1899 Hoffenheim: Nagelsmann glaubt an eine bessere Saison

Im RNZ-Interview: Hoffenheims Cheftrainer Julian Nagelsmann hält im Trainingslager nichts von Kontrollwahn

31.07.2016 UPDATE: 01.08.2016 06:00 Uhr 4 Minuten, 57 Sekunden

Im Dialog: "Hoffes" Julian Nagelsmann bei der saisonalen Einstimmung mit RNZ-Sportchef Joachim Klaehn in Bad Häring. Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Bad Häring. Nach seiner erfolgreichen Rettungsmission sagte Hoffenheims Cheftrainer Julian Nagelsmann über seine Herangehensweise: "Der Menschenführer ist mehr wert als der Topfachmann." Ob beim "Kamingespräch" im Hotel "Wellness Schloss Panorama Royal" oder beim Plausch auf der Aussichtsterrasse Blickrichtung Süden, der 29-Jährige wirkt sehr konzentriert und professionell. Nagelsmann zeigt sich rundum zufrieden mit dem einwöchigen Trainingslager in Tirol, das am gestrigen Sonntag zu Ende ging.

Die RNZ traf sich vier Wochen vor dem Saisonstart zu einer Bestandsaufnahme mit dem jüngsten Bundesliga-Trainer (Vertrag bis 2019), ehe der TSG-Tross zurück in den Kraichgau reiste.

Herr Nagelsmann, die TSG hat einige große Neuzugänge geholt. Ein Fingerzeig an die Konkurrenz?

Die Größe war kein zwingender Grund. Die Spieler haben halt ins Anforderungsprofil gepasst. Grundsätzlich ist es schon so, dass wir bei den Standards offensivschwach waren. Da müssen wir etwas ändern, denn knapp 30 Prozent aller Tore fallen über Standards. Es fällt leichter, sich zu verbessern, wenn man mehr Spieler über 1,90 Meter hat.

Der physische Part ist ein nicht zu unterschätzender Teilaspekt ...

Es ist gut, wenn man körperliche Präsenz auf dem Feld hat. Wenn man groß ist und eine Ausstrahlung hat, wirkt man auf den Gegner. Das ist nicht so verkehrt. Wir kommen vielleicht etwas eindrucksvoller daher.

Wie zufrieden sind Sie denn mit diesem Trainingslager?

Es war eine intensive, interessante Woche. Wir haben viel am Schwerpunkt Umschalten gearbeitet. Die Wetterprognosen waren nicht gut, aber sie haben sich nicht bestätigt. Es war teilweise sehr heiß. Die Spieler haben sich richtig reingehängt, ich fand das Trainingslager rundum gut. Es sind schon viele Pass- und Ballhalte-Staffetten drin, die nach Fußball aussehen. Es sieht schon ganz gefällig aus, wir haben von der fußballerischen Qualität her etwas dazugewonnen.

Wie sehr hilft Sandro Wagner dem Team, um eine andere Spielweise praktizieren zu können?

Es gibt einige Mannschaften in der Liga, die großen Druck aufbauen können. Deswegen ist es hilfreich, wenn wir Stürmer haben, die mit dem Rücken zum Tor gut sind. Da waren wir vergangene Saison nicht gut, von daher wollte ich eine neue Komponente im Spiel haben.

War bis auf den Spielabbruch gegen Istanbul und den zweiten Trainingsplatz alles nahezu optimal?

Das war nicht so dramatisch. Das abgebrochene Testspiel gegen Besiktas war ärgerlich, doch der Eindruck war insgesamt positiv für uns. Die Jungs haben was mitgenommen. Jeder hat verstanden worauf es ankommt, auch die Neuzugänge.

Wie würden Sie den Integrationsstand der Neuen einordnen?

Bei allen bin ich sehr zufrieden mit der Entwicklung. Bis auf Marco Terrazzino kamen viele Spieler von Klubs, in denen anders gespielt wurde. Sandro Wagner hat sich sehr schnell akklimatisiert. Lukas Rupp kennt die Defensivarbeit von Alexander Zorniger beim VfB, die ist artverwandt gewesen. Benjamin Hübner und Kevin Vogt haben eine andere Art von Fußball gespielt. Die beiden bekommen die Zeit, um sich anzupassen. Alle Neuzugänge machen einen prima Eindruck und sind auch sehr fleißig außerhalb des Platzes. Das ist vorbildlich.

Bei "Hoffe" wird verstärkt Deutsch gesprochen ...

Grundsätzlich ist die Sprache nicht entscheidend. Was ich aber ganz gerne habe, sind Spieler, die die Bundesliga kennen. Das ist hilfreich. Natürlich ist es von Vorteil, wenn man sofort sprachlich versteht, um was es geht.

Manche Profis duzen Sie, andere siezen Sie. Was halten Sie davon?

Das ist mir egal, die meisten sagen ,Trainer‘. Die Spieler sollen mich so ansprechen, wie sie wollen. Hauptsache, sie machen das, was ich ihnen sage! (lacht) Ich habe jedem das Du angeboten, aber wenn ein Spieler mich lieber siezen will, habe ich damit auch kein Problem. Im Nachwuchsbereich wird das Siezen bevorzugt. Das hat etwas mit Distanz zu tun. Ansonsten mag ich es im Übrigen nicht, direkt geduzt zu werden. Ich mache das ja auch nicht einfach so. Auch bei Fans bleibe ich beim Sie. Ich finde das sind gute Umgangsformen, wenn man sich erst einmal siezt.

Wie streng gehen Sie hier mit den Hoffenheimer Jungs um?

Gar nicht streng. Ich mache das von der Leistung auf dem Feld abhängig. Ich werde da wenig regulieren, das Thema Bettruhe ist Eigenverantwortung der Spieler. Ein Regulativ aus der Mannschaft ist immer mehr wert als ein Regulativ durch den Trainer. Dazu gehören Verhaltensweisen im Hotel, wann gehe ich ins Bett, wie benehme ich mich am Buffet. Da erwarte ich, dass erfahrene zu jungen Spielern sagen: Nimm mal ein Stück Kuchen und nicht vier! Das sind normale Menschen, die dürfen in ihrer Nichttrainingszeit machen, was sie wollen, solange es nicht die Leistung beeinflusst.

Gibt es bei Ihnen Spielregeln in Sachen Handynutzung?

Da gibt es von mir keine strikten Vorgaben, aber Empfehlungen. Sie sollen vor und nach dem Training oder Spiel nicht sofort ans Handy gehen. Im Nachwuchsbereich gibt es eine Social-Media-Schulung bei uns.

Wie gehen Sie selbst mit den sozialen Netzwerken um?

Ein gewisser Grad an Privatsphäre muss sein. Es wird demnächst einen offiziellen Facebook-Account geben. Es hat sich eingebürgert, dass jeder zum Greifen nahe ist, ich versuche da, ein bisschen Distanz zu wahren.

Schildern Sie uns bitte mal den Fahrplan der nächsten vier Wochen ...

Wir haben jetzt eine ruhigere Woche, kommen dann zum Thema Spieleröffnung. Danach kommt eine reine Offensivstruktur, also das Herausspielen von Torchancen. Dann geht es schon an die Vorbereitung auf den DFB-Pokal. Die Testspiele sind alle auf die jeweiligen Trainings- und Wochenschwerpunkte ausgelegt.

Warum bevorzugen Sie starke Testgegner?

Ich lege Wert auf Topgegner, nur die decken deine eigenen Fehler auf. Die Spieler müssen aufgezeigt bekommen, was gut und was noch nicht so gut funktioniert. Bevor ich Tests gegen schwächere Gegner mache, trainiere ich lieber. Das sind verschenkte 90 Minuten.

Andreas Beck hat gesagt, er traue der neuen TSG-Mannschaft eine Überraschung anno 2016/17 zu ...

Ich hoffe, dass er Recht behält. Es freut mich, dass er es sagt. Er hat ja nicht vom Europapokal, sondern von einer guten Rolle gesprochen. Es kommt viel auf den Start an, ich bin guter Dinge, dass wir eine bessere Rolle spielen als in der vergangenen Saison. Das war keine supertolle Situation im Februar. Ich glaube nicht, dass wir hinten rumkrebsen. Man versucht immer, die Mannschaft auf dem Transfermarkt zu verstärken. Das ist uns geglückt.

Haben Sie schon ein konkretes Saisonziel formuliert?

Nein, noch nicht. Und das werden Sie nicht mitkriegen (lacht).

Zwei, drei Spieler sollen noch abgegeben werden, oder?

Man muss immer abwägen, spielt man international oder nicht, wie gut ist der Nachwuchs, wie ist die Vertragssituation im Gesamtkader. Wenn man mit 24 Feldspielern in die Saison geht, ist das okay.

Was ist mit Eduardo Vargas?

Ich habe nichts gehört. Aber im Offensivbereich sind wir insgesamt gut aufgestellt.

Sie gelten als sehr ehrgeizig. Wann wären Sie mit der neuen Runde zufrieden?

So mit ein bisschen Rumkicken in der Bundesliga und dem Verbleib kann ich nicht so viel anfangen. Das befriedigt mich nicht. Wenn ich Zwölfter werde, möchte ich nicht durch Heidelberg sprinten, mir eine Krone aufsetzen und sagen: Was bin ich für ein geiler Typ! Ich will richtig guten Fußball spielen lassen und Erfolg haben. Wie der definiert ist, das sage ich der Mannschaft. Man kann das nicht nur am Tabellenplatz festzurren. Es soll eine Entwicklung geben, Gewinnen ist das A und O im Sport.

"Hoffe" muss attraktiven Fußball spielen. Richtig?

Wir haben Sympathien durch die Rückrunde gewonnen. Ein 4:3 ist mir lieber als ein 1:0. Ein bisschen Mut zum Risiko ist mehr wert als nur zu zerstören.

Ist ein Trainingslager für Sie als Cheftrainer eine Herausforderung?

Ich liebe Trainingslager und die Berge. Für mich ist das eine normale Trainingswoche, nur nicht zu Hause. Hier kann sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl im Team und rund ums Team entwickeln. Die Bindung zum Cheftrainer ist wichtig.

Und wie schalten Sie mal ab?

Ich bin kein Trainer, der jede Sekunde nur an Fußball denkt und vor dem Laptop hängt. Als die Spieler geschlafen haben, bin ich mit dem Elektrobike zur Mösl-Alm hochgefahren. In 21 Minuten, wie ein Geisteskranker, zehn Minuten hin, elf Minuten hoch. Sensationell. Das ist so eine Möglichkeit, wo ich mal abschalten kann.

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