krankenhaus-Träger, stieß die Studie auf heftige Kritik. Wer das vorschlage, propagiere die Zerstörung der sozialen Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichen Ausmaß, reagierte der Verband. Die Studie ziele auf das exakte Gegenteil dessen ab, was dieser Tage erst die Regierungskommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" für die ländlichen Räume gefordert habe, sagte Gerald Gaß, der Präsident der DKG.

Es sei zentral für die Qualität des Gesundheitswesens, dass es flächendeckend einen Zugang zur medizinischen Versorgung gebe. Im Übrigen habe Deutschland das beste Krankenhausversorgungssystem der Welt. Erst jüngst hatte die Gesellschaft darauf verwiesen, dass für die Städte und Gemeinden ein wichtiger Standortfaktor ist, dass sie vor Ort auf genügend Arztpraxen, Krankenhäuser und Pflegeheime zurückgreifen können.

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Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hielt sich bedeckt. Man habe die Studie zur Kenntnis genommen, sagte eine Sprecherin gestern in Berlin. Zuständig für die Krankenhausplanung seien die Länder, die der Bund aber unterstütze. Spahn hatte zuletzt die Bedeutung von regionalen Krankenhäusern unterstrichen. Krankenhäuser in dünn besiedelten Regionen - es geht um rund 120 Kliniken - sollen daher ab dem nächsten Jahr mit zusätzlich 400.000 Euro im Jahr pro Haus gefördert werden. Spahn reiste unterdessen in den Kosovo, wo er Pflegekräfte anwerben will. Derzeit sind in Deutschland 40.000 Stellen in Kliniken und Pflegeheimen nicht besetzt.

Für den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach geht die Studie in die richtige Richtung. "Der Grundtenor ist richtig", sagte Lauterbach unserer Berliner Redaktion. Allerdings hält er die Klinik-Zahl, auf die angeblich verzichtet werden kann, für "falsch und überzogen". Schließe man die richtigen Häuser - vorwiegend Kliniken in gut versorgten Stadtvierteln mit zahlungskräftiger Kundschaft - und baue sie zu ambulanten Einrichtungen um, könne man die Qualität der Versorgung von Patienten verbessern und das dringend benötigte Fachpersonal wirksamer einsetzen. Als Mittel zum Geldeinsparen taugten Krankenhaus-Schließungen aber nicht.

Die mit der Bertelsmann-Studie betrauten Experten sehen keinen festen Zusammenhang zwischen der Zahl von Kliniken und der Qualität der medizinischen Versorgung - im Gegenteil. Aktuell seien aber viele Krankenhäuser einfach zu klein. Häufig verfügten sie auch nicht über die nötige Ausstattung und fachliche Erfahrungen, um in lebensbedrohlichen Situationen, wie bei Herzinfarkten oder Schlaganfällen, rasch handeln zu können.

"Viele Komplikationen und Todesfälle ließen sich durch eine Konzentration auf deutlich unter 600 statt heute knapp 1400 Kliniken vermeiden", lautet eine Schlussfolgerung der Studie. Würde man die Zahl der Krankenhäuser derartig zurückführen, wären für die verbleibenden Einrichtungen eine höhere Spezialisierung, eine bessere Ausstattung und eine bessere Betreuung durch Fachärzte und Pflegekräfte möglich.

Das Argument, dass viele Kliniken in der Region unbedingt notwendig seien, um die Patienten vernünftig zu betreuen, überzeugt die Autoren von Bertelsmann offenbar nicht. "Wenn ein Schlaganfallpatient die nächstgelegene Klinik nach 30 Minuten erreicht, dort aber keinen entsprechend qualifizieren Arzt und nicht die medizinisch notwendige Fachabteilung vorfindet, wäre er sicher lieber ein paar Minuten länger zu einer gut ausgestatteten Klink gefahren worden", zitiert der Bericht die Vorsitzende der Bertelsmann-Stiftung, Brigitte Mohn.

Die Experten von Bertelsmann berufen sich aber auch auf Erfahrungen im Ausland. Zwar weise Deutschland im Durchschnitt mehr medizinisches Personal je Einwohner aus als vergleichbare Länder, aber weniger pro Patient. In Deutschland würden viel mehr Patienten in Krankenhäusern versorgt als in anderen Ländern.