Hoffenheims Gegner Hertha konnte bisher überraschen

Spitzenfußball kannten die Berliner für lange Zeit nur aus dem Fernsehen. Doch nach einem Drittel der Saison ist die Hertha weit oben platziert und Pep Guardiolas Ausspruch geistert in den Köpfen der Anhängerschaft wie ein Ritterschlag herum: "Berlin ist die beste Mannschaft, gegen die wie bisher gespielt haben."

09.11.2013 UPDATE: 09.11.2013 05:00 Uhr 2 Minuten, 21 Sekunden
Zwei Erfolgsgaranten der Berliner: Der schussgewaltige Ronny (rechts) hat mal wieder getroffen und wird von seinem Mitspieler Ramos abgeklatscht. Foto: dpa
Von Stefan Osterhaus

Berlin. In der Hauptstadt geschehen sonderbare Dinge. Abseits der Reichstagskuppel und des Brandenburger Tors, abseits der ausgetretenen Touristenpfade von Mitte und Friedrichshain, abseits der Hipsterhölle von Kreuzberg und Neukölln lockt ein Phänomen zweiwöchentlich Massen von Menschen an: Der Fußball. Das hat es lange nicht gegeben in Berlin. Sie kannten Spitzenfußball ja nur aus dem Fernsehen. Doch heute, nach einem Drittel der Saison, ist die Hertha zu aller Verwunderung weit oben platziert, und Pep Guardiolas Ausspruch nach dem 3:2 seiner Bayern gegen extrem widerspenstige Berliner geistert in den Köpfen der Anhängerschaft wie ein Ritterschlag herum: "Berlin ist die beste Mannschaft, gegen die wie bisher gespielt haben."

Das saß. Doch unmittelbar nachdem der katalanische Bayer die Berliner in den Adelsstand erhob, begann das Mahnen und Relativieren. Sie seien in der Liga, um zu bleiben, erklärte Manager Michael Preetz. Und Trainer Jos Luhukay stimmte ein. Nicht als der Klassenerhalt, das sei sein Auftrag.

Als dankbarer Empfänger zahlreicher Gratulationsnoten ist der Niederländer nicht sonderlich geeignet. Uneitel und unaufgeregt führt er den Klub im zweiten Jahr. Selbst als die so genanten Lolita-Affäre den Klub für ein paar Tage beschäftigte, behielt er die Nerven. Sachlicher als Luhukay ist nur ein Sachbuch. Dass er hierfür gefeiert wird, das hat allerdings eine neue Dimension im aufgeregten Berlin. War man früher nicht immer von eitlen Weltklasse-Ambitionen getrieben? Musste nicht stets ein wenig mehr Glamour her als anderswo? Es ging ja um den Ruf der etwas schrillen Hauptstadt.

Die gediegene Art von Trainern wie Lucien Favre wurde nicht unbedingt in dem Masse geschätzt, wie diese es verdient hätten. Favre wurde nach einer Serie von Niederlagen vom Hof gejagt. Der eher extrovertierte Markus Babbel begeisterte dagegen für kurze Zeit den Anhang, ehe sein Mangel an Substanz auch in Berlin unübersehbar wurde. Doch Typen wie er passten zur Hertha, einer Skandalnudel mit Tradition, und auf sonderbare Weise korrespondierte dies gar nicht so schlecht mit dem Image der Metropole.

Doch die letzte Trainersuche war für Manager Preetz wie ein Tigerjagd. Der Schuss musste sitzen, alles andere hätte ihm wohl den Job gekostet. Preetz verantwortete die Entlassung des genialischen Favre, er stieg mit seinem Wunschtrainer Friedhelm Funkel ab, er holte Markus Babbel und wollte die Hertha mit Otto Rehhagel retten. Ein Mann mit goldenem Händchen sieht anders aus. Und das ganze kostete nicht nur Nerven, es kostete auch Geld. Mit dem letzte Abstieg war die Hertha in einen in einen Bereich abgedriftet, in dem es existenziell bedrohlich hätte werden können. Ein Jahr mehr in der zweiten Liga, zerrieben zwischen hohen Erwartungen und Zahlungsverpflichtungen - so haben sich schon andere Traditionsklubs ruiniert.

Insofern ist Luhukay ein Glücksfall, der ruhende Pol in einem aufgeregten Milieu. Er hat es verstanden, aus der Herta ein kompaktes Kollektiv zu formen, dass sich nicht nur durch robustes Auftreten, sondern auch durch Variantenreichtum auszeichnet.Wer die Hertha heute schlagen will, der braucht nicht nur Können und Engagement, er braucht auch etwas Glück. Auch Gladbach, das Team der Stunde, verlor im Olympiastadion, was Guardiolas Eloge nochmals in einem anderen Licht erscheinen ließ.

Tatsächlich sind ein paar gute Fußballer mit dabei: Änis Ben-Hatira, Adrian Ramos würden nicht nur bei den Berliner einen guten Job machen. Doch weil alles so vernünftig ist in Berlin, sind sie froh, dass es zumindest noch einen Rekord zu vermelden gibt. Mit Ronny, dem Bruder des Gladbacher Filigrantechnikers Raffael, haben sie einen Mann im Team, dessen Schussgewalt konkurrenzlos in der gesamten Liga ist - noch heute soll Keeper Ron-Robert Zieler aus Hannover Albträume plagen, nachdem ihm Ronny kräftig einen einschenkte. Doch im Grunde gilt: Mehr Substanz als Knalleffekt. Feiern würden sie sich dafür nicht mehr. Sie wissen ja aus der Vergangenheit, wie schnell so etwas vorbei sein kann.

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