Gesunde Ernährung ist wichtig, und jeder Einzelne kann bis ins hohe Alter viel dafür tun. Foto: Thinkstock
Von Stefan Kern
Brühl. Diese beiden Vorträge taugten zum Augenöffnen: Der Neurobiologe Prof. Gerald Hüther und der Arzt Dr. Rüdiger Dahlke verwandelten das jüngste Gesundheitsforum in der Festhalle in Brühl für viele Besucher in eine Sternstunde der Medizin. Demenz und Alzheimer seien kein Schicksal, sondern Konsequenz unserer Lebensstrukturen. Altern sei weit mehr als nur Verfall, und nicht wenige dieser komplexen Veränderungen befänden sich durchaus im Bereich der persönlichen Einflusssphäre. Heißt: Der Mensch trägt Verantwortung für das eigene Wohlbefinden. Die beiden Referenten verstanden es zu erzählen und ihre Zuhörer zu fesseln.
Dabei geriet die Einseitigkeit der argumentativen Schusslinie etwas unter das Radar der öffentlichen Wahrnehmung. Der Vorwurf der beiden, dass der medizinisch-pharmakologische Komplex weniger dem Menschen denn der Industrie diene, ist sicher nicht falsch. Aber so, wie sie es darstellten, schoss die Kritik doch über das Ziel hinaus. Dass die Schulmedizin im Verbund mit der Pharmazie für Gesundheit und Lebenserwartung in den vergangenen 100 Jahren Enormes erreicht hat, fiel hier weitgehend unter den Tisch.
Für Hüther ist das Gehirn ein Wunder und wird nach wie vor missverstanden. Das Gehirn ist keine Maschine, die bis zum 20. Lebensjahr im Aufbau ist und dann langsam verschleißt. Das Gehirn ist nie fertig und bis ins hohe Alter mit Auf- und Umbruch beschäftigt. Der Fachbegriff lautet "Neuroplastizität". Und das erfordert für den Neurobiologen einen neuen Blick auf das Alter und die Demenz. Es sieht so aus, dass das Gehirn weit mehr als vermutet Ausfälle in bestimmten Regionen ausgleichen kann. Das bedeutet, dass nicht betroffene Gehirnareale die Funktionen von erkrankten Bereichen übernehmen. Es sei ähnlich wie bei einem Schlaganfall. Dabei werden auch Teile des Gehirns zerstört. Mit der Zeit könne der verbliebene Teil lernen, die Funktionen der betroffenen Areale zu übernehmen. Wichtig seien unter anderem Ansprache, das Gefühl gebraucht zu werden und gesunde Ernährung, so Hüther.
Punkte, die auch Dahlke mit seinem Vortrag "Alter als Geschenk" vertrat. Weltweit gibt es mit Sardinien (Italien), Ikaria (Griechenland), Loma Linda (USA, Kalifornien), Nicova (Costa Rica) und Okinawa (Japan) fünf Zonen mit einer auffallenden Häufung extrem alter Menschen. Faktoren, die das Phänomen erklären, sind schnell benannt: gesunde Ernährung, vor allem nicht zu viel, belastbare familiäre Bande, sozial eingebunden, mit einer Aufgabe betraut und körperlich aktiv. Das sind Faktoren, die in den Augen Dahlkes gesundes Leben und Altern überall begünstigen. Unnötig waren dagegen Sätze, wie jede Stunde Fernsehen erhöhe das Demenzrisiko. Es ist, wie schon der Schweizer Arzt und Philosoph Paracelsus (1493 bis 1541) wusste, dass "die Dosis das Gift" macht.
Dahlke zitiert zudem den Chef des Instituts zur Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen an der University of California in Los Angeles, Dale Bredesen, der bewiesen haben soll, dass Alzheimer heilbar ist. Eine These, die derzeit auch von Bredesen so nicht ohne Einschränkung behauptet wird. Im Grunde gehe es, wie beim gesunden Altern oder bei der Krebsbekämpfung, um eine Änderung der Lebens- und Ernährungsgewohnheiten in dem Problemdreieck aus chronischen Entzündungen, Nährstoffmangel und Umweltgiften.
Es sind vielversprechende Ansätze, die nicht, wie Dahlke behauptet, totgeschwiegen, sondern diskutiert werden. Unstrittig war, dass Selbstheilungskräfte von großer Bedeutung für das gelingende und gesunde Leben sind. Und für diese trage jeder Mitverantwortung. Der Gedanke, jeder habe Einfluss auf seinen Lebensweg, wurde hier mit viel Energie aufgeladen - bei allen ideologischen Querschüssen völlig zu Recht.