Markus Gisdol im Interview: "Ich möchte das Gefühl haben, dass es 100 Prozent passt"

"Hoffes" Ex-Cheftrainer Markus Gisdol äußert sich im RNZ-Interview über die momentane Auszeit, seine Beziehung zu Dietmar Hopp und die Vertragsauflösung

19.08.2016 UPDATE: 20.08.2016 06:00 Uhr 4 Minuten, 29 Sekunden

Entspannter Blick zurück: Markus Gisdol rettete die TSG 2013 vor dem Abstieg. Sein Team wurde danach Neunter und Achter. Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Heidelberg. Markus Gisdol (47) war vier Jahre lang Trainer der TSG 1899 Hoffenheim - erst bei der U-23-Talentschmiede und dann bei den Profis. Der gebürtige Geislinger gilt als öffentlich eher zurückhaltender Typ. Der RNZ hat er dieser Tage das erste Zeitungsinterview seit seinem Ausscheiden am 26. Oktober 2015 bei "Hoffe" gegeben.

Herr Gisdol, Sie wirken sehr entspannt. Wie ist denn das momentane Befinden?

Gut. Wenn man aus der Alltagssituation eines Bundesligatrainers rauskommt, dann braucht man eine gewisse Zeit, um zur Ruhe zu finden. Ich sehe diese Zeit aktuell als sehr wertvoll an. Privat, weil ich mehr Zeit habe für meine Familie und für Dinge, die in den letzten Jahren zu kurz kamen. In meinem Berufsumfeld, weil ich auch hier die Zeit sinnvoll und ohne Druck nutzen konnte.

Hintergrund

Markus Gisdol

Geboren am 17. August 1969 in Geislingen/Steige; verheiratet mit Sylvia, zwei Kinder.

Spielerstationen: SC Geislingen, SSV Reutlingen, Geislingen, 1. FC Pforzheim.

Trainerstationen: TSG

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Markus Gisdol

Geboren am 17. August 1969 in Geislingen/Steige; verheiratet mit Sylvia, zwei Kinder.

Spielerstationen: SC Geislingen, SSV Reutlingen, Geislingen, 1. FC Pforzheim.

Trainerstationen: TSG Salach, FTSV Kuchen, SC Geislingen, VfB Stuttgart U 17, SG Sonnenhof Großaspach, SSV Ulm, TSG 1899 Hoffenheim II, FC Schalke 04 (Co-Trainer von Ralf Rangnick und Huub Stevens), TSG 1899 Hoffenheim.

Bundesliga-Bilanz als Trainer: 96 Spiele (43 % Siege, 27,5 % Unentschieden, 29,5 % Niederlagen).

Spektakuläre Rettung: Übernahm die TSG am 2. April 2013 sieben Spieltage vor Schluss mit neun Punkten Rückstand auf Platz 16 (!). Es folgten das "Wunder von Dortmund" und die erfolgreiche Relegation gegen den 1. FC Kaiserslautern. jog

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Was haben Sie konkret gemacht?

Ich war zum Beispiel im Frühjahr bei Atlético Madrid, um mir ein Bild von diesem Klub, vom Trainer und von der Philosophie zu machen. Ich habe mir einige Spiele der Premier League vor Ort in England angeschaut und dort gleichzeitig intensiv an meinen Sprachkenntnissen gefeilt. Ich habe während der Europameisterschaft in Frankreich eine Kolumne für die FAZ geschrieben, mir danach viele Spiele der U19-EM vor Ort in Baden-Württemberg angesehen. Ich habe mich mit anderen Trainern ausgetauscht, meinen eigenen Spielstil ausführlich analysiert und daran gefeilt. Ich war bei den Handballern des THW Kiel, habe dort auf höchstem Niveau Einblicke in die Trainingsarbeit einer anderen Sportart bekommen. Weit entfernt vom Alltagsstress in der Bundesliga kann man sich neue Sichtweisen zulegen, seinen Horizont als Trainer beträchtlich vergrößern.

Wie fällt der Rückblick auf die Hoffenheimer Zeit aus? Ihre Bilanz?

Ich habe in allererster Linie sehr viele positive Erinnerungen an diese insgesamt vier Jahre. Wenn man überlegt, in welcher Situation der Verein bei meinem Amtsantritt war, dann war dieser Einstieg als Cheftrainer der Profis schon eine ganz besondere Situation. Das Saisonfinale in Dortmund wird immer einen Platz in den Geschichtsbüchern der Bundesliga haben. In den zwei Spielzeiten danach wurden wir Neunter und Achter, uns fehlte nur ein Sieg zur Europa League. Dann kam der nicht ganz freiwillige Umbruch, weil Spieler wie zum Beispiel Roberto Firmino Begehrlichkeiten bei anderen Klubs geweckt und uns am Ende verlassen haben. Insgesamt war’s eine spannende und sehr schöne Zeit. Ich glaube, wir haben vielen Spielern in ihrer Entwicklung helfen können. Gerade das fühlt sich in der Nachbetrachtung sehr gut an.

Wie schauen Sie heute, mit der entsprechenden Distanz, auf die letzten Spiele mit der TSG im Herbst 2015?

Überrascht hat mich damals die Dynamik, die rein kam, diese ultimative Wucht. Ich selbst war lange zuversichtlich, hatte das Gefühl, dass die neue Mannschaft einfach Zeit brauchte, um in Tritt zu kommen. Wir hatten viele Spieler, die die Bundesliga noch nicht gut kannten. Man muss das Ende so akzeptieren. Wir waren immer zuversichtlich, dass die Mannschaft ihren Weg machen wird.

Ihr Verhältnis zu Dietmar Hopp soll am Ende aber schwierig gewesen sein.

Bis heute bin ich Dietmar Hopp dankbar, dass er mir die Chance gegeben hat, in Hoffenheim Cheftrainer zu werden. Der Entwicklungsweg ist in die richtige Richtung gegangen. Eine Trennung ist nie so positiv, wie man sich das vielleicht wünscht. Mit dem notwendigen Abstand kann ich aber entspannt zurück schauen, wir haben einiges gemeinsam erreicht.

Im Februar 2016 kam es zu einer Vertragsauflösung. Warum?

Das war mir vom Tag der Trennung an wichtig. Ich bin niemand, der etwas aussitzt. Ich wollte reinen Tisch machen und die Sache sauber abschließen. So bin ich grundsätzlich gestrickt.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie von Ihrer ersten Cheftrainerstation mit?

Als Bundesligatrainer musst du jeden Tag viele Entscheidungen treffen, der zu leitende Stab und damit die Verantwortung wird immer größer. Du bist das Gesicht des Vereins nach außen, musst ihn jeden Tag, jede Minute bestmöglich vertreten. Du musst einfach extrem gut organisiert sein und brauchst ein Topteam um dich herum, und trotzdem, auch das muss man zu akzeptieren lernen, kann man nicht immer alles richtig machen.

Haben Sie auch Lehren aus der Hoffenheim-Ära gezogen?

Einige. Die größte sportliche Lehre für mich ist die: Wir hatten uns vor der Saison 2015/16 gemeinsam entschieden, einige Spieler, die nicht aus der Bundesliga kamen, zu verpflichten. Und obwohl wir zu der Zeit total davon überzeugt waren, hat es in der Startphase der Saison leider nicht funktioniert. Spielern wie Schär, Kaderabek, Uth oder Vargas hätte man eigentlich mehr Zeit zur Eingewöhnung zugestehen müssen. Der Ergebnisdruck in der Bundesliga ist aber von Beginn an extrem hoch. Das ist deshalb ein hohes Risiko, dass ich so nicht noch einmal eingehen würde. Dass all diese genannten Spieler grundsätzlich ihre Qualität haben, hat man mittlerweile sehen können.

Gibt es aktuell noch Verbindungen nach Hoffenheim?

Ich habe nach wie vor gute Kontakte zu Teilen des Trainerstabes, auch zu Manager Alexander Rosen. Mein fünfjähriger Sohn spricht gelegentlich davon, er wolle mal wieder nach Eschelbronn (Anm. der Red.: der ehemalige Wohnort von Gisdol) gehen. Als ich damals nach Hause kam und gesagt habe, dass ich nicht mehr Trainer bin, hat er gesagt: ‚Ich bin aber weiter Hoffenheim-Fan, Papa, und Polanski bleibt mein Lieblingsspieler‘.

Wie würden Sie Ihren Bezug zu den Fans einordnen?

Ich bin den Leuten in der Region dankbar für den großen Zuspruch. Ich habe noch lange später positive Rückmeldungen und Wünsche erhalten. Das Verhältnis zu den Fans habe ich immer als außergewöhnlich gut und freundschaftlich empfunden, ich habe da Fairness und Respekt gespürt. Im harten Bundesliga-Alltag ist das sicher nicht selbstverständlich.

Julian Nagelsmann kennen Sie bestens. Wie schätzen Sie das Trainertalent ein?

Er war bei mir anfangs Co-Trainer. Ich hätte gerne gesehen, wenn er zum damaligen Zeitpunkt Co-Trainer geblieben wäre, doch er wollte eigenständig eine Mannschaft trainieren. Ich wünsche ihm, dass er seinen Weg geht. Bisher hat er das gut gemacht. In dieser Saison ist es zwar eine andere Aufgabe, ich traue der TSG aber einen einstelligen Tabellenplatz durchaus zu, wenn alles optimal läuft.

Sie hatten unserer Information nach ein lukratives Angebot aus Leipzig im Frühjahr 2015, korrekt?

Das spielt keine Rolle mehr. Ich habe mich damals bei der Vertragsverlängerung bewusst für Hoffenheim entschieden. Mein sehr gutes Verhältnis zu Ralf Rangnick ist kein Geheimnis. Es ist bemerkenswert, was die Leipziger auf die Beine gestellt haben.

RB Leipzig investiert zwar kräftig, in England aber wird einem angesichts der gehandelten Summen schwindelig. Wie beurteilen sie den Transferwahnsinn?

Ich tue mich schwer damit, über Dinge zu urteilen, die du nicht beeinflussen kannst. Der Markt regelt tatsächlich die Transfers. Wir werden das nicht ändern. Die Bundesliga gehört zu den drei Topligen - neben Spanien und England. Entsprechend hoch sind die Beträge, die mittlerweile gehandelt werden. Das muss man so annehmen.

Wann dürfen wir mit Ihrer Rückkehr auf die nationale Fußball-Bühne rechnen?

Wenn ich etwas mache, möchte ich das Gefühl haben, dass es 100 Prozent passt. Es gab einige Möglichkeiten, aber ich war nie vollends überzeugt, dass das der richtige Schritt sein würde. Ich bin nun selber gespannt, wann und wie es weitergehen wird. Das ist in diesem Geschäft schwer vorauszusehen, geschweige denn zu planen. Ich werde mich überraschen lassen.

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