Geoffrey Schweizer erläutert Spielleitern nicht, wie man pfeift - sondern wie man Entscheidungen kommuniziert. Foto: Kreutzer
Von Philipp Weber
Geoffrey Schweizer (34) ist Diplom-Psychologe und bildet als Akademischer Rat am Heidelberger Uniinstitut für Sport und Sportwissenschaft auch angehende Sportlehrer aus. Im Interview verrät er, warum er eine Betätigung als "Schiri" empfehlen kann, wie sehr sich Trainer und Medien unbewusst auf die Unparteiischen verlassen - und wie groß der "Schirieinfluss" auf das Spiel tatsächlich ist.
Herr Dr. Schweizer, Hand aufs Herz: Würden Sie einem jungen Menschen empfehlen, Schiedsrichter zu werden?
Schweizer (überlegt einen Moment): Ja, das kann ich durchaus empfehlen. Zum einen ist es ein sportliches Engagement, das benötigt wird. Die meisten Sportarten sind auf Schiedsrichter angewiesen. Aber man kann auch viel lernen: Ein Schiri leitet das Spiel, er befindet sich in ständiger Kommunikation mit den Beteiligten, trifft Entscheidungen und übernimmt die Verantwortung dafür. Er ist einer der wichtigsten Akteure auf dem Platz. Das kann durchaus schön sein.
Wenn es so ist, woher kommt es dann zu einem Mangel an Schiedsrichtern - und zu dem Druck, dem diese oftmals ausgesetzt sind?
Die Spieler werden oft nicht dazu erzogen, den Schiedsrichter als Sportler, als Athleten wahrzunehmen. Zumal als einen, der im Gegensatz zu ihnen und ihren Trainern die Fassung wahren muss. Stattdessen sehen sie ihn als Bestrafer. Dabei ist er integraler Bestandteil des Spiels. Eine Ausnahme sind neue Sportarten wie Ultimate Frisbee: Hier versuchen Sportler, Konflikte im Miteinander zu lösen. Auch in einigen unteren Fußballligen wird das ausprobiert. Diese Form von Eigenverantwortlichkeit muss aber von klein auf eingeübt werden, sonst klappt es nicht.
Wer als Kind heimlich foult, tut es auch als Erwachsener?
Regelwidrigkeiten sind im Fußball eine sehr zwiespältige Sache. Einerseits sind Fouls zu Recht verboten, da widerspricht niemand. Andererseits erwarten Trainer, Fans und Medien, dass Spieler das eine oder andere geschickte Foulspiel begehen - um den Gegner unauffällig zu stoppen. Geht es um die Ahndung dieser vermeintlichen Geschicklichkeiten, verlässt man sich wiederum auf den Schiri und dessen Qualität.
Trotzdem wird ständig über Schiedsrichter diskutiert. Besonders, wenn sie Fehler machen.
Das ist ziemlich unfair. Denn die überwältigende Mehrheit aller Entscheidungen ist richtig. Es gibt Studien, die belegen, dass ein Referee pro Spiel 200 Entscheidungen trifft - und dabei nicht viel weniger laufen muss als die Spieler. Thematisiert werden aber nicht die 199 richtigen, sondern die eine falsche Entscheidung. Auch das Fernsehen macht Fehlentscheidungen gerne sichtbar. Viel seltener wird dort hervorgehoben, wenn ein Schiri in einer komplizierten Gemengelage richtig gepfiffen hat.
Wie groß ist denn der Einfluss der Schiedsrichter auf die Spielergebnisse?
Die meisten Fehler bleiben folgenlos, einige wenige entscheiden Spiele. Da denke ich vor allem an Elfmeter- und Abseitspfiffe; immerhin enden die meisten Fußballpartien mit gerade mal einem Tor Differenz. Es geht aber nicht nur um richtige oder falsche Entscheidungen: Mit seinem Auftreten und seiner Regelauslegung nimmt der Schiedsrichter ebenfalls großen Einfluss auf das Spiel. Andererseits ist gerade in diesem Sport sehr viel vom Zufall abhängig. Doch der Mensch sucht die Schuld nun mal gerne beim Menschen: Es ist leichter, auf den Schiri zu zeigen als dem Zufall die Schuld an einer missglückten Partie zu geben.
Viele Beteiligte im Fußballgeschäft und etliche Fans fordern Hilfsmittel, um Schiris die Arbeit zu erleichtern. Andere gehen weiter und wollen, dass Trainer künftig die Möglichkeit erhalten, einmal oder zweimal pro Spiel Einspruch einzulegen. Was sagt die Wissenschaft?
Diese Frage will ich nur sehr ungern pauschal beantworten. Man muss bei jedem dieser Vorschläge genau abwägen, was genau man damit erreichen kann und was nicht. Eine Neuerung, die sich sicherlich gelohnt hat, war die Torkamera. Beim Thema Trainereinspruch wäre ich viel vorsichtiger: Selbst wenn ein Coach Einspruch einlegt und sich dann wirklich herausstellen sollte, dass ein Fehler vorliegt, kann die ursprüngliche Spielsituation nicht wieder hergestellt werden.
Selbst mal ein Spiel gepfiffen?
Nein, nie. Und damit ich nicht missverstanden werde: Bei unserer Arbeit, soweit sie mit Schiedsrichtern zu tun hat, geht es nicht um das Regelwerk an sich oder gar um die Frage, wie Referees ihre Arbeit zu machen haben. Das lernen sie in den Verbänden. Wir helfen Spielleitern aber dabei, ihre Entscheidungen wirkungsvoll zu kommunizieren.