Zurück auf Null

Sinsheim. Die alten Probleme kann ein neuer Trainer allein nicht lösen. Manager Andreas Müllers Probe-Zeit beginnt jetzt

04.12.2012 UPDATE: 04.12.2012 07:36 Uhr 2 Minuten, 11 Sekunden
Harter Job: Manager Andreas Müller. Foto: APF
Von Roland Karle

Sinsheim. Sechs, sieben und zehn Monate. So lange durften die Fußball-Lehrer Marco Pezzaiuoli, Holger Stanislawski und Markus Babbel jeweils als Cheftrainer in Hoffenheim arbeiten. Immerhin: Die Verweildauer nimmt von Mal zu Mal zu. Mit ein bisschen Selbstironie könnten die Vereinsoberen darin sogar einen Aufwärtstrend erkennen.

Tatsächlich führen die aufgezählten Kurzläufer zu einer bitteren Erkenntnis: Nach der Ära Ralf Rangnick waren die Trainerstühle beim Kraichgau-Klub so klapprig wie angesägte Plastikhocker. In der Übungsleiter-Verschleißtabelle seit 2010/11 liegt Hoffe mit Schalke und dem HSV gleichauf. Rangnick, mit dem das "Projekt Bundesliga" im Jahr 2006 begann, hielt viereinhalb Jahre durch - mehr als doppelt so lang wie seine drei Nachfolger zusammen.

Babbels großen Worten ("Wir wollen in die Europa League") folgten allzu kleine Taten (Relegationsplatz). Dabei verfügte der Ex-Nationalspieler formal über so viel Macht wie kein anderer Trainer, nachdem er im März nach dem Tanner-Rauswurf auch noch dessen Managerposten übernommen hatte. Babbels Umbau missriet völlig.

Deshalb ist im fünften Hoffenheimer Bundesliga-Jahr mit Frank Kramer nun Trainer Nummer fünf im Amt - und vielleicht bald schon Nummer sechs im Anmarsch. Kramer oder der noch Unbekannte müssten schon Zauberer im Nebenberuf sein, um all die aufgestauten Probleme im Dorfklub rasch zu beseitigen. Vieles ist durcheinander geraten - und nur noch schemenhaft zu erkennen, dass Hoffenheim einst ein Vorzeigebeispiel des modernen Profifußballs war.

Der Absturz in die Abstiegszone fordert vor allem Manager Andreas Müller. Gestern fing seine eigentliche Probe-Zeit an. Er muss zeigen, ob er kompetent, charakterstark und konfrontationsfreudig genug ist, seine Entscheidungen klubintern durchzusetzen. Einzelne Spielerberater dürfen nicht so mächtig werden, dass ihr Einfluss an der Zusammenstellung des Kaders abzulesen ist. Daran ist Babbel unter anderem gescheitert. So wurde die Torwart-Baustelle zum Beispiel völlig ohne Not aufgemacht.

Nach Vertragsende in Bremen war der polarisierende Torwart Tim Wiese, Mandant des mit Klubeigner Hopp befreundeten Spielervermittlers Roger Wittmann, auf Vereinssuche. Und fand überraschend eine Anstellung in Hoffenheim. Tom Starke, eine der wenigen Identifikationsfiguren im Verein, musste gehen - und das "war letztlich die Entscheidung von zwei Personen, nicht vom Trainer", wie der heutige Bayern-Profi im RNZ-Interview sagte. Babbel wägte wohl ab, ob er sich dem fordernden Wunsch der Klub-Mächtigen widersetzen oder Starke opfern sollte. Und ging den Weg des geringeren Widerstandes.

Müller hat nun die Wahl - zwischen gemütlichem Pragmatismus oder klarer Linie. Beides kann ihn seinen Job kosten. Wenn er es schafft, dass die Sportliche Leitung unabhängig von interessensgeleiteten Einflüsterungen arbeitet, ist das aber egal. Weil er dann an Profil gewinnt. Schon die Trainerauswahl wird ein erster Fingerzeig sein. Der Tag, als Frank Kramer kam, könnte ein guter gewesen sein. Weil damit die Hoffnung auf den Jugendstil zurückkehrt, ein früher prägendes Markenzeichen des Klubs.

Eine Lehre der verkorksten Transferpolitik muss sein, Erfahrung nicht mit Rückschritt zu verwechseln. Verletzungsanfällige Oldies wie Matthieu Delpierre (31) und Chris (34) zu holen, stattdessen ein aufstrebendes Talent wie Yannik Vestergaard (20) aus dem Team zu nehmen und den bewährten Isaac Vorsah (24) zu verkaufen - das war riskant und ein völlig falsches Signal.

Kein Beirat, kein Experte im Verein hat das verhindert. Vielleicht braucht es auch da frisches Blut. Unabhängige Profis mit Fußballverstand, sportliche Hochkaräter mit Bezug zur Region, aufgeweckte Fanvertreter - ihr Rat könnte nicht viel schlechter ausfallen als manche Entscheidung der letzten zwei Jahre.

Hoffenheim war mal Deutschlands spannendster Fußballklub. Jetzt ist 1899 Sechzehnter. Und für Viele da draußen ein rätselhafter Verein geworden. Es gibt eigentlich nur einen Weg: Zurück auf Null.

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