Von Wolf H. Goldschmitt
Es ist wohl das letzte Steinkohlekraftwerk dieser Größenordnung, das in Deutschland ans Netz geht. Der sogenannte Block 9 erschließt nicht allein optisch neue Dimensionen. Das Maschinenhaus reckt sich 120 Meter in den Himmel, sein Schornstein misst 180 Meter. Er macht Mannheim zum größten Kraftwerkstandort in Baden-Württemberg. Und im Herzen der nagelneuen Anlage
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Von Wolf H. Goldschmitt
Es ist wohl das letzte Steinkohlekraftwerk dieser Größenordnung, das in Deutschland ans Netz geht. Der sogenannte Block 9 erschließt nicht allein optisch neue Dimensionen. Das Maschinenhaus reckt sich 120 Meter in den Himmel, sein Schornstein misst 180 Meter. Er macht Mannheim zum größten Kraftwerkstandort in Baden-Württemberg. Und im Herzen der nagelneuen Anlage arbeitet modernste Technik. 1,3 Milliarden Euro hat sich die Großkraftwerk Mannheim AG (GKM) das Projekt kosten lassen. Bereits seit Wochen liefert Block 9 Strom und Wärme. Seine politische "Weihe" wird er am 22. September bekommen. Der Grüne Umweltminister Franz Untersteller hat sich zum offiziellen Startschuss angekündigt.
Zehn Jahre dauert es, bis der neue Energieproduzent Strom und Wärme für 120 000 Haushalte in der Rhein-Neckar-Region liefern kann. Allerdings mit 18 Monaten Verspätung, denn Probleme bei der Stahlkonstruktion bremsen die Arbeiten auf der zeitweise größten Baustelle des Landes. 60 000 Tonnen Stahl wurden verbaut. Zum Vergleich: Der Eiffelturm besteht aus 10 000 Tonnen Stahl. Teilweise waren hier mehr als 2300 Arbeiter im Einsatz. Schwere Unfälle hat es glücklicherweise nicht gegeben.
Über eine Million Solaranlagen und 25 000 Windräder erzeugen in der Bundesrepublik bereits Strom. Doch fehlende Transporttrassen behindern bislang die Klimaziele. Mit Block 9 soll die Basis für Versorgungssicherheit bis zur endgültigen Umsetzung der Energiewende geschaffen werden. Und dank Kraft-Wärmekopplung sollen Strom und Fernwärme umwelt- und klimaschonender erzeugt werden. Durch den geringeren Brennstoffbedarf sowie die Stilllegung von Altanlagen sollen die Emissionen trotz höherer Erzeugungsmengen zurückgehen. Das bedeutet: Mit Block 9 muss für die gleiche Menge Wärme deutlich weniger Kohle verheizt werden als bisher. In der Folge könne der CO2-Ausstoß durch die hohe Ressourceneinsparung jährlich um bis zu 1,3 Millionen Tonnen verringert werden, versprechen die Unternehmensvorstände Markus Binder und Karl-Heinz Czychon.
Auf der Halde für Block 9 werden bis zu 300 000 Tonnen Kohle gelagert werden. 10 000 Tonnen davon verschlingt der neue Dampferzeuger in Spitzenzeiten pro Tag. Ein gewaltiger Elektrofilter scheidet nahezu vollständig den Staub ab und in der Rauchgasentschwefelung entsteht unter Zugabe von Kalk Gips, der an die Bauindustrie geht. Unternehmensangaben zufolge legt man bei der Beschaffung der Kohlemengen größten Wert darauf, dass deren Gewinnung nur unter ökologischen und sozialen Weltstandards erfolgt.
Das GKM ist ein Gemeinschaftskraftwerk der Aktionäre RWE (40 Prozent), EnBW Energie Baden-Württemberg (32 Prozent) und der MVV (28 Prozent). Laut Geschäftsbericht hat sich im vergangenen Bilanzjahr der Verkauf von Strom von 6,7 auf 5,9 Milliarden Kilowattstunden und bei Fernwärme von 2,8 auf 2,2 Milliarden Kilowattstunden verringert. Der Gesamtumsatz von 492,8 Millionen Euro entfällt zu 91,9 Prozent auf Strom - darunter auch Bahnstrom - und zu 8,1 Prozent auf Fernwärmelieferung.
Als die ersten Ideen zur Modernisierung des Kraftwerkparks am Rhein diskutiert werden, sind es die grüne Opposition und Umweltverbände im Land, die dagegen Sturm laufen. Protestaktionen und schier endlose Gerichtsverfahren begleiten fortan Block 9. Am Ende werden sämtliche Klagen abgewiesen. Das Milliardenprojekt im Stadtteil Neckarau wird heute als unverzichtbar für die Stromversorgung bewertet - nicht zuletzt auch wegen seiner Bedeutung als "Kaltreserve" für ganz Baden-Württemberg. Wenn mal die Sonne schwächelt, springt Mannheim inzwischen regelmäßig als "Notstromlieferant" ein.
"Das GKM und unser Block 9 werden auch noch nach 2050 am Netz sein und Versorgungssicherheit garantieren", erklärt Markus Binder gegenüber der RNZ. Auf mindestens 40 Jahre Laufzeit sei die Anlage ausgelegt. Und: "In dieser Zeit wird das Kraftwerk auch wieder andere politische Rahmenbedingungen erleben." Das GKM werde, falls es so weit kommen sollte, aber sicherlich eines der letzten Kohlekraftwerke sein, das vom Netz geht, erklärt der kaufmännische Chef weiter.
In den Gründerjahren des Großkraftwerks anno 1921 geht es vorwiegend um die Bereitstellung billigen elektrischen Stroms für die Industrie. Veraltete Kraftwerke mit hohem Steinkohleverbrauch sollten damals durch neue leistungsstärkere und effizientere Kraftwerke ersetzt werden. Dieses Ziel wird bis in die 1940er Jahre konsequent verfolgt. Durch moderne Turbinen werden die Stromerzeugungskosten um ein Fünftel gedrosselt. Vor rund 50 Jahren gehen Block 3 und 1970 Block 4 mit jeweils 220 Megawatt und einem Wirkungsgrad von fast 42 Prozent in Betrieb.
Im Jahr 1959 startet die kombinierte Produktion von Strom und Fernwärme. Mit der kommunalen Fernwärmeversorgung wird rasch ein zweites Geschäftsfeld erschlossen, das die weitere Entwicklung des GKM nachhaltig beeinflusst. Bis 1993 folgen die Blöcke 5 bis 8, damals ausgelegt auch für Schweröl und Erdgas. Nach der Ölkrise und der Liberalisierung des Strommarktes wird Block 5 stillgelegt und Block 6 auf Steinkohle umgerüstet, wodurch die Leistung zurückgeht. Die Zahl der Mitarbeiter sinkt seit den 90ern von über 1000 auf unter 600.
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