Bei 1899 Hoffenheim herrscht Alarmstufe Rot

Nach dem finsteren Spiel in Berlin muss sich bei der TSG 1899 Hoffenheim rasch und radikal etwas ändern

23.11.2015 UPDATE: 24.11.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 27 Sekunden

Fassungslos und enttäuscht: Der Hoffenheimer Tobias Strobl nach der Niederlage in Berlin. Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Berlin. Mehr und mehr werden im Zusammenhang mit der TSG 1899 Hoffenheim Erinnerungen wach. An die katastrophale Saison 2012/13, als mit Markus Babbel, Frank Kramer, Marco Kurz und schließlich Markus Gisdol gleich vier Trainer im Kraichgau tätig waren - und es Gisdol mit dem richtigen Händchen und mit dem notwendigen Quäntchen Glück gelang, das kleine Wunder des Nichtabstiegs zu vollbringen. Die Lage ist beim Kraichgauklub heuer ähnlich dramatisch, die Lage geradezu erdrückend, denn die Mannschaft ist Tabellenletzter, hat erst einen Saisonsieg verbucht, noch keinen Heimerfolg verzeichnen können - und selbst nach dem Wechsel des leitenden und leidenden "Bankdirektors" Gisdol auf Trainer-Routinier Huub Stevens ist kein spürbarer Effekt eingetreten.

"Hoffe" im November 2015 - das ist ganz harte Kost. Das 0:1 (0:1) am Sonntag beim aufstrebenden Hauptstadtverein Hertha BSC Berlin, der auf den besten Saisonstart seit sieben Jahren stolz sein darf, spiegelte die ganze sportliche Misere wider. "Ha Ho He Hertha BSC!" hat - personell gewiss nicht besser bestückt als die Hoffenheimer - bereits 15 Punkte mehr auf der Habenseite. Warum? Weil die Blau-Weißen eine funktionierende Einheit bilden, sich zerreißen, Selbstsicherheit ausstrahlen. "Eine Qualität ist von uns sicherlich, dass wir Spiele gewinnen, die nicht unbedingt für uns laufen", gab Abwehrhüne Sebastian Langkamp in der Mixed Zone zu Protokoll.

Exakt: So war’s auch bei "der komischen Winterpartie" (Langkamp) gegen Hoffenheim, die durch ein Eigentor von Eugen Polanski (30.) entschieden wurde. "Herthas untrügliches Gespür für Schnee", titelte die Berliner Morgenpost am Montag prosaisch. Die "Alte Dame" schaffte en passant sogar einen neuen Rekord, seit es die Datenerfassung in der Bundesliga gibt. Einen einzigen Torschuss von Salomon Kalou (18.) verzeichnete Hertha - und gewann trotzdem. Das hat noch kein anderes Bundesliga-Team geschafft. Besonders eklatant, dass die Hoffenheimer vor 37.045 Zuschauern im halb gefüllten Olympiastadion keine spielerischen Mittel und Lösungen fanden, obwohl die Hausherren im zweiten Abschnitt den Faden verloren und sich primär aufs Verteidigen des 1:0-Vorsprungs fokussierten.

"Du musst auch das nötige Glück haben", befand Stevens nach einem finsteren, niveaulosen Fußballspiel, "aber das musst du dir halt erarbeiten." Seit einigen Jahren wird von den Verantwortlichen des Dorfvereins vehement bestritten, dass ein Mentalitätsproblem bei den gut versorgten und überproportional hoch bezahlten TSG-Profis vorliegt. Doch was soll es sonst sein? Sie stehen häufig nicht ihren Mann, weder auf dem Rasen noch beim Après mit den Medienschaffenden. Der Kollege von Radio Regenbogen etwa war restlos bedient. Er reiste von Augsburg aus an, bekam aber außer vom mürrischen, aber immerhin einigermaßen mitteilungsfreudigen Stevens keinen einzigen O-Ton. Eine merkwürdige Arbeitsauffassung muss man den Hauptverursachern der Krise jedenfalls bescheinigen. Als "Pechvogel" Polanski zu einem weiteren TV-Interview neben dem Bezahlsender Sky gebeten wurde, sagte er deutlich hörbar und genervt: "Auch noch?"

Dieses schwierige, nicht auf dem Spielfeld harmonisierende Team, trägt keine Handschrift, agiert nahezu ohne Ecken und Kanten im Abstiegskampf und droht gar eine eigene Identität vollständig zu verlieren. Jetzt-erst-recht-Haltung, Gegenwehr, Aufbruchsstimmung unter Stevens für den Klassenerhalt und für den fest eingeplanten Trainer-Rookie Julian Nagelsmann? Die TSG verbreitet wenig Optimismus auf eine baldige Wende zum Guten, zumal in dieser derzeit desolaten Verfassung.

Im Frühling 2013 ergriff der damalige Geschäftsführer Jochen A. Rotthaus, über die Zwischenstation Düsseldorfer EG seit Rundenbeginn bei Bayer Leverkusen gelandet, die Initiative. Angesichts der Gefahr im Verzug orderte Frohnatur Rotthaus T-Shirts und Aufkleber mit dem aufmunternden Motto: "Gemeinsam Flagge zeigen - für eine erstklassige Region". Dies war seinerzeit ein schönes Symbol, das Emotionen auslöste.

Keiner kann wollen, dass "Hoffe" diese Saison absteigt. Doch es muss sich in diesem Klub rasch und radikal etwas ändern. Pointiert ausgedrückt: Durch ein Fünf-Sterne-Trainingszentrum, Software-Knowhow und akribische Datenerfassung wurde noch kein Fußball-Bundesligist vor dem Absturz in die Zweite Liga bewahrt. Berlin war für "Hoffe" wirklich keine Reise wert!

Das Auffälligste an den TSG-Protagonisten blieb am Trauerflor-Spieltag für Paris das kanariengelbe Auswärtstrikot, so dass die nahe Zukunft unter Hoffnungsträger Nagelsmann mehr und mehr belastet und bedroht wird …

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